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Macron und Scholz vor dem Brandenburger Tor.

© Foto: Michael Kappeler/dpa

Wie der Ukrainekrieg die EU erschüttert: Vom deutsch-französischen „Motor“ der EU ist nicht viel übrig

In Frankreich wird das bedauert, in Deutschland kaum wahrgenommen. Die Ampelkoalition muss die Kooperation mit Paris suchen – die EU braucht diese Doppelachse.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Rien ne va plus – nichts geht mehr zwischen Berlin und Paris. Kurz vor dem Europäischen Gipfel, der eine Antwort auf die Energiekrise liefern soll, sind die tiefgreifenden Divergenzen zwischen Frankreich und Deutschland brutal zutage getreten: Der für nächste Woche geplante deutsch-französische Ministerrat wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Man war sich bei zu vielen Themen uneins. Der deutsch-französische Motor, der jahrzehntelang die Europäische Union vorantrieb, ist abgewürgt.

Dabei spielen die Erschütterungen alter Gewissheiten infolge des Ukrainekriegs eine Rolle. Aber es ist auch eine Folge des Desinteresses der Ampel-Koalition unter Olaf Scholz, den Beziehungen zu Frankreich besonderes Gewicht einzuräumen und auf Präsident Macrons Ringen um europäische Ansätze einzugehen.

Die Franzosen sprechen liebevoll von „Paar“ statt „Motor“

Auf französischer Seite, wo nie von „Motor“, sondern eher liebevoll vom deutsch-französischen „couple“ (Paar/Ehepaar) gesprochen wird, ist das Bedauern und Entsetzen über diese Entwicklung groß. Viel größer als in Deutschland, wo sie kaum wahrgenommen wird.

Dass mit dem energiegeladenen, unsteten Emmanuel Macron und dem schweigsamen Olaf Scholz zwei extrem unterschiedliche Charaktere aufeinandertreffen, ist offensichtlich. Aber das ist nicht die Ursache des Auseinanderlebens.

Diese ist einerseits eine Folge der Erschütterungen durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, der die Prioritäten und Gewichte in Europa verschiebt: Polen, die baltischen und nordischen Mitglieder EU gewinnen an Gewicht – auch moralisch, weil sie im Hinblick auf den russischen Präsidenten Putin weniger naiv waren. Neue Unterallianzen bilden sich. Das schwächt zunächst einmal Frankreich und Deutschland gleichermaßen und erschüttert ihre frühere Führungsrolle.

Mittelfristig wird Berlins Rolle – anders als die von Frankreich – aber wohl eher gestärkt. Denn aufgrund seiner zentralen Lage und seiner Geschichte sind die Beziehungen zum europäischen Osten traditionell das Terrain der Bundesrepublik, während sich Frankreich mit Südeuropa verständigte.

Dennoch ist es kurzsichtig, die Beziehungen zum wichtigsten Partner in Westeuropa zu vernachlässigen. Denn die EU braucht auch zukünftig eine zentrale Achse, von der Impulse und Durchsetzungskraft ausgehen – und das sind Deutschland und Frankreich dank ihrer Größe und Lage.

Man hat den Eindruck eines Dejà-vu: Angela Merkel hatte Macron mit seinen Reformvorschlägen für Europa lange Zeit ignoriert. Auf seine leidenschaftliche Rede in der Sorbonne 2017 bekam er lange überhaupt keine Antwort. Bei der Ampel-Regierung kann man den Eindruck bekommen, dass sie glaubt, Frankreich nicht zu brauchen und den europäischen Ansatz, den Macron in der Energiepolitik oder bei Finanzen vertritt, erst recht nicht. Am Donnerstag warnte Macron in drastischen Worten, dass es „nicht gut für Europa“ sei, wenn sich „Deutschland isoliert“.

Manchmal sind es nicht große Ankündigungen, sondern kleine Gesten, die zählen. Scholz ist zwar zur Gründungsveranstaltung der von Macron initiierten Europäischen Politischen Gemeinschaft nach Prag gereist, in der im erweiterten Kreis mit 17 Nicht-EU-Mitgliedern wichtige Fragen besprochen werden sollen. In seiner Grundsatzrede zu Europa hat er dann aber die deutsch-französischen Rüstungsprojekte nicht einmal erwähnt. Sehr zum Bedauern von Paris.

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Deutschland wird Frankreich noch brauchen – auch wenn sich das Gravitätszentrum der EU noch Osten verschiebt und Deutschlands Rolle damit stärkt. Denn die Regierungen in Polen oder Ungarn teilen viele Werte der EU nicht, pochen auf eigene Wege und sind nicht willens oder in der Lage, Kompromisse in der Gemeinschaft auszuhandeln.

Mit dem mittlerweile angeschlagenen Macron hat Berlin noch immer einen Partner, der europäisch denkt – sicher auch, um Deutschlands Gewicht einzubinden. Dies sollte Berlin nutzen. Nicht zuletzt, weil die aufkommende antideutsche Stimmung in Frankreich von Rechts- wie Linkspopulisten geschürt wird. Plötzlich könnte Deutschland ziemlich allein und die EU ziemlich kopflos dastehen.

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