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Ziemlich beste Feinde? Habeck und Lindner.

© Foto: Imago/Christian Spicker

Ampel-Streit um Atomreserve: Auf einmal feiert die FDP Greta Thunberg

Die Grünen sind bereit für eine temporäre AKW-Laufzeitverlängerung. Doch die FDP blockiert und will mehr. Ein Ausweg? Ungewiss.

Es ist eine liberale Schützenhilfe aus einer unerwarteten Ecke. Ausgerechnet die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg spricht sich am Dienstag für einen Weiterbetrieb der verbliebenen drei deutschen Atomkraftwerke aus.

„Wenn sie schon laufen, glaube ich, dass es ein Fehler wäre, sie abzuschalten und sich der Kohle zuzuwenden“, sagte Thunberg in einem Interview mit ARD-Journalisten Sandra Maischberger, das am Mittwoch ausgestrahlt wird.

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Für die gebeutelte FDP eine Steilvorlage. „Greta Thunberg hat Recht“, twittert FDP-Vize Johannes Vogel. „Ein weiterer Beleg dafür, dass das physikalisch (Netzstabilität), ökonomisch (Preisreduktion) und klimapolitisch (Klimaneutralität) richtig ist“, schrieb Justizminister Marco Buschmann (FDP) und der energiepolitische Sprecher der Liberalen, Michael Kruse, verschickte prompt eine Presseerklärung: „Minister Habeck sollte auf Greta Thunberg hören und Kernkraftwerke zur Sicherung der Stromversorgung bis ins Jahr 2024 hinein nutzen.“

Die gelbe Greta – für die FDP ein Geschenk. Denn die Liberalen lassen in der Atomdebatte nicht locker und blockieren nun einen fertigen Gesetzentwurf für die von Robert Habeck (Grüne) konzipierte Einsatzreserve.

Der Wirtschaftsminister hatte sich nach den Ergebnissen des Strom-Stresstests dafür ausgesprochen, die beiden süddeutschen Atomkraftwerke Isar II (Bayern) und Neckarwestheim (Baden-Württemberg) mit den alten Brennstäben bis April 2023 weiterlaufen zu lassen.

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Die FDP will auch das Atomkraftwerk im Emsland weiterbetreiben, neue Brennstäbe besorgen, und sie erwägt eine Reaktivierung alter Atomkraftwerke. „Wir brauchen eine Strom-Mengenausweitung“, sagte Fraktions-Chef Christian Dürr am Dienstag.

Christian Dürr, Fraktionsvorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, geht auf Konfrontation mit den Grünen.

© Kay Nietfeld/dpa

Nach der desaströsen Wahlniederlage in Niedersachsen, wo die FDP aus dem Landtag geflogen ist, sind viele Liberale unzufrieden mit ihrer Rolle in der Ampel. Das Profil der Freien Demokraten müsse deutlicher werden, sagte Parteichef Christian Lindner.

Obwohl seine Partei bei der Landtagswahl offensiv für eine Atom-Laufzeitverlängerung geworben hatte und damit nicht punkten konnte, verstärkt die FDP ausgerechnet bei diesem Thema den Druck auf die Ampel. Ein Gesetzentwurf, der zuletzt schon im Kabinett war und in dieser Woche ins Parlament eingebracht werden sollte, verzögert sich nun.

Bei den Grünen kommt das nicht gut an. „Ich habe alles Verständnis dafür, dass Wahlabende schwierig sind“, sagte die Fraktionschefin der Grünen, Katharina Dröge. „Wenn man es ernst meint mit einer Lösung für diesen Winter, dann sollte man diesen Gesetzentwurf jetzt nicht aufhalten“, sagte sie weiter.

Wenn die FDP diese Einigung jetzt aufkündigt, ist das ein Problem.

Katharina Dröge

In ihrer Partei und im Wirtschaftsministerium verweisen viele darauf, dass Lindner der Einsatzreserve bereits zugestimmt habe. In der Erklärung zum 200-Milliarden-Abwehrschirm heißt es: „Wir schaffen außerdem jetzt die Möglichkeit, die süddeutschen Atomkraftwerke bis zum Frühjahr 2023 laufen zu lassen.“ Unterschrieben haben Bundeskanzler Olaf Scholz, Habeck und Lindner.

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge fordert eine schnelle Lösung.

© Cornelis Gollhardt

„Wenn die FDP diese Einigung jetzt aufkündigt, ist das ein Problem“, sagt Dröge. Die FDP müsse die Verantwortung übernehmen, wenn die Atomkraftwerke im Winter nicht zur Verfügung stehen würden.

Es ist eine etwas paradoxe Situation entstanden, dass die Grünen für den temporären Weiterbetrieb zweier Atomkraftwerke werben und die FDP davon überzeugen wollen. Eigentlich sitzt man am längeren Hebel, denn wenn es keine Einigung gibt, würde es einfach bei der alten Gesetzgebung bleiben – einem finalen Atomausstieg zum Jahreswechsel.

Doch angesichts der düsteren Winter-Szenarien im Stresstest ist das kein Szenario, das die Grünen wollen. Ihr Vizekanzler Habeck muss die Versorgungssicherheit garantieren und könnte bei Stromausfällen im Winter weiter an Popularität verlieren. Eine Lösung ist also auch im Interesse der Grünen.

Die SPD sieht sich als Moderatorin

Die SPD hält sich auffällig zurück. Sie sieht ihre Rolle als Moderatorin zwischen den beiden kleinen Koalitionspartnern. Teile der Fraktion könnten wohl auch mit einem längeren Streckbetrieb leben, ein Herzensthema ist es den Sozialdemokraten aber nicht.

Die energiepolitische Sprecherin der Fraktion, Nina Scheer, positioniert sich an der Seite der Grünen: „Alle Gründe für den Ausstieg aus der Atomenergienutzung bis Ende 2022 haben nach wie vor Bestand.

Und auch die Sicherheitsanforderungen müssen eingehalten werden“, sagte sie dem Tagesspiegel. Die erneuerbaren Energien würden deutlich mehr Energie produzieren. „Deswegen kommt eine weitergehende Nutzung von Atomenergie nicht in Betracht und entbehrt jeder Grundlage für zielführende Investitionen“, sagte Scheer.

Die Gerüchte über eine angebliche Gefährdung des Zeitplans sind falsch.

Christian Dürr

Eine Lösung in dem Konflikt muss auch deshalb so schnell auf den Tisch, weil die Betreiber des Atomkraftwerks Isar II noch im Oktober Reparaturmaßnahmen durchführen müssen, wenn der bayerische Meiler über den Jahreswechsel betrieben werden soll. Der Eingriff kostet Zeit und Geld und wird von den Betreibern nur durchgeführt, wenn die Einsatzreserve auch tatsächlich kommt.

„Die Gerüchte über eine angebliche Gefährdung des Zeitplans sind falsch“, sagt FPD-Fraktionschef Dürr am Dienstag. Die Liberalen führen die hohen Energiepreise an, zudem müsse auch europäisch gedacht werden. Und: ob die Stromkrise im April 2023 beendet sei, bezweifelt Dürr stark.

Man könne noch in der kommenden Woche eine Einigung erzielen. Doch dann müsste die Ampel innerhalb von nur einer Sitzungswoche Ende Oktober das Gesetz durch Bundestag und Bundesrat peitschen. Für die Opposition ein vermeidbarer Skandal: „Es ist der Gipfel der Unseriosität.

Die Ampel hätte genügend Zeit für ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren“, echauffiert sich Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Union. Wenn sich Habeck und Lindner streiten würden, müsse der Bundeskanzler ein Machtwort sprechen, findet Frei: „Er ist derjenige, der den gordischen Knoten durchschlagen könnte und es nicht tut.“

Zumindest am Dienstag ist das dem Kanzler jedoch nicht gelungen. Ein Treffen von Lindner, Habeck und Scholz im Kanzleramt blieb ohne Ergebnis. Die Ampel flackert mal wieder.

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