zum Hauptinhalt
Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro kämpft mit schlechten Umfragewerten.

© Evaristo Sa/AFP

Wahlkampf in Brasilien: Jair Bolsonaro hat die Niederlage vor Augen

Am 2. Oktober wählen die Brasilianer einen neuen Präsidenten. Der rechte Amtsinhaber Bolsonaro liegt in Umfragen deutlich hinter seinem Widersacher Lula. Und verliert langsam die Nerven.

Fast jeden Morgen, wenn er aus seiner Residenz kommt, lässt Jair Bolsonaro seine Wagenkolonne halten. Der brasilianische Präsident gesellt sich dann zu Anhängern, die auf ihn gewartet haben, um ihr Idol zu treffen und Selfies mit ihm zu machen.

An diesem Morgen aber ist ein junger Mann erschienen, der einen Youtube-Kanal mit einigen Tausend Abonnenten hat. Mit gezücktem Handy will er von Bolsonaro wissen, warum dieser sich mit dem Centrão eingelassen habe, dