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Afghanische Frauen sollen laut Tradition unsichtbar bleiben

© Foto: Getty Images

Geflohen vor den Taliban: Afghanische Frauen leben auch in Deutschland im Gefängnis

Zwangsehe, ungewollte Schwangerschaft und Gewalt – das ist Alltag vieler geflüchteter Frauen. Sie brauchen mehr Hilfe, um sich Hilfe zu holen. Ein Gastbeitrag.

Von Nilab Langar

Sie mussten vor den Taliban fliehen. Doch auch in Deutschland, einem Land, das zu den wichtigsten Verfechtern der Freiheit und Rechte von Frauen gehört, leiden immer noch viele afghanische Frauen unter Unterdrückung und Ungleichheit der Geschlechter. Und unter Gewalt.

Die Autorin Nilab Langar

© Foto: Amal

Denn viele dieser Frauen kennen ihre Rechte nicht, sie wissen nicht um ihre Rechte und Freiheiten in ihrem Gastland, ihnen sind die Gesetze und Strukturen zum Schutz von Frauen nicht bekannt. Das führt dazu, dass afghanische Frauen und Mädchen auch hier in Deutschland manchmal in sklavenähnlichen Verhältnissen leben und familiärer Gewalt ausgesetzt sind, die mit Religion und Tradition begründet wird.

Natürlich gilt das nicht für alle. Es gibt viele afghanische Frauen – in Afghanistan ebenso wie in Deutschland – die ihren Weg gehen, ihr Leben selbst gestalten und dabei von ihren Familien unterstützt werden. 114.000 Frauen mit afghanischer Staatsangehörigkeit sind im Ausländerzentralregister erfasst – wie viele von ihnen häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, ist statistisch nicht belegt. Aber es sind viele. 

Traditionen zu missachten trauen sich viele afghanische Frauen nicht

In Berlin gibt es Dutzende kleine und große Beratungsstellen für geflüchtete Frauen und Familien. Frauen können dort kostenlos Rat und Hilfe zu sexuellen, psychischen und sozialen Fragen erhalten. Aber viele afghanische Frauen wissen nicht, dass diese Zentren existieren. Und wenn sie davon wissen, gehen die meisten nicht hin, weil sie das Gefühl hätten, ungehorsam gegenüber ihren Ehemännern zu sein und die religiösen Regeln und Familientraditionen zu missachten.  

Bahar (Pseudonym) ist eine 21-jährige Afghanin, die seit sieben Jahren in Deutschland lebt und vor drei Jahren ihren Cousin geheiratet hat. Sie habe ihre Träume geopfert, erzählt sie Sie habe das getan, weil sie eine Frau ist. Sie war kurz davor, eine Berufsausbildung anzufangen, als sie sich entschloss, dem Willen ihrer Familie zu folgen und zu heiraten.

Sie sagt: „Als ich heiratete, bat mich mein Mann, so schnell wie möglich ein Kind zur Welt zu bringen. Meine Familie und die Familie meines Mannes bestanden darauf. Ich wurde gleich nach der Hochzeit schwanger. Später fand ich heraus heraus, dass es meinen Mann und seine Familie so wichtig gewesen war, dass ich Mutter werde, weil ich darauf bestanden hatte, meine Ausbildung fortzusetzen und dann außer Haus zu arbeiten.“ 

Bahars Geschichte ist kein Einzelschicksal, sondern betrifft Hunderte afghanischer Frauen und Mädchen, die nach Deutschland gekommen sind. Dass sie in das demokratische Deutschland kamen, hat an ihrer Situation nichts geändert. Sie leiden immer noch, weil sie Frauen sind. 

Gewalt gegen Frauen existiert in allen Gesellschaften, es gibt sie auch in Deutschland und den westlichen Ländern. Aber es gibt einen Unterschied: Frauen in westlichen Ländern sind sich zumindest ihrer individuellen Rechte und Freiheiten bewusst. Die Tatsache, dass sie manchmal unterdrückt werden und sich nicht wehren, hat andere Gründe. 

Afghanische Frauen wachsen mit dem Gedanken auf, dass eine Frau ein unterwürfiges Wesen zu sein hat.

Nilab Langar

Aber in Afghanistan wird das Reden über „Frauenrechte“ als Versuch der Frauen angesehen, sich moralischen und religiösen Regeln zu entziehen. Wenn eine Frau in Deutschland ihre individuelle Freiheit sucht, wird das als Ausdruck der Zügellosigkeit der Gesellschaft gesehen.  

Afghanische Frauen sitzen in Burkas an einer Essensausgabestelle in Herat in Afghanistan.

© Foto: Foto: Jalil Rezayee/EPA/dpa

So wachsen afghanische Frauen von Kindheit an mit dem Gedanken auf, dass eine Frau ein unterwürfiges Wesen ist, ohne eigenen Willen und zu Einschränkungen verurteilt. Für die meisten afghanischen Mädchen und Frauen ändert sich die Lage daher nicht wirklich, wenn sie in Deutschland in ein neues Umfeld kommen. 

Auch hier in Deutschland bringen afghanische Frauen viele Arten von Opfer, um die Bedürfnisse und Wünsche der Männer zu erfüllen, und tolerieren viele Arten von Gewalt in ihren Häusern, indem sie schweigen. 

Hunderte von afghanischen Frauen in Deutschland und auch hier in der Stadt tragen den Hidschab, obwohl sie es nicht wollen – und zwar auf Druck der Ehemänner, Väter oder Erziehungsberechtigten.

Die Männer der Familie führen als Begründung die Religion an. Wenn eine Frau sich der Religion widersetzt, heißt das in vielen afghanischen Familien, dass sie aus der Familie verstoßen wird und sogar Blut vergossen werden kann.  

Sie heiraten Söhne der Familie, werden gezwungen, schwanger zu werden und werden teilweise sogar vergewaltigt.  Jede dieser gewalttätigen Verhaltensweisen wird religiös und moralisch legitimiert.

In Afghanistan spricht man nur dann von Vergewaltigung, wenn ein Mann gewaltsam Geschlechtsverkehr mit einer Frau hat, die nicht mit ihm verheiratet ist. Die gleiche Definition gilt für afghanische Familien in Deutschland.

Daher kommt es dazu, dass eine große Zahl afghanischer Frauen in Deutschland auch ungewollt schwanger, weil ihr Mann es will. Der Ehemann entscheidet, wie viele Kinder die Frau gebären wird, und die Familien geben der Frau sogar die Schuld für das (falsche) Geschlecht des Kindes. 

Diese Frauen könnten sich HIlfe holen in Deutschland, aber sie sind sich dessen nicht bewusst. Denn entsprechend der afghanischen Tradition werden sie oft von den Männern der Familie in ihren Häusern eingesperrt werden. So genießen nur die die Männer afghanischer Familien die Freiheiten in Deutschland. Das muss sich ändern und dazu muss die Politik noch gezielter auf die afghanische Community in Deutschland zugehen, Frauen niedrigschwellige Angebote machen, in der Nachbarschaft, in Schulen und Kindergärten. Damit auch sie die Chance auf ein selbstbestimmteres und gewaltfreies Leben haben.

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