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 Ein Schiff der Friedenstruppe der Vereinten Nationen (UN) sichert ein Gebiet vor der Küste des Dorfes Nakura, in dem sich die Delegationen aus Israel und Libanon treffen werden. Israel und der Libanon haben nach jahrzehntelangem Streit ein Abkommen zur gemeinsamen Seegrenze im Mittelmeer unterzeichnet.

© Foto: dpa/Marwan Naamani

Abkommen über Seegrenze zwischen Libanon und Israel: Die Hoffnung auf Gaseinnahmen macht es möglich

Die wirtschaftliche Not in Libanon hat selbst die Hisbollah an Bord gebracht. Damit ist die Region ist vorläufig stabilisiert. Ein Gastbeitrag.

Von Maha Yahya

Nach jahrzehntelangem Streit haben Libanon und Israel am Donnerstag ein historisches Abkommen zur gemeinsamen Seegrenze im Mittelmeer unterzeichnet. Auch wenn dies noch lange kein Friedensvertrag zwischen beiden Ländern ist, so bedeutet das Abkommen doch, dass beide Seiten nun ein wirtschaftliches Interesse daran haben, die Ruhe entlang ihrer gemeinsamen Grenzregionen aufrechtzuerhalten. Dies wird die Gefahr eines Kriegsausbruchs zwischen beiden Ländern verringern und kann die Tür für weitere politische Verhandlungen in der Region öffnen.

Das Abkommen ermöglicht die Erkundung von Offshore-Gasvorkommen, die entlang der jeweiligen Küsten der beiden Länder vermutet werden – ein klar abgegrenztes Offshore-Gebiet für den Libanon und ein weiteres für Israel.

Israels Ministerpräsident Jair Lapid unterschrieb die Vereinbarung am Donnerstag in Jerusalem, das libanesische Staatsoberhaupt Michael Aoun im Präsidentenpalast bei Beirut, wie beide Seiten separat mitteilten. Anschließend wurden die Dokumente auf einem Stützpunkt der Vereinten Nationen in Nakura im Süden des Libanons dem US-Vermittler Amos Hochstein übergeben.

Keine abschließende Einigung über Landgrenze

Der Status der umstrittenen Grenzgebiete zu Lande wird in dem Abkommen nicht abschließend geregelt, und eine in letzter Minute vorgenommene Änderung besagt, dass die von Israel zur Abgrenzung seiner Seegrenze aufgestellten Bojen nicht offiziell sind, auch wenn sie im Abkommen zur Kenntnis genommen werden.

Als Teil des Abkommens haben sich die Vereinigten Staaten bereit erklärt, Israel Sicherheitsgarantien für den Fall eines Angriffs der Hisbollah auf israelische Interessen zu geben und der Hisbollah jegliche Einnahmen aus den Gaseinnahmen zu verweigern.

Diese Einigung wäre ohne einen seltenen Konsens zwischen den politischen Parteien des Libanon und die Unterstützung zweier wichtiger politischer Gruppen, der christlich dominierten Freien Patriotischen Bewegung (FPM) und der Hisbollah, nicht zustande gekommen.

Ein Sieg für Libanons Präsident Aoun, dessen Amtszeit am 31. Oktober endet

Die Einigung verschafft Staatspräsident Michel Aoun (FPM), dessen Amtszeit am 31. Oktober endet, einen wichtigen Sieg in einer Zeit, in der das Land den katastrophalsten wirtschaftlichen und institutionellen Zusammenbruch seiner jüngeren Geschichte erlebt.

Die Weltbank hat diesen Zusammenbruch als absichtliche Depression bezeichnet, die auf die Weigerung der politischen Führung des Landes zurückzuführen ist, Strukturreformen einzuleiten, die ihren Einfluss auf die Institutionen des Landes lockern und ihre Patronagenetze schwächen würden. Heute hat das libanesische Pfund mehr als 90 Prozent seines Wertes verloren, die Inflation wird auf rund 180 Prozent geschätzt, und 60 Prozent der Bevölkerung leben in Armut.

