zum Hauptinhalt
Giorgia Meloni, Italiens neue Ministerpräsidentin

© imago/Luigi Strulli

Italienisch-ungarische Liebe im Wartestand: Noch braucht Giorgia Meloni die EU mehr als Orbán. Das wird sich ändern

Italien ist Kernmitglied der Eurozone, das erklärt die bisher versöhnliche EU-Politik der neuen Regierungschefin. Ihr Gesinnungspartner aus Budapest übt sich in Geduld. Ein Gastbeitrag.

Die Bildung der neuen italienischen Regierung unter der Führung der rechtsextremen Politikerin Giorgia Meloni wurde von Viktor Orbáns Umfeld freudig begrüßt. Sowohl der Ministerpräsident als auch Ungarns neue Präsidentin Katalin Novák veröffentlichten Fotos, auf denen sie mit Meloni zu sehen sind, die nach dem Zusammenbruch von Mario Draghis Regierungskoalition schlagartig populär geworden ist.

Die Orbán-Verbindungen der neuen italienischen Ministerpräsidentin reichen bis ins Jahr 2019 zurück, als Meloni und Anhänger ihrer rechtsextremen, postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia Orbán bei einem Treffen euroskeptischer Parteien mit stehenden Ovationen begrüßten und „ragazzi di Buda, grazie, grazie!“ („Junge Leute von Budapest, danke, danke!“) skandierten.

Für Orbán sind solche Flirtereien nichts Neues. Sie reichen bis Mitte der 1990er zurück. Er ist ein Fan von Silvio Berlusconi; von ihm lernte er den Umgang mit den Medien und das Aufbauen einer politischen Basis. Seine Verbindungen umfassen auch eine enge Freundschaft mit Lega-Chef Matteo Salvini, mit dem er im Vorfeld der Europawahlen 2018 eine Anti-Migrations-Initiative ins Leben rief und 2019 als „Jahr der Revolte“ bezeichnete.

Zwei, die sich verstehen: Matteo Salvini (rechts) und Viktor Orban

© dpa/Daniel Dal Zennaro/ANSA/AP

Mit Giorgia Meloni könnten die Dinge jedoch anders liegen, zumindest auf kurze Sicht. Denn obwohl Orbán und Meloni eine Art geschwisterliches Verhältnis zu pflegen scheinen, war Melonis erste internationale Amtshandlung als Ministerpräsidentin ein Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Anschließend sprach sie mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, und sicherte Berichten zufolge Italiens anhaltende Unterstützung für die Sanktionspolitik der EU-27 gegen Russland sowie für deren Energie- und Migrationspolitik zu.

Italien ist ein europäisches Kernmitglied der Eurozone, und so könnte das gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis mit der EU Melonis zunächst versöhnliche Haltung gegenüber den traditionellen Verbündeten ihres Landes erklären.

Ins Amt gekommen ist Meloni vor dem Hintergrund einer sprunghaft angestiegenen Inflation (die Staatsverschuldung liegt bei 160 Prozent des BIP) und einer Energiekrise, die in diesem Winter vermutlich ganz Europa in Bedrängnis bringen wird.

Zu ihre populistischen Wahlversprechen gehörte, eine Koalition mit Partnern zu erhalten, deren persönliche Interessen auf dem Prüfstand der EU stehen. Um dies einzulösen und zudem zur Vermeidung eines Staatsbankrotts Wirtschaftsreformen durchzuführen, muss ihr ein Spagat zwischen widerstreitenden Anforderungen gelingen. Zur Bewältigung dieser Aufgaben wird sie gute Beziehungen zu den mächtigsten europäischen Politikern wie Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz pflegen müssen.

Orbán ist zwar ein ideologischer Verbündeter, wird aber vorerst das Nachsehen haben, zumal er sich den Interessen Russlands anschließt und den Ukraine-Hilfspaketen der EU reserviert gegenübersteht. Die Zusammenarbeit wird trotzdem kommen, und sie dürfte für beide Seiten gewinnbringend sein.

