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Mathias Döpfner.

© dpa/Britta Pedersen

Ostdeutsche Faschisten oder Kommunisten? : In den westdeutsch geprägten Eliten denkt womöglich nicht nur Döpfner so

Die Chatnachtrichten des Springer-Chefs offenbaren ein verbreitetes abschätziges Desinteresse für einen Teil von Deutschland. Dabei gibt es DIE OSTDEUTSCHEN gar nicht.

Ein Kommentar von Robert Ide

Jetzt kommt’s hart für Mathias Döpfner, aber man darf es ihm nicht ersparen: DIE OSTDEUTSCHEN gibt es gar nicht.

Die allermeisten Menschen zwischen Ostsee und Erzgebirge, die der Springer-Chef pauschal als „entweder Kommunisten oder faschisten“ schmäht, sind verrückterweise weder das eine noch das andere. Die meisten sind - wie die lokale Wahlbeteiligung und die Gesamtergebnisse trotz manch schlimmer Aussetzer immer wieder zeigen - Demokratinnen und Demokraten.

In Ostdeutschland wurden gar Demokratie und Freiheit trotz Angst vor brutaler Niederschlagung friedlich herbeidemonstriert - mit einem Mut, den der am Main aufgewachsene Mathias Döpfner nie aufbringen musste.

Döpfner wohnt selbst im angeblich kommunistisch-faschistischen Feindesland

Natürlich ist Ostdeutschland über Generationen hinweg von Diktaturen geprägt worden, Verformungen sind in den Seelen vieler Menschen eingegerbt. Döpfners Schluss daraus ist allerdings noch dumpfer und derber als manche Schlagzeile der von ihm verantworteten „Bild“-Zeitung - sie lautet: „Die ossis werden nie Demokraten. Vielleicht sollte man aus der ehemaligen ddr eine Agrar und Produktions Zone mit Einheitslohn machen.“

Die internen Chatnachtrichten von Deutschlands mächtigstem Verleger, die die „Zeit“ nun veröffentlicht hat und die dieser inzwischen als „aus dem Zusammenhang“ gerissene „Text- und Gesprächsschnipsel“ einzufangen versucht, sind erschütternd.

Sie zeigen nicht nur das engstirnige Weltbild eines abgehobenen Aktivisten, der offenbar Journalismus mithilfe seines haufenweise geschenkt bekommenen Geldes und seiner elitären Kontakte als bloßes Werkzeug zur Veränderung des Landes nach seiner politischen Agenda betrachtet und angesichts dessen skandalöserweise viel zu lange Chef des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) war.

In den westdeutsch geprägten Eliten denkt womöglich nicht nur Döpfner so

Sie offenbaren auch ein noch 34 Jahre nach dem Mauerfall durchaus verbreitetes abschätziges Desinteresse für einen Teil von Deutschland - auch eine Arroganz, die angesichts angeblich fehlender Dankbarkeit vieler Ostdeutscher für die Wiedervereinigung zuweilen in offene Abscheu umschlägt.

In den westdeutsch geprägten Eliten des vereinten Landes denkt womöglich nicht nur Döpfner auf diese Art über Ostdeutschland und übersieht dabei absichtsvoll die Vielfalt der Lebensläufe schon zu DDR- und erst recht in den fortdauernden Umbruchzeiten. Verrückt nur, dass Döpfner selbst in Potsdam wohnt, mitten im von ihm wohl so verhassten Osten, mitten im angeblich kommunistisch-faschistischen Feindesland.

Jetzt kommt’s auch hart für Dirk Oschmann, aber man darf es auch ihm nicht ersparen: DEN OSTEN gibt es nicht, auch nicht den angeblich von den Westdeutschen erfundenen. Mit dieser Behauptung stürmt der Literaturwissenschaftler aus Thüringen zwar gerade die Bestsellerlisten, aber seine zwischen zwei Buchumschläge gepackte Wutrede über die angeblich flächendeckende Diskriminierung der Ostdeutschen ist am Ende leider auch nicht viel mehr als das, was er auf der anderen Seite zu enttarnen vorgibt: einseitiger Populismus.

Auch der Autor Dirk Oschmann polarisiert.
Auch der Autor Dirk Oschmann polarisiert.

© Jakob Weber/ullstein Verlag

Oschmann bedient die in der ostdeutschen Öffentlichkeit, die auch aufgrund der jahrelangen Ostalgie-Programme insbesondere von MDR und „Super Illu“ noch immer als eigene Öffentlichkeit funktioniert, verbreitete Sehnsucht nach einem Schuldigen für einst enttäuschte, zuweilen zu überbordende Hoffnungen. Für ihn und viele andere ist dies ganz plump und einfach: der Westen.

So behauptete Oschmann im Tagesspiegel-Interview sogar: „Der Westen ist mitverantwortlich für den Rechtsextremismus im Osten.“ Dabei haben sich dafür - wie auch für die hastige Einheit - vor allem viele Ostdeutsche mit ihrem Tun und ihren Unterlassungen selbst zu verantworten. Aber es ist eben leichter, mit dem Finger auf andere zu zeigen, anstatt sich zu hinterfragen.

Tausendfach aufgewärmte Ossi-Wessi-Debatten

Die schon tausendfach aufgewärmten und nur noch flau schmeckenden Ossi-Wessi-Debatten der frühen Neunzigerjahre feiern im Buchladen und an den digitalen Zeitungskiosken ihre unfröhliche Urständ. Nun werden sie auch noch einmal befeuert von der arg eingeschränkten Weltsicht von Deutschlands mächtigsten Verleger, dessen Beschimpfungen vielen Ostalgie-Anhängern ihr eigenes engstirniges Weltbild bestätigen dürfte.

Ob die „Bild“-Zeitung fähig ist, sich von dumpfen Vorurteilen auch ihres eigenen Verlegers mit unabhängigem und auf die Menschen neugierigen Journalismus zu emanzipieren, wird sich schon ab Montag zeigen. Dann tritt mit Robert Schneider ein Leipziger sein Amt als neuer „Bild“-Chefredakteur an.

Natürlich gibt es in Ostdeutschland noch Defizite in der auch auf dem weiten Lande lebendigen Demokratie. Natürlich sind viele Zustandsbeschreibungen von Oschmann richtig, wenn auch überhaupt nicht neu: Tatsächlich gibt es viel zu wenige Ostdeutsche selbst in ostdeutschen Führungspositionen, tatsächlich gibt es ein sichtbares Diskursgefälle in Politik, Medien und Gesellschaft zu den Strukturproblemen in Ostdeutschland nach der schnellen Einheit, natürlich verdienen und vererben Ostdeutsche viel weniger als Westdeutsche und haben das nach harter Lebensleistung so gar nicht verdient.

Carsten Schneider, Ost-Beauftragter der Bundesregierung, hält Mathias Döpfner für nicht mehr tragbar.
Carsten Schneider, Ost-Beauftragter der Bundesregierung, hält Mathias Döpfner für nicht mehr tragbar.

© imago images/photothek

Aber jammern deshalb wirklich alle permanent rum? Eigentlich nicht. Nach vielen harten Jahren des Berappelns und der Lösung von einer heruntergewirtschafteten und von der Staatspartei SED ausgepressten Planwirtschaft gibt es sie in Ostdeutschland tatsächlich: viele blühende Landschaften.

Es entstehen neue Zukunftsfabriken für Speicherchips, Elektroautos und erneuerbare Energien, es werden nachhaltige und demokratische Lebens- und Beteiligungsmodelle auch auf dem Land gelebt. Die noch immer dünnere Zivilgesellschaft wehrt sich stärker gegen rechte Auswüchse als noch in den späten Neunzigerjahren.

Manche in den Westen abgewanderte Menschen oder ihre Kinder kehren in die alte Heimat zurück, um an der Zukunft mitzubauen. Ostdeutschland ist in vielen Lebensbereichen und Facetten, ja auch den Problemen von langsamer Digitalisierung, andauerndem Fachkräftemangel und drückender Teuerung längst gesamtdeutsch. Aber auch im Willen, das Leben in unsicheren Zeiten frei und demokratisch selbst zu gestalten.

Ostdeutschland ist viel weiter als es der abwertende, in Teilen selbst die Demokratie gefährdende Populismus von Mathias Döpfner wahrhaben will. Und auch weiter als die nächste plump geführte Ost-West-Schuldzuschieberei, an der mit Vorurteilen weiter Geld verdient wird. DER OSTEN, der ach so dumpf ticken soll und ach so böse abgehängt worden ist, den gibt es so gar nicht. Es gab ihn nicht mal in der DDR.

DIE OSTDEUTSCHEN - das ist eine Erfindung des Populismus.

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