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Kühe stehen in einem Melkstand in einem Stall der Röderland GmbH.

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Landgrabbing in Brandenburg: Wenn beim Ackerverkauf nur Cash zählt

Im Elbe-Elster-Kreis will ein Wohnungsbau-Unternehmen einen landwirtschaftlichen Betrieb übernehmen. Ein Landwirt, der auch gern kaufen würde, hat das Nachsehen.

Die Sache ist so gut wie gelaufen – nicht für, sondern gegen den Landwirt Tobias Lemm. Der Mann aus der Prignitz wollte eins der größten landwirtschaftlichen Unternehmen Brandenburgs kaufen. Jetzt geht die Röderland GmbH in Südbrandenburg mit hoher Wahrscheinlichkeit an einen Investor, das Leipziger Unternehmen Quarterback. Wenn das Geschäft abgewickelt ist, wird es ein Musterbeispiel für das, was man „Landgrabbing“ nennt: Den Verkauf von Ackerboden an jemanden, der Geld gewinnbringend investieren will.

Das Unternehmen mit Sitz in Bönitz im Landkreis Elbe-Elster bewirtschaftet 1600 Hektar. 900 Rinder und Mutterkühe nennt die Internetseite des Betriebs. Auf 730 Hektar baue man Getreide an, auf 350 Hektar Mais, zudem Kartoffeln und Futterpflanzen: ein landwirtschaftlicher Großproduzent mit über 30 Beschäftigten.

Die „landwirtschaftliche Unternehmensgesellschaft Röderland GmbH Bönitz“ gehört in Sachen Milchproduktion zu den effektivsten in Brandenburg. Das geht aus einer Vergleichsliste des Landeskontrollverbands Berlin-Brandenburg hervor, die Röderland auf dem dritten Rang führt.

Rund ein Jahr hat Tobias Lemm sich bemüht, als Käufer zum Zug zu kommen. Lemm sagt von sich, er sei in der Landwirtschaft groß geworden und habe in „namhaften Großbetrieben“ gearbeitet: Erfahrung mit Ackerbau, Pflanzenproduktion, Geschäftsführung – alles in Ostdeutschland. Er verspricht: Sollte er die Röderland GmbH übernehmen können, werde er mit seiner Frau nach Bönitz ziehen. Die Tochter solle in der Nachbarstadt zur Schule gehen. Bönitz soll Heimat werden.

Längst kann er auch die notwendigen Bürgschaften einer Bank vorlegen, mit deren Hilfe er sein Kaufangebot von acht Millionen Euro finanzieren will. Er hat Pläne für Neubauten auf dem Gelände, für Photovoltaik und anderen Anlagen, alles auf acht Seiten aufgeschrieben und den Röderland-Gesellschaftern vorgelegt. Ihre Mehrheit hat er nicht gewonnen.

Nach unterschiedlichen Angaben teilt sich die Gruppe der knapp dreißig Anteilseigner von Röderland in eine Mehrheit von Mitte fünfzig Prozent und eine Minderheit von Mitte vierzig Prozent. Die Minderheit will an Lemm verkaufen. Die Mehrheit will, dass das Unternehmen an Quarterback geht. Quarterback bietet nach allem, was zu hören ist, zwei Millionen Euro mehr.

Wir wollen dort heimisch werden und uns in das Gemeindeleben einbringen. Unsere Steuern werden wir vor Ort zahlen.

Tobias Lemm, Bauer und vermutlich unterlegener Kaufinteressent

Der Leipziger Projektentwickler in Sachen Immobilien wirbt mit großen Vorhaben überall in Deutschland, in Falkensee bei Berlin genauso wie am Großen Zernsee in Werder an der Havel und im hessischen Offenbach. Man baut Wohnungen und sogenannte „Mix Use“-Gebäude, wo auch Gewerbe unterkommt. Man „erledigt alles aus einer Hand“, wie es auf der Internetseite von Quarterback heißt.

Der Projektentwickler gehört zu 40 Prozent der Deutsche Wohnen. So ist es auf der Internetseite von Quarterback nachzulesen. Das große Wohnungsunternehmen wiederum, immer mal wieder im Gerede wegen harscher Umgangsformen mit Mietern, ist zu elf Prozent seiner Aktienanteile in den Händen des US-amerikanischen Finanzinvestors Blackrock. Das lehrt die Internetseite der Deutschen Wohnen.

