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Deutschlands Alexandra Popp beim WM-Aus gegen Südkorea.

© dpa/Sebastian Gollnow

Fußball-Frust, Herbstwetter, Wirtschaftsflaute: Wider den deutschen Triefsinn – wir müssen mehr Optimismus wagen

Den Deutschen drückt gerade vieles aufs Gemüt. Doch dem negativen Zeitgeist kann man auch mal ein entspanntes Lächeln entgegensetzen.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Noch ist im Kalender Hochsommer. Aber draußen haben wir eher schon Herbst. Und tiefe Wolken ziehen übers deutsche Gemüt auf vielen Feldern.

Jetzt auch auf dem Spielfeld der Fußballfrauen, die mit ihrem unerwarteten WM-Aus das Schicksal ihrer männlichen Kollegen auf verblüffend ähnliche Weise spiegeln. Wer die TV-Übertragung aus Brisbane sah, glaubte sich mit der Erinnerung an die Männerdebakel in Russland und Katar wie in einer Zeitschleife gefangen. Das freilich passt zur aktuellen Gesamtstimmung.

Wir Journalisten haben uns oftmals geschworen, Fußball und Politik, Sport und Kultur nicht allzu schnell in Analogien zu setzen. Also glanzvolle Europa- und Weltmeisterschaften Anfang der 1970er Jahre nicht gleich mit Willy-Brandt-Triumphen oder spätere fußballerische Abstürze und Lähmungen nicht mit dem Niedergang der Kohl-Herrschaft oder der späten Merkel-Ära zu parallelisieren.

Doch manchmal drängen sich die Vergleiche derart auf, als würde auch in den höchst unterschiedlichen Sphären ein gemeinsamer Zeitgeist Regie führen.

Untergangsfantasien machen sich breit

Eine leichte, lange nicht gekannte Rezession lässt Deutschland plötzlich als ökonomisch kranken Mann (oder Frau) Europas erscheinen.

Die etablierten, demokratischen Parteien starren ohne bisher zündende Gegenideen auf das Umfragehoch der rechtsextremen AfD, etliche Wirtschaftsverbände warnen vor dem industriellen Abstieg Deutschlands, Kulturpessimisten sehen ihre Welt verstrickt in einem Kokon aus Genderdebatten, Rassismusalarm, KI-Ängste, Untergangsfantasien.

Zudem haben nun die jungen Kickerinnen noch den vermeintlich letzten Sommerspaß, das emotionale Entlastungshoch vermasselt. Aber wäre nicht auch einmal ein anderer, entspannterer Blick angesagt, der dem allgemeinen Mollgrimm mit einem Lächeln begegnet?

Im jüngsten Fußball-Fall könnten wir uns, nach der spontanen Enttäuschung, doch durchaus freuen, dass Länder wie Kolumbien, Marokko oder Jamaika und Nigeria, deren Frauen womöglich auch die gesellschaftliche Ermutigung dringender brauchen, neue Frische, Farbe, Fantasie ins Spiel bringen.

Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit lähmen den deutschen Fußball, vom DFB als Verband bis in viele Clubs, schon viel zu lange. Das hat auf die Nationalmannschaften übergegriffen, bei denen nicht individuelle Talente, aber Spielwitz und Spirit fehlen.

In Deutschland wird Triefsinn tatsächlich oft mit Tiefsinn verwechselt.

Peter von Becker

Eine merkwürdige Parallele gibt es auch in der Politik. Der Papierform nach ist die Bundesregierung ja gleichfalls mit Talenten besetzt. Natürlich war etwa die Heizungsdiskussion kein Geniestreich von Robert Habeck und seinen Grünen. Doch mit Habecks Politik hat Deutschland den ersten Kriegswinter seit 1945 ziemlich gut gemeistert.

Überhaupt sollte man angesichts von Pandemie, Ukraine-Krieg, Inflation, Migration und globalem Klimawandel die immensen, immer komplexeren Herausforderungen der Politik derart bedenken, dass neben aller demokratisch kontrollierenden Kritik die Achtung nicht verloren geht.

Die Gefahr des extremen Populismus wird erst groß, wenn die sogenannte Politikverdrossenheit in Verachtung und Hass umschlägt: gegenüber „der Politik“ ebenso wie gegenüber der rechtsstaatlichen Demokratie und ihren Parteien.

Das deutsche Tief als soziales Gefühlstief hängt auch an der meist bleischweren Kommunikation. Da klagt soeben Dirk Jandura, Präsident des deutschen Außenhandelsverbands, die Stimmung sei „so schlecht wie seit vielen Jahren nicht mehr“.

Obwohl die deutschen Exporte im ersten Halbjahr um 3, 5 Prozent gestiegen sind. Und BMW-Chef Oliver Zipse warnt vor der „Deindustriealisierung“ Deutschlands, während er gerade neue Rekordgewinne für seinen Autokonzern erwartet. Bizarr.

In Deutschland wird Triefsinn tatsächlich oft mit Tiefsinn verwechselt. Doch nicht alles, was aufs Gemüt drückt, hat dauerhaftes Gewicht.

Mehr Optimismus wagen, wäre nach allen Unkenrufen und Untergangsklagen hier durchaus ein politisches, kulturelles, soziales Programm. Das hätte nichts mit Naivität zu tun, eher mit jener Vitalität, die dann auch Veränderungen bewirkt.

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