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Kanzler in der Krise: Karl Nehammer ist mit Ablösegerüchten konfrontiert.

© Martin Juen/Imago

Ablösegerüchte um Kurz-Nachfolger: Bekommt Österreich schon wieder einen neuen Kanzler?

Karl Nehammer sollte die Regierung nach Kurz führen und die skandalgebeutelte ÖVP erneuern. Doch die sackt in Umfragen weiter ab.

Wieder einmal eine Regierung gesprengt, ein Ministerpräsident, der den Hut wirft - das sind politische Zustände, die man aus Italien kennt. Und von denen auch in Österreich die Rede ist, nachdem der Politik-Betrieb in den vergangenen Jahren von Skandalen durchgerüttelt wurde. Zuerst sprengte die Ibiza-Affäre die Regierung von ÖVP und FPÖ, dann musste Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen einer Affäre um Korruption, Vetternwirtschaft und geschönten Umfragen zurücktreten.

Aktuell kämpft Karl Nehammer, Regierungschef und Parteivorsitzender der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP), offenbar um sein Amt. Immer lauter wird in Medien darüber spekuliert, ihn abzulösen, selbst Parteigrößen sollen darüber nachdenken, ist zu lesen. Es wäre die dritte Rochade innerhalb eines Jahres.

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Für die ÖVP läuft es nicht gut: Ihre Umfragewerte sind im Sinkflug und liegen bei etwa 20 Prozent, zuletzt rutschte sie gar auf den dritten Platz hinter die rechte FPÖ zurück. Bei der letzten Wahl 2019 hatte sie noch mit Kurz an der Spitze 37 Prozent gewonnen. Führende CDU-Politiker sahen damals in seinem markigen Auftreten mit konservativem Anstrich ein Vorbild. Doch davon ist schon lange keine Rede mehr. Die ÖVP steckt seit Aufkommen ihrer Korruptionsaffäre 2021 und dem darauffolgenden Rückzug von Sebastian Kurz in der Krise.

Mit Sebastian Kurz erlebte die ÖVP einen Höhenflug. Mittlerweile ist sein Stern verglüht.

© Foto: Georg Hochmuth/dpa

Karl Nehammer sollte sie aus dieser herausführen. Der frühere Berufsoffizier avancierte unter Kurz zum Generalsekretär und Innenminister und wurde im Mai mit 100 Prozent zum neuen Vorsitzenden gewählt. Ein Vertrauensvorschuss, den er verspielt hat, sagt Kathrin Stainer-Hämmerle, Professorin für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Kärnten, dem Tagesspiegel. „Es ist ihm bisher nicht gelungen, ein anderes Bild der ÖVP zu zeigen und ihre Erneuerung voranzutreiben. Den Vorwürfen von Korruption und Postenschacher wirkte er nur zögerlich entgegen.“

Zumal diese nicht enden wollen. Erst im Frühling erschütterte eine Affäre um illegale Parteispenden und Inseratenkorruption in Medien die ÖVP im vermeintlichen Sauberland Vorarlberg. Auch einzelne Landesgruppen des ÖVP-Seniorenbundes sollen Corona-Hilfen abgezweigt haben, die anderen Organisationen vorbehalten waren.

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Sein wohl größter Fehler war es, sich zuvor mit dem Satz „Die ÖVP hat kein Korruptionsproblem“, vor die Presse zu stellen, sagt ein Insider zum Tagesspiegel. Er bezeichnet Nehammer als „bemüht“, vor allem im Umgang mit der Opposition. Doch er sei zu sehr gefangen in den alten Strukturen der ÖVP. Dass ihm im Frühjahr auch noch zwei Ministerinnen aus der Kurz-Ära mit ihren Rücktritten zuvor kamen, ließ ihn zusätzlich schwach wirken.

Flucht auf eine andere Bühne

Auch als Manager multipler Krisen von Corona, Ukraine-Krieg, Energieknappheit bis Teuerungswelle hat er keine Akzente gesetzt, stellt Stainer-Hämmerle fest. „Man hat das Gefühl, das er keinen Plan hat, der den Menschen Sicherheit verspricht.“ Stattdessen flüchtete er auf die außenpolitische Bühne, „was sicher ein Versuch war, sich als Kanzler zu emanzipieren“, sagt die Expertin. Nehammer unternahm außenpolitische Missionen nach Kiew und Moskau, wo er nach den Worten eines Kenners „versuchen wollte, etwas zu bewegen“. Doch die Reisen brachten ihm Häme ein, sowie den Vorwurf, er würde in der Welt herumreisen und sich nicht um die Leute im eigenen Land kümmern. Das blieb hängen.

Genauso wie die Posse um seine alkoholisieren Leibwächter, die nach einem Umtrunk mit seiner Frau, einen Unfall versursacht haben und ihn zu einer Presserklärung nötigte. Dazu kommen Auftritte wie beim Landesparteitag in Tirol, wo er mit der Aussage irritierte. „Wenn wir jetzt so weitermachen, gibt es für euch nur zwei Entscheidungen nachher: Alkohol oder Psychopharmaka“, erklärte der Kanzler mit Blick auf die Inflation.

Landtagswahlen sorgen für Nervosität in der ÖVP

All das sorgt in der ÖVP für große Nervosität. Denn es stehen Landtagswahlen in schwarzen Kernländern an. In Tirol, wo am 25. September gewählt wird, zeigen sich Absetzbewegungen. Die Konservativen treten als „Liste Mattle“ an, auf den Namen „Volkspartei“ verzichten sie. Eine aktuelle Umfrage prophezeit der ÖVP ein Minus von 15 Prozentpunkten. Eine Schlappe droht ihr ebenfalls in Niederösterreich, wo die Konservativen aus ihren bisherigen Wahlerfolgen ein gewichtiges Mitspracherecht in der Bundespolitik ableiten. Dort wurde auch die Debatte um Nehammers Ablöse losgetreten.  

Der Kanzler selbst ortet eine mediale „Sommerlochdebatte“, wobei der Kreis um ihn kleiner wird, schrieb zuletzt der Standard. Der Zeitpunkt für eine Rochade ist für Politologin Stainer-Hämmerle derzeit dennoch schwierig. „Es erscheint unlogisch, dass jemand seinen Posten vor den Wahlen und möglichen Niederlagen übernehmen will. Dazu stellen sich auch andere Fragen: Wer hätte mehr Aussicht auf Erfolg? Und wen würden die Grünen als Koalitionspartner mittragen?“

Tragen die Grünen einen weiteren Wechsel mit?

Sie liegen in den Umfragen bei neun bis zehn Prozent. 2019 kamen sie auf 14 Prozent. Neuwahlen kämen ihnen jetzt ungelegen. Sie würden vermutlich einen weiteren Kanzlertausch mittragen. Die Grünen haben sich bisher als sehr „abgehärtet“ bewiesen, heißt es aus der Opposition. Für die Politologin Stainer-Hämmerle kommt es auf die Erzählung an.

Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) mit seinem Vize Werner Kogler (Grüne), dessen Partei sich als abgehärteter Partner bewiesen hat.

© Martin Juen/SEPA/Imago

Sollte Nehammer freiwillig gehen und seinen Abgang mit Zermürbung begründen, könnten die Grünen mit Regierungsverantwortung argumentieren: Sie würden in Krisenzeiten für Stabilität sorgen. Schwierig wird es, wenn sich demnächst wieder ein interner ÖVP-Skandal auftut und Nehammer infolgedessen zurücktritt. Dass eine Partei wie die Grünen, die sich der Transparenz und Aufklärung verschrieben hat, ihr weiter die Stange hält, wäre gegenüber dem eigenen Wählerklientel schwer zu vermitteln.

Die Leidensfähigkeit des kleinen Koalitionspartners wird bald wieder auf die Probe gestellt. Anfang September geht der ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss erneut los. Sollten erneut Chats um Postenschacher in obersten Kreisen aufkommen, „könnte vieles schnell ins Rutschen kommen“, glaubt Stainer-Hämmerle. Dann hätte Österreich binnen zehn Jahren sieben Mal den Kanzler gewechselt, das hat man bisher nicht mal in Italien geschafft.

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