Orbán verspricht sich von Meloni Zugang zur EU-Spitze

Mit „strategischer Geduld“ hat Orbán einen weiteren Sieg einer Rechtsaußenpartei in Europa abgewartet. Von Melonis Präsenz im oberstem Entscheidungsgremium Europas verspricht er sich eine bessere Positionierung bei maßgeblichen europäischen Treffen und neue Möglichkeiten, die Richtung der EU zu beeinflussen.

Gleichzeitig kann er, aufbauend auf seinen 16 Jahren an der Macht, seine vergleichsweise jungen Verbündeten unterstützen und ihnen Ratschläge für die Verhandlungen mit Brüssel erteilen, und, was noch besorgniserregender ist, auch für den Machterhalt.

Orbán weiß, wie Machterhalt funktioniert.

© Imago

Der tägliche Kampf beginnt hier mit drastischer Sprache und polarisierenden Narrativen, die die Öffentlichkeit radikalisieren und die Opposition im In- und Ausland lähmen. Es muss nicht einmal Aufgabe von Orbán oder Meloni als Regierende sein, eine solche Ausdrucksweise zu verwenden, eher schon die ihrer politischen Verbündeten.

In Ungarn fällt diese Aufgabe ausnahmslos László Kövér zu, dem Präsidenten der ungarischen Nationalversammlung, der seine Besorgnis über den so genannten „Genderwahn“ des Landes zum Ausdruck brachte und darlegte, warum das Volk mit Moskaus Bestrebungen in der Ukraine sympathisieren sollte.

Die Macht, die Orbáns Ideologie schmiedet, hängt zudem nicht mit konsistenten Inhalten zusammen, sondern mit einem stetigen Kampf. Erfolgreich kombiniert er ein Selbstbewusstsein nach amerikanischem Vorbild mit einer Politik der Empörung und deutet ethnischen Nationalismus in Zivilisationsangst um.

Er machte sich Narrative des politischen Christentums zunutze, die das Christentum seiner moralischen Prinzipien beraubt haben, und formte ganz unterschiedliche Gruppen wie die katholische Mittelschicht, die Älteren auf dem Land und Fußball-Hooligans zu einer wohlwollenden Wählerschaft.

Die USA dienen Orbán als Vorbild

Einer seiner großen Erfolge besteht darin, dass er immer seine Rhetorik mit Krisendiskursen in anderen Teilen der Welt zu verknüpfen weiß. Seine Verweise auf die Situation in den USA und seine sich ausweitende Partnerschaft mit der radikalen republikanischen Rechten sind diesbezüglich höchst aufschlussreich.

Orbáns alles vereinendes Narrativ allerdings bleibt „Ungarn zuerst“. Dem ungarischen Volk beteuert er seinen Respekt, und im Zuge seiner sogenannten „Verteidigung“ der „Nation“ unterdrückt oppositionelle Stimmen. Innerhalb von zwölf Jahren hat seine regierende Fidesz-Partei zehn Mal die Verfassung und mehr als 20 Mal die Wahlbestimmungen geändert, um ihre Macht zu festigen.

Ungarns Regierungspartei sehnt sich nach einem „Europa der Nationen“, das weniger regelbasiert und weniger interventionistisch ist, dafür aber umso politischer und opportunistischer. Orbán strebt an, dass Meloni und andere rechte Parteien in Europa dieses Lager stärken und letztlich die EU verändern und ihre herrschenden Prinzipien von innen heraus untergraben.

Trotz der drei Jahrzehnte, in denen die Populisten in Italien das Sagen hatten, blieben die demokratischen Institutionen des Landes standhaft: Italien ist auch heute noch eine liberale Demokratie. Steht allerdings die Stabilität auf dem Spiel, können radikale Lösungen als attraktiver angepriesen werden als politische Institutionen und Gewaltenteilung.

Es bleibt abzuwarten, ob Melonis neue Regierungskoalition den Weg Ungarns einschlagen will. In ihrer Freundschaft mit Orbán werden sie jedoch nicht nur einen Berater, sondern auch einen Verbündeten haben, der sie gegebenenfalls in solchen Bestrebungen unterstützt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false