In diesem Zusammenhang ist auch die Unterstützung der Hisbollah für das Abkommen zu verstehen. Der landesweite sozioökonomische Zusammenbruch hat zu erheblicher Unzufriedenheit in der eigenen Wählerschaft der Partei geführt. Das Abkommen bietet die Aussicht auf künftiges Wirtschaftswachstum und gibt Hoffnung, dass die katastrophale Wirtschaftslage sich verbessert.

Die Hisbollah ist derzeit nicht an einem Krieg interessiert.

Maha Yahya

Darüber hinaus würde ein militärischer Konflikt trotz der verschärften Rhetorik der Hisbollah gegenüber Israel verheerende Folgen für die Partei selbst haben und ihre wachsende regionale Rolle beeinträchtigen. Aus diesem Grund ist die Hisbollah nicht an einem Krieg interessiert.

Und die geopolitische Dynamik, die weltweite Beschäftigung mit dem Ukraine-Konflikt und die Bemühungen um eine Deeskalation an den meisten regionalen Konfliktlinien haben zu einem politischen Umfeld beigetragen, das dem Abkommen insgesamt förderlich ist.

Israels Premierminister Yair Lapid unterzeichnet das Abkommen mit Libanon.

© Foto: IMAGO/Amos Ben Gershom

Für Israel wird das Abkommen wohl erhebliche wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen: Karish, eines der Gasfelder, enthält nach israelischen Schätzungen 1,75 Billionen Kubikfuß Gas im Wert von 3 Milliarden Dollar. Es kann auch als politischer Sieg für Premierminister Yair Lapid im Vorfeld der Wahlen am kommenden Dienstag betrachtet werden, bei denen er um den Erhalt seiner Mehrheit in der Knesset kämpfen muss.

Das Abkommen kann dazu führen, dass bereits ausgehandelte Vereinbarungen über die Versorgung des Libanon mit Gas aus Ägypten und Strom aus Jordanien, in beiden Fällen über Syrien, umgesetzt werden. Diese Abkommen scheinen zum Teil dadurch verzögert worden zu sein, dass Washington keine Zusagen gemacht hat, um Ägypten und Jordanien vor den Auswirkungen des Caesar Act zu schützen, einem US-Gesetz, das Sanktionen gegen Länder vorsieht, die in erheblichem Umfang mit Syrien Geschäfte machen.

Mittel- bis langfristig stellt das Abkommen eine wirtschaftliche Rettungsleine für den Libanon dar, auch wenn es Jahre dauern wird, bis Gas und Geld fließen. Die Dividenden würden sich nicht auf die Einnahmen aus den Gasfeldern beschränken, sondern auf die damit verbundenen Industrien ausdehnen und Arbeitsplätze schaffen.

Eine Hauptsorge der Libanesen besteht darin, dass ihre politische Führung dieses Abkommen als Vorwand nutzen könnte, um eine Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds abzulehnen, die zehn Reformen im Gegenzug für eine Hilfe in Höhe von drei Milliarden US-Dollar vorsieht.

Dann würden die Einnahmen aus den Gasfeldern von der regierenden politischen Klasse für die Aufrechterhaltung ihrer Klientelnetzwerke vergeudet werden und die notwendigen strukturellen Veränderungen weiter verzögern. Der Druck auf das Parlament wird nun zunehmen, einen Staatsfonds einzurichten, der die Einnahmen des Landes für künftige Generationen sichern kann.

Auf israelischer Seite hat die Unterzeichnung des Abkommens durch eine Regierung kurz vor den Wahlen Zweifel an der Legitimität des Abkommens aufkommen lassen. Dort werden bereits Forderungen nach einem Referendum laut, und es wird behauptet, das Abkommen bedürfe der Zustimmung der Knesset und nicht nur der Überprüfung, wie die Regierung behauptet.

Aber die israelische Regierung hatte mit der Unterzeichnung eines ähnlichen Abkommens über die Seegrenze mit Zypern ohne Referendum einen wichtigen Präzedenzfall geschaffen.

Obwohl dieses Abkommen in vielerlei Hinsicht historisch ist, bedeutet es nicht die Einstellung der Feindseligkeiten. Dazu muss erst der palästinensisch-israelische Konflikt gelöst werden. Die Vereinbarung zeigt jedoch, dass sich die Beziehungen zwischen dem Libanon und Israel in einem Schwebezustand befinden, in dem es keinen Krieg und keinen Frieden gibt.

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