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Der russische Präsident Wladimir Putin ist auf einem Bildschirm zu sehen, während er an der Plenarsitzung des Östlichen Wirtschaftsforums EEF 2022 teilnimmt.

© Grigory Sysoev/Imago/SNA

Putin blickt der Niederlage ins Auge: Jetzt muss der Westen schnell handeln

Der ukrainische Blitzvorstoß im Osten sorgt weltweit für Aufsehen. Russland scheint überrumpelt. Für Europa und die USA heißt es jetzt: All in!

Ein Kommentar von Benjamin Reuter

| Update:

In den vergangenen Tagen ist etwas passiert, womit kaum ein Militärexperte gerechnet hat, wohl keine westliche Regierung und schon gar nicht die Militärstrategen im Kreml: Kiews Truppen haben überfallartig einen erheblichen Teil des von Russland besetzten Territoriums im Osten des Landes zurückerobert. So jedenfalls lauten übereinstimmende Berichte von der Front. Die Folge: Russland könnte in den kommenden Tagen die gesamte Region Charkiw im Nordosten verlieren.

Nach dem Rückzug aus der Umgebung von Kiew im Frühjahr wäre das die zweite herbe Niederlage für Russlands Präsident Wladimir Putin und seine Truppen.

Hinzu kommt: Auch im Süden, in Cherson, gerät seine Armee erheblich unter Druck. Die Kiewer Regierung und die ukrainischen Militärs haben ein machtvolles Zeichen gesetzt. Dem eigenen Volk, den Staatenlenkern im Westen und Moskau wird bedeutet: Wir können unser Land zurückerobern, wir können gewinnen. In der Ukraine selbst gab es daran ohnehin kaum Zweifel, im Westen eher, vom Kreml zu schweigen.

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Unmittelbar stellen sich jetzt zwei Fragen: Wie reagiert Wladimir Putin? Und was kann und sollte der Westen tun?

Die Gefahr eines großen Landkriegs in Europa wäre auf absehbare Zeit gebannt

Die zweite Antwort ist vergleichsweise einfach. Die Ukraine, die jetzt das Momentum halten und wenn möglich verstärken muss, braucht umgehend alles verfügbare Material, das eine schnelle Offensive unterstützt und auch in anderen Landesteilen ermöglicht: gepanzerte Truppentransporter, Kampfpanzer, Artillerie und Mehrfachraketenwerfer. Bei allem kann sich Deutschland bedeutend mehr beteiligen als bisher, Europa ohnehin.

Das Argument, dass die Bestände der Bundeswehr dann fehlten, zieht immer weniger. Die Rüstungshersteller können aus eigenen Beständen liefern. Experten gehen zudem davon aus, dass Russlands Armee bei einer Niederlage auf Jahre hinaus kriegsunfähig wird – die Gefahr eines großen Landkriegs in Europa wäre auf absehbare Zeit gebannt. Die Bestände der westlichen Armeen können in dieser Zeit gefüllt werden. Ukrainische Soldaten kommen bis auf die modernsten westlichen Panzer mit allen Systemen zurecht; dass sie neues Gerät schnell beherrschen, haben sie inzwischen bewiesen.

Aber was bedeuten die ukrainischen Erfolge und mehr westliche Waffen für die Situation, die Stimmung im Kreml? Wladimir Putin bleiben nicht mehr viele Mittel. Die Energielieferungen aus Russland in Richtung Europa gehen gen Null; der Gashahn fällt als Drohung aus.

Auch militärisch schwindet Russlands Handlungsspielraum. Selbst wenn der Kremlherrscher nun offiziell den Kriegsfall ausriefe, würde eine generelle Mobilmachung Monate dauern. Dass sie erfolgreich verlaufen würde, bezweifeln Beobachter außerdem. Der russischen Armee fehlen inzwischen die Offiziere und Experten, um Soldaten auszubilden. Zu viele von ihnen haben in der Ukraine ihr Leben verloren. Hinzu kommen zunehmende Mängel an Munition und Gerät.

Ganz abgesehen davon, dass Putin die Mobilmachung aus innenpolitischen Gründen keinesfalls ausrufen will. Denn das würde das Eingeständnis bedeuten, dass es sich eben nicht um eine „militärische Spezialoperation“ handelt, sondern um einen echten Krieg mit all seinen furchtbaren Folgen.

Diesen Realitätsschock wird Putin den Russen ersparen wollen. Und es würde auch die bisher beharrlich wiederholten Erklärungen, in der Ukraine laufe alles nach Plan, in Frage stellen. Was nicht gut wäre für die Unangreifbarkeit von Putin. Auch ein Autokrat muss halbwegs konsistent argumentieren.

Der Krieg in der Ukraine steht an einem Kipppunkt. Die Risiken für den Westen bei einem stärkeren Engagement werden geringer, die möglichen Erfolge größer. Deshalb sollte das Motto von Berlin bis Washington nun heißen: all in!

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