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Prenzlauer Allee, Ecke Immanuelkirchstraße.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Was aus dem Berlinroman geworden ist: Große Erwartungen, kleiner Ertrag

Die deutschsprachige Literatur ist lebendig wie lange nicht und thematisch vielfältig aufgestellt - nur der Metropolenroman steht nicht mehr auf ihrer Agenda.

Ein Kommentar von Gerrit Bartels

Letzten Donnerstag, kurz nach zehn, auf der Hufelandstraße in Prenzlauer Berg. Nicht viel los, um nicht zu sagen: gar nichts. Kein nächtliches städtisches Treiben, geschweige denn ein großstädtisches, und dann der Gedanke: Was macht eigentlich der Berlin-Roman, der große, im besten Fall ultimative Metropolenroman, der um die Wende und dann in den neunziger Jahren herum immer wieder mal eingefordert wurde?

Thorsten Nagelschmidts „Arbeit der Nacht“

Schaut man sich so in den Programmen der Verlage um, steht der Berlin-Roman nur noch ganz unten auf der Agenda, auch wenn natürlich viele Autoren und Autorinnen in Berlin leben und einige Bücher auch in der Hauptstadt angesiedelt sind. Und auch beim Überlegen der vergangenen Jahre muss man sich schon sehr anstrengen, da ragt einzig Thorsten Nagelschmidts „Arbeit der Nacht“ heraus, eine multiperspektivische Geschichte aus dem Dienstleistungs- und Niedriglohnsektor der Stadt.

Aber allein die wichtigsten Veröffentlichungen der vergangenen Wochen in der deutschsprachigen Literatur: Arno Geigers Wien-Exkursionen, Raphaela Edelbauers Roman „Die Inkommensurablen“ über das Wien am Vorabend des Ersten Weltkriegs, der Juli-Zeh-Simon-Urban-Diskursroman „Zwischen Welten“, Peter Stamms Autofiktionsspiel „In einer nachtblauen Stunde“ oder Wilhelm Genazinos Nachlassnotizen „Der Traum des Beobachters“ (überhaupt, Genazino, bei der Lektüre fragt man sich sofort: Wo sind die Berlin-Flaneure alle hin?) - kein Berlin, weit und breit.

Tatsächlich soll es in einem Berlin-Roman, der diese Bezeichnung verdient, nicht allein darum gehen, dass Berlin Schauplatz ist, ein paar Bars, Clubs, Restaurants oder andere markante Orte darin vorkommen. Nein, Berlin sollte die Hauptfigur sein, die Stadt selbst alles überwölben und die Figuren zu dem machen, was sie sind oder sein wollen oder behaupten zu werden oder wie auch immer.

Das kann die Tristesse eines Bezirks wie Hohenschönhausen oder der Gropiusstadt genauso sein wie eine einzige Bar (also Felix Lobrechts „Sonne und Beton“ oder Ju Innerhofers Bar-25-Roman), und natürlich ist eine gewisse literarische Brillanz auch vonnöten.

Nur: Es ist gerade nicht die Zeit für Berlin, vielleicht ist die Stadt auch wieder zu weit entfernt davon, eine Metropole zu sein, und schon gar nicht, wenn man unter der Woche nach zehn Uhr im Bötzowviertel herumläuft. Da möchte man lieber sofort einen Dorfroman schreiben.

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