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Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel 2018 in Brüssel bei einem Treffen der EU-Staaten.

© dpa/Geert Vanden Wijngaert

Exklusiv

Auftrag aus dem Bundespresseamt: ZDF-Mitarbeiter produzierte Merkels Reisefilme

Ein auch für das ZDF tätiger Journalist setzte die damalige Kanzlerin und ihr Kanzleramt bei Facebook und Youtube in ein positives Licht. Berichtete er parallel auch über Bundespolitik?

Ein ZDF-Mitarbeiter aus dem Landesstudio Berlin hat sich von der Bundesregierung unter anderem für Filme über Auslandsreisen der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beauftragen lassen. Das bestätigte ein Regierungssprecher auf Anfrage des Tagesspiegels. Der TV-Journalist habe „Leistungen für Videoinhalte“ erbracht, die für die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung auf Kanälen wie Facebook und Youtube verwendet worden seien.

Dies betreffe Reisen der früheren Kanzlerin nach Afrika und Libanon sowie Jordanien im Jahr 2018 und ihre Teilnahme am EU-Rat in Brüssel im selben Jahr. Desweiteren habe der Journalist Filme wie „Das Bundeskanzleramt – ein Blick hinter die Kulissen“, ein Porträt des Bundespresseamts und einen Bericht „Impfschutz für die Pflege“ produziert. 

Der Reporter taucht als „Journalist 102“ in einer Übersicht der Bundesregierung auf, die auf Anfrage der AfD-Fraktion erstellt wurde. Darin werden in anonymisierter Form Fälle gelistet, in denen Bundesministerien und weitere Behörden Journalisten öffentlich-rechtlicher Rundfunksender sowie privater Medien beauftragt und bezahlt haben, überwiegend zum Zweck amtlicher Öffentlichkeitsarbeit. Eine Unterscheidung zwischen fest angestellten und freien Mitarbeitern wird nicht getroffen. Die Zuordnung zu einem Medium erfolgte durch die Regierung. Auch der Tagesspiegel findet sich auf der Liste; darunter ist ein Journalist, der als freier Autor für die Zeitung tätig ist.

Die Nebentätigkeiten von festangestellten und freien Mitarbeitenden (. . .) sind danach insbesondere so zu gestalten, dass die journalistische Unabhängigkeit außer Frage steht.

Ein ZDF-Sprecher über die Regeln des Senders

Den Angaben der Regierung zufolge haben die Bundesbehörden für ihre Medien-Aufträge rund 1,5 Millionen Euro gezahlt. Kritisiert wird daran eine Vermischung von Aufgaben und Auftraggebern, die die journalistische Unabhängigkeit der einzelnen Berufsträger beeinträchtigen könnte.

Bestätigt ist bisher eine Tätigkeit der ProSieben-Moderatorin Linda Zervakis, die im Auftrag des Kanzleramts ein Interview mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) geführt sowie eine Veranstaltung moderiert hat.

Bei den Reisen der Kanzlerin war der Journalist nicht mit dabei

Die Regierung sieht die Fälle in ihrer Antwort an die AfD dagegen durchweg als unproblematisch an: „Die dort dokumentierte Auftragspraxis durch Bundesministerien oder Bundesbehörden steht nicht in Konflikt mit der Bedeutung journalistischer Arbeit als Kontrollinstanz staatlichen Handelns oder mit dem Prinzip der Staatsferne des Rundfunks“, heißt es über die mitgelieferte Liste.

Um wen es sich bei „Journalist 102“ handelt, ist bisher nur der Regierung und dem ZDF bekannt. Dem Regierungssprecher zufolge hat der Betreffende einer Offenlegung seiner Identität widersprochen. Eine Auskunft sei daher wegen des zu schützenden Geschäftsgeheimnisses ausgeschlossen. Die Möglichkeit einer Stellungnahme gegenüber dem Tagesspiegel hat „Journalist 102“ bisher nicht wahrgenommen.

Wie der Sprecher weiter mitteilte, ist der Journalist „nach Kenntnisstand des Bundespresseamts“ nicht fest angestellt gewesen, sondern hat als Auftragnehmer Leistungen auch für das ZDF erbracht. Bei den Reisen der Kanzlerin sei er nicht persönlich dabei gewesen.

Die Aufgabe habe darin bestanden, aus zur Verfügung gestelltem Material zusammenfassende Videos zu schneiden. Insgesamt hat „Journalist 102“ vom Bundespresseamt 32.367,50 für seine Arbeit über rund drei Jahre erhalten. Er zählt damit zu den Top-Verdienern auf der Liste.

Das ZDF teilte mit, es handele sich um einen freien Mitarbeiter, der im Rahmen eines begrenzten Tagekontingents bis Mitte 2021 für die Landesstudios in Brandenburg und Berlin sowie die Redaktion Tagesmagazine gearbeitet habe. „Das ZDF hatte keine Kenntnis von Tätigkeiten für andere Auftraggeber“, sagte ein Sprecher. Für solche in geringem Umfang beschäftigte freie Mitarbeiter gebe es „arbeitsrechtlich keine Verpflichtung, andere Tätigkeiten anzuzeigen.“

Ob der „Journalist 102“ parallel zu seinen Video-Arbeiten für das Bundespresseamt auch Beiträge für das ZDF erstellt habe, die sich mit Bundespolitik befassen, wurde nicht mitgeteilt. Beim Sender gebe es ansonsten aber „klare Regeln“ für Nebenjobs von Beschäftigten, hieß es.

So dürften die Nebentätigkeiten von festangestellten und freien Mitarbeitenden die Interessen des ZDF nicht beeinträchtigen und seien danach insbesondere so zu gestalten, dass „die journalistische Unabhängigkeit außer Frage steht“. Festangestellte müssten Nebentätigkeiten im Vorfeld genehmigen lassen. Auch für Freie gebe es je nach Vertragsform, Funktion im Programm und Beschäftigungsumfang Anzeige- oder Genehmigungspflichten.

Die Frage des Tagesspiegels, ob staatliche Aufträge in einem derartigen Volumen wie bei „Journalist 102“ weiterhin als unbedenklich im Hinblick auf die journalistische Unabhängigkeit erachtet werden, beantwortete das ZDF nicht. Zu einer Stellungnahme, ob die Genehmigungspraxis für Nebenjobs bei Aufträgen von Regierungsstellen überdacht werden soll, war der Sender ebenfalls nicht bereit.

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