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Die Hoffnungsträger der Grünen in Thüringen: Doreen Denstädt und Bernhard Stengele

© dpa/Martin Schutt

Chaos in Thüringen: Wieso die Grünen ihren eigenen Minister absägten

Zwei Jahre war Dirk Adams Migrationsminister in Thüringen, dann servierte ihn seine eigene Partei ab. Nun folgt ihm die einzige schwarze Polizistin des Landes.

Am Tag nach dem Beben von Erfurt versuchen die Grünen in Thüringen die Wogen zu glätten. „Neustart“ ist das Wort, das man hinter den Kulissen am häufigsten von Beteiligten hört. Darin liegt einige Hoffnung, aber auch ein wenig Schaudern über das Geschehene.

Was war passiert? Am Montagvormittag veröffentlicht der Justiz- und Migrationsminister von Thüringen, Dirk Adams, eine Presseerklärung, in der er öffentlich macht, dass die beiden Landesvorsitzenden der Grünen, Ann-Sophie Bomm und Bernhard Stengele, ihn zum Rücktritt aufgefordert hätten. Adams lehnt ab: „In der derzeitigen Situation kann ich, aus Verantwortung gegenüber meinem Ministerium, dieser Aufforderung nicht nachkommen“, schrieb er. Er werde nur eine Entlassung durch den Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow akzeptieren.

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Nur wenige Stunden später übergibt Ramelow auf Bitten der Grünen-Chefs seinem Minister die Entlassungsurkunde persönlich. Es ist ein Abgang mit wehenden Fahnen, der offensichtlich macht, wie brutal die Grünen ihren eigenen Minister abgesägt haben.

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Typisch Thüringen, könnte man meinen. Seit der Wahl 2019, bei der Linke, SPD und Grüne ihre Mehrheit verloren, die Union aber keine Mehrheit ohne AfD oder Linke zusammenbekommt, ist das Land im Dauerstress.

Auf die Wahl von FDP-Mann Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten, der nach drei Tagen wieder zurücktrat, folgte die rot-rot-grüne Minderheitsregierung, die seitdem instabil wirkt und mühselig Kompromisse suchen muss.

Das Ansehen der Demokratie leidet enorm unter den Skandalen und Streitereien in Erfurt, in aktuellen Umfragen liegt die AfD um den rechtsradikalen Fraktionschef Björn Höcke an erster Stelle.

Es ist kein Geheimnis, dass wir mit der Arbeit von Dirk Adams gerade im Bereich Integration nicht immer zufrieden waren.

Astrid Rothe-Beinlich, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, erläutert, warum Adams gehen musste.

Nun also die Grünen, die in Thüringen schon in der Vergangenheit harte Flügelkämpfe erlebt haben. Doch bei der Personalie Adams sei es nicht um Flügel oder Geschlecht gegangen, versichern Spitzen-Grüne in Erfurt. „Es ist kein Geheimnis, dass wir mit der Arbeit von Dirk Adams gerade im Bereich Integration nicht immer zufrieden waren“, sagt die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Astrid Rothe-Beinlich. Adams habe es versäumt, ein Landesamt für Migration aufzubauen, der Anspruch einer menschenwürdigen Flüchtlingspolitik sei nicht erfüllt worden.

Auslöser war ein anderer Rücktritt

Auch aus anderen politischen Lagern in Erfurt heißt es, der Minister sei blass geblieben. Adams selbst äußert sich auf Tagesspiegel-Anfrage nicht.

Auch die Parteispitze in Berlin will den Vorgang am Montag auf einer Pressekonferenz nicht kommentieren. Das sei Sache des Landesverbands, heißt es. Besonders angetan über den Stil dürfte die Parteispitze jedoch nicht sein, fällt es den Grünen doch ohnehin schwer, im Osten Fuß zu fassen.

Ausgelöst worden war die Personaldebatte bei den Grünen, als die Umwelt- und Energieministerin der Grünen, Anja Siegesmund, kurz vor Weihnachten überraschend ihren Rückzug aus persönlichen Gründen ankündigte. Ein Schritt, mit dem sie die eigene Partei überraschte. „Es wäre natürlich besser gewesen, wenn wir früher vom Rückzug von Anja Siegesmund erfahren hätten, aber jetzt sind wir handlungsfähig und für die Zukunft gut aufgestellt“, sagt Rothe-Beinlich dem Tagesspiegel.

Tatsächlich haben die Grünen mit Landeschef Stengele und Doreen Denstädt bereits am Montagnachmittag die designierten Nachfolger für Siegesmund und Adams vorgestellt. Eineinhalb Jahre vor der Landtagswahl sind es gewagte Personalentscheidungen. Im Land sind beide bislang fast gänzlich unbekannt. Stengele, gebürtiger Allgäuer, kommt als Schauspieler und Regisseur eigentlich vom Theater, hat zuletzt als Schauspieldirektor am Theater in Altenburg gearbeitet.

Noch überraschender kommt die Berufung von Denstädt, die erst seit eineinhalb Jahren Mitglied der Grünen ist. Doch die 45-Jährige hat Erfahrungen, die in der Politik selten sind. Punkerin war sie mal, später professionelle Rugby-Spielerin. Als einzige schwarze Polizistin in Thüringen arbeitete sie zuletzt in der Vertrauensstelle im Innenministerium. „Ich hoffe sehr, dass ich nicht nur aufgrund meiner Hautfarbe einen Vorteil genieße“, sagte Denstädt bei ihrer Vorstellung und verwies auf ihre Verwaltungserfahrung.

Doch die Grünen in Erfurt erhoffen sich durchaus ein Signal von der ersten schwarzen Ministerin in Ostdeutschland. Sie repräsentiere Bevölkerungsgruppen, die häufig keinen Bezug zur Politik fänden, heißt es. „Doreen Denstädt ist die richtige Person für einen echten Aufbruch in der Migrationspolitik“, sagt Astrid Rothe-Beinlich. Die Entscheidung gegen Adams und für Stengele und Denstädt, so heißt es, sei im neunköpfigen Landesvorstand einstimmig gefallen. Die Grünen hoffen, dass diese Einigkeit hält und der Neustart in Erfurt gelingt.

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