Ein Gerstenfeld der Röderland GmbH in Bönitz.
Ein Gerstenfeld der Röderland GmbH in Bönitz.

© picture alliance / Bernd Settnik/dpa-Zentralbild/ZB/picture alliance/dpa/Monika Skolimowska

Wenn man will, kann man daraus folgern: Investoren-Interessen rangieren vor allem, was mit dörflichen Strukturen und deren Erhaltung zu tun hat.

Nicht zum ersten Mal wechselt ein branchenfremder Investor das Metier und entdeckt die Reize einer Investition in agrarische Strukturen und, vor allem, in Boden. Quarterback macht, was zumal in Brandenburg, das Unternehmen Lindhorst vor Jahren vorgemacht hat. Die Großinvestoren-kritische Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft nennt als Großinvestoren auch die Aldi-Stiftung, die Münchener Rück und die Zech-Gruppe.

Melkanlage der Röderland GmbH.
Melkanlage der Röderland GmbH.

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Lindhorst, ein traditionell in der Altenpflege und in der Landwirtschaft tätige Unternehmen aus Winsen an der Aller in Niedersachsen, investiert seit vielen Jahren Gewinne in Brandenburger Agrarunternehmen. Das hat aus der Sicht derer, die eine starke regionale Landwirtschaft mit vielen kleinen Höfen und Betrieben wollen, nur Nachteile.

Erstens kann ein finanziell kraftvolles Unternehmen wie Lindhorst oder Quarterback jeden kleinen Landwirt beim Kaufpreis überbieten. Das sind aber die Landwirte, die die dörflichen Strukturen erhalten. Reinhard Jung, Geschäftsführer der Freien Bauern Brandenburg, warnt seit vielen Jahren vor den Großinvestoren. Er wirbt für eine Agrarstruktur, die bäuerliche Familienbetriebe fördert.

Freie Bauern Brandenburg fordern rechtliche Änderungen

Reinhard Jung will erreichen, dass bei Grundstücksverkäufen ausschließlich ortsansässige selbständige Landwirte zum Zuge kommen. Seine Forderungen: „Die Bundesregierung muss im Agrarbericht 2023 ein agrarstrukturelles Leitbild formulieren, das überregionale Investoren ausschießt, auch wenn diese in der Landwirtschaft tätig sind. Das würde uns sehr helfen, weil sich die Rechtsprechung zum Grundstücksverkehr auf den jeweiligen Agrarbericht bezieht.“

Darüber hinaus fordert Jung auch rechtliche Veränderungen. Die Bundesregierung, sagt er, müsse „das Genossenschaftsrecht und Steuerrecht dahingehend ändern, dass beim Verkauf von Unternehmen mit entsprechendem Grundeigentum endlich Grunderwerbsteuer anfällt.“ Derzeit müssten die Landwirte Steuern zahlen, wenn sie Land kaufen. Wenn aber ein Unternehmen Anteile eines anderen kaufe, sei das Geschäft von der Steuer befreit. Für Jung „eine eklatante Benachteiligung unserer Betriebe“.

Landwirtschaftsminister Vogel ist schon lange ein Kritiker

Der brandenburgische Landwirtschaftsminister Axel Vogel (Grüne) kritisiert die Entwicklung, die nach der Wende durch die Verkaufspolitik der bundeseigenen Bodenverwertungsgesellschaft befördert wurde, ebenfalls seit langem. Schon vor zehn Jahren hielt er den landwirtschaftlichen Großbetrieben und den branchenfremden Investoren vor, sie setzten auf „Masse statt Klasse“, um zum Beispiel mit der Energiepflanze Mais schnelles Geld zu machen.

Dazu kommt: Die Steuern, die die landwirtschaftlichen Großunternehmen zu zahlen haben, gehen nicht an das Land Brandenburg; sie werden an den Sitzen der Unternehmen entrichtet. Beispiel Lindthorst: Winsen/Luhe. Beispiel Quarterback: in Leipzig.

Die Problematik beschäftigt die Politik in allen ostdeutschen Bundesländern. Eine Enquetekommission des Brandenburger Landtags hatte schon vor vielen Jahren die Entwicklung als „kritisch“ beschrieben und dem Bund vorgeworfen, die Preise zu treiben.

Ein perfektes Beispiel für die Problematik

Wie groß der Handlungsbedarf wäre, um ländliche und dörfliche Strukturen zu erhalten, geht aus einer Studie des Braunschweiger Thünen-Instituts hervor. Diese Einrichtung zur Erforschung ländlicher Räume sowie der Land- und Forstwirtschaft hat 2015 erstmals den Wechsel der Kapitaleigentümer von landwirtschaftlichen juristischen Personen, das sind GmbHs, AGs und Genossenschaften, in Ostdeutschland untersucht. Diese bewirtschaften fast 57 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen.

In der Studie ging es um die „überregional aktiven Investoren“, die die Geschäftsanteile der Agrargesellschaften kaufen, meist von Ortsansässigen. Damit kontrollieren sie die Eigentumsflächen dieser Betriebe. Die Studie wurde 2017 vertieft und um zwei Landkreise aus Brandenburg erweitert. Das Ergebnis hat den Druck auf die Politik noch mal erhöht.

36 Prozent der untersuchten Agrarunternehmen in Brandenburg gehören überregional aktiven Investoren. Davon kommt fast die Hälfte aus nicht-landwirtschaftlichen Branchen. Mit diesem Anteil steht Brandenburg an zweiter Stelle der Bundesländer hinter Mecklenburg-Vorpommern.

Röderland passt als Beispiel perfekt zur Problematik. Hier konkurriert der Landwirt, der einen Familienbetrieb gründen will, mit dem Orts- und Branchen-fremden Investor. Deshalb interessiert sich auch der Landwirtschaftsminister besonders für das Geschäft. Axel Vogel will einer Sprecherin zufolge die Angelegenheit überprüfen lassen, wenn er einen rechtlichen Ansatz findet.

Minister Vogel hat schon als Fraktionsvorsitzender der Grünen ein Agrarstrukturgesetz gefordert, das es leichter machen soll, Großinvestoren vom Bodenmarkt fernzuhalten. Im Entwurf liegt es vor, doch gibt es Streit und Gezerre darum. Das sind – wie bei Röderland in Bönitz – eben immer auch die Anteilseigner, die möglichst viel Geld aus einem Verkauf mitnehmen wollen, Dorfstrukturen hin oder her.

Der Druck auf den Markt, so heißt es im Landwirtschaftsministerium, werde in den kommenden Jahren zunehmen. Viele Großbetriebe, die nach dem Mauerfall aus den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) hervorgegangen waren, stehen in den kommenden Jahren zum Verkauf oder zur Übernahme: die, denen sie heute gehören, werden in Rente gehen.

Der Großinvestor hält sich mit Aussagen zurück

Und nun? In der Bönitzer Kommunalpolitik erwartet man, dass Quarterback die Röderland-GmbH übernehmen wird. Das Leipziger Unternehmen hält sich mit Aussagen zurück. Fragen werden schriftlich beantwortet – durch die Immocom. Events. Media. Agency.

Nicht mal zu den Summen mag man sich äußern: „Da sich das Verkaufsverfahren noch in Abwicklung befindet, dürfen wir uns nicht zu etwaigen Kaufsummen äußern.“ Ansonsten versichert man, die Landwirtschaft fortführen zu wollen. „Dafür ist die Expertise der Belegschaft nötig und das erarbeitete Zukunftskonzept von Belegschaft samt Geschäftsführung aus unserer Sicht schlüssig.“ Man garantiere den Beschäftigten „eine Anstellung für mindestens fünf Jahre“.

Ähnlich bedeckt hält sich Röderland-Geschäftsführer Höppner. Er spricht von einer „rund 90 Prozent“ betragenden Mehrheit für den Verkauf an Quarterback. Auf die Frage, ob es politische Einmischungsversuche gebe, schreibt Höppner: „Durch den unterlegenen Kaufinteressenten ist nicht nur eine politische Einmischung, sondern auch eine öffentliche Einmischung in privatwirtschaftliche Entscheidung sehr stark zu spüren.“

Landwirt Lemm versichert derweil, er halte an seinem Angebot fest. „Wir wollen dort heimisch werden und uns in das Gemeindeleben einbringen. Unsere Steuern werden wir vor Ort zahlen.“

Transparenz-Hinweis: Eine frühere Fassung des Textes enthält in der Passage über die Studie des Thünen-Instituts missverständliche Formulierungen. Die Passage wurde im Sinn des Verfassers der Studie überarbeitet.

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