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Olaf Scholz erkundigt sich im Zementwerk in Rüdersdorf, wie das mit dem klimaneutralen Umbau klappen kann.

© Kay Nietfeld/dpa

AKW-Streit nur ein Mosaikstein: Die Energiekrise und die Sorge vor einer Deindustrialisierung

Im Wahlkampf versprach der Kanzler eine neue industrielle Revolution. Dann kam der Krieg. Und der macht den klimaneutralen Umbau der Industrie noch schwerer.

Seit Monaten ringt die Ampel-Koalition beim Atomstreit um ein eigentlich kleines Puzzleteilchen in der Energiekrise. Zum großen Ganzen gibt es noch keinen schlüssigen Plan, der die neuen Realitäten abbildet. Die Regierung hat große Erfolge bei der Beschaffung von Gas aus anderen Quellen als Russland erzielt, die Speicher sind fast voll. Aber die Krise auf der Angebotsseite wird bleiben, das zu lösen wird die vielleicht größte Herausforderung für Kanzler Olaf Scholz (SPD).

Denn der Stromverbrauch wird mit Blick auf den Weg hin zur E-Mobilität, einer klimaneutralen Wirtschaft und der Umstellung auf Wasserstoff enorm steigen. Allein die Chemieindustrie werde 2050 so viel Strom verbrauchen wie ganz Deutschland heute, sagt Scholz. Es ist ein Energiepuzzle zwischen der Krise heute und der Zukunft morgen, bisher passen viele Teile aber nicht zusammen.

Wo verzettelt sich die Koalition?

Seit Monaten streiten vor allem FDP und Grüne um den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke. Nach einem Treffen am Dienstag von Kanzler Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grünen) und einer weiteren Schalte der Drei mit den Kraftwerksbetreibern am Donnerstag, war für Sonntag ein weiteres Treffen im Kanzleramt geplant.

Es ging erneut ergebnislos zueinander, die Frage bindet Ressourcen, die zur Lösung weiterer dann fehlen. Lindner will eine Verlängerung der Laufzeiten bei den letzten drei Kernkraftwerken bis 2024, bei Scholz weiß die Öffentlichkeit bisher nicht, was er will; er moderiert zwischen Lindner und Habeck.

Durch den Parteitag der Grünen hat Habeck eigentlich keinen Spielraum: Es sollen keine neuen Brennstäbe beschafft werden, das Kernkraftwerk Emsland in Niedersachsen wie geplant Ende 2022 vom Netz gehen und nur die AKW Isar 2 und Neckarwestheim 2 mit den bisherigen Brennstäben bis Mitte April 2023 weiter Strom produzieren dürfen.

Am Anfang war viel Aufbruch bei der Ampel, nun ist die Richtung, die der Kanzler vorgeben will, nicht ganz klar.

© picture alliance/dpa

Sie werden das aber wegen der Restmenge an Brennstoff nur gedrosselt tun können. Kommt es im Winter zu größeren Problemen bis hin zu Blackouts oder Produktionseinstellungen könnte die FDP darauf hinweisen, dass dies die Schuld der Grünen sei, auch wenn das vielleicht gar nicht am jetzt schon eher geringen Anteil der Atomenergie liegen mag. Aber in Zeiten komplexer Zusammenhänge eignen sich die AKW als Symbolthema. Es hat bereits eine Art Schwarze-Peter-Spiel begonnen.

Der Konflikt verstellt zugleich den Blick darauf, dass die Koalition das dahinter liegende Thema bisher kaum lösen kann; das aber immer drängender wird.

Worum geht es dabei?

Die Sorgen vor einer Deindustrialisierung wachsen (siehe Seite 13), denn günstige Energie ist Schmierstoff für Wohlstand, Arbeitsplätze und Wachstum. Auch die Wirtschaft setzte wie die Politik auf billiges Gas aus Russland, baute die Abhängigkeit aus. Statt des billigen Pipelinegases wird nun für viel Geld zum Beispiel Flüssiggas per Tanker besorgt.

Kurzfristig werden 200 Milliarden Euro für eine Gas- und Strompreisbremse mobilisiert. Gas sollte die Brückentechnologie sein, um die schwankende Solar- und Windstromerzeugung auszugleichen, da die Kraftwerke sich rasch hoch- und runterfahren lassen, also sehr flexibel sind. Auch viele Stadtwerke investierten in Kraftwerke.

Ohne Gaskraftwerke geht es bisher nicht.

© Sebastian Gollnow/dpa

Nun ist das sehr teuer geworden. „Ein Angebotsproblem löst man mit Angebotspolitik“ betont der SPD-Wirtschaftsexperte Nils Heisterhagen. Es brauche rasch Ideen, wie die Gaslücke gefüllt und die Preise gedämpft werden sollen, allerdings kollidieren die Ideen dann schnell mit den Klimazielen – nur nicht bei der Atomkraft.

Ein Weg wäre mehr Flüssiggas, aber die Grünen stemmen sich gegen den Bau von allzu vielen Terminals an den Küsten. Gas-Fracking ist in Deutschland bisher nicht durchsetzbar, die Reserven in der Nordsee sehr gering. So stoßen viele Ansätze an ihre Grenzen.

Die FDP-Politikerin Linda Teuteberg mahnt nicht nur in der Atomfrage Führung durch den Kanzler an. „In dieser Krise alle verfügbaren eigenen Energieerzeugungskapazitäten zu nutzen, ist ein Gebot der Vernunft und Verantwortung.“ Kurzfristig werden auch Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt, in der Industrie wird auf Öl als Alternative zu Gas gesetzt.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird beschleunigt. Doch dieser Strom kann bisher kaum gespeichert werden, Batteriespeicher sind teuer und Pumpspeicherkraftwerke lassen sich in der norddeutschen Tiefebene, wo es viel Windstrom gibt, kaum bauen. In der Industrie lautet das Zauberwort „grüner Wasserstoff“, aber bisher gibt es hier fast nur Pilotprojekte.

Was sagt die Industrie?

Wie viel auf dem Spiel steht, zeigt eine Zahl: Der Anteil der Industrie am Bruttosozialprodukt in Deutschland ist mit rund 20 Prozent doppelt so hoch wie in Frankreich. „Wenn wir in etwa zehn Jahren zurückblicken werden, könnten wir diese Zeit als Ausgangspunkt für eine beschleunigte Deindustrialisierung in Deutschland betrachten“, schreiben Ökonomen der Deutschen Bank. Fahrzeug- und Maschinenbau, Stahl-, Chemie- und Elektroindustrie sind das Rückgrat der Wirtschaft. 

Das Eisen- und Stahlwerk Eisenhüttenstadt kann ohne Erdgas bisher nicht arbeiten.

© Mario Heller/Tagesspiegel

Und die rasant steigenden Kosten dämpfen auch Investitionsmöglichkeiten für den Umbau: Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat mit Blick auf das Ziel einer Klimaneutralität bis 2045 allein bis 2030 einen Bedarf von 860 Milliarden Euro an Mehrinvestitionen ermittelt. „Angesichts von Inflation und gestiegenen Energiekosten dürfte diese Summe inzwischen noch höher liegen“, betont der BDI.

Und man beschreibt das große Grunddilemma so: „Für die Klimaziele 2030 sind die erforderlichen klimafreundlichen Technologien überwiegend bekannt, jedoch für Unternehmen und Verbraucher noch nicht wirtschaftlich und/oder noch nicht im industriellen Maßstab verfügbar.“

Hinzu kommt, dass es mehr Fachkräfte und in diesem neuen Bereich kundige Ingenieure braucht. Und zum Beispiel im Stahlwerk in Eisenhüttenstadt wird die Sorge geäußert, dass der Stahl, der mit Hilfe von Wasserstoff und strombetriebenen Hochöfen produziert wird, nicht mehr die gleiche Qualität hat, wie der heutige klassische Industriestahl. Das ist noch so ein Zielkonflikt. 

Welchen Ansatz verfolgt der Kanzler?

Olaf Scholz versucht Lösungen näher zu kommen – trotz vieler anderer Krisen. Für Dienstag hat er zum zweiten Treffen der Allianz für Transformation eingeladen. Gemeinsam mit Verbänden und Gewerkschaften sowie Vertretern aus Wirtschaft, Gesellschaft und Zivilgesellschaft will er besprechen, wie ein schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien für mehr Versorgungssicherheit und eine klimaneutrale Transformation gelingen kann.

Und der Kanzler reist viel, um Lösungen zu finden: Norwegen etwa will im großen Stil bei der Strom- und Industrieproduktion angefallenes CO2 im Meeresboden verpressen, aber in Deutschland gilt die CCS-Technologie bisher als nicht durchsetzbar. Und so setzt er vor allem auf die bisher völlig ungewisse Zukunft mit Wasserstoff.

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Für die Wasserstoffproduktion braucht es gigantische Strommengen, nach Ansicht von Experten kann Deutschland wegen des bisher hohen Industrieanteils und des nahenden Atomausstiegs nur so seine Klimaziele schaffen. Scholz setzt daher verstärkt auf den Import. Er warb in Kanada wie in den Golf-Staaten zuletzt um Kooperationen.

Experten schätzen laut Reuters, dass Deutschland 40 bis 60 Prozent des Wasserstoff-Bedarfs importieren muss. In Saudi-Arabien setzt man auf große Solarfelder in der Wüste. Dort ließe sich vielleicht auch sehr günstig Wasserstoff produzieren.

Aber der muss dann auch noch transportiert und über Terminals und Pipelines zu den Fabriken in Deutschland kommen. Und weil man nicht nochmal so abhängig wie von Russland werden will, braucht es auch möglichst viele Lieferländer. Baldige Klarheit ist nötig, um auch Planungen im Inland anpassen zu können.

„Wir müssen im nächsten Jahr das Stromausbauziel für 2045 ins Gesetz schreiben“, sagte Scholz im Wahlkampf. Dann kam der Krieg und Wladimir Putin setzte Gas als Waffe gegen Deutschland ein. Scholz spricht von einer neuen industriellen Revolution. Die ist nun aber viel schwerer geworden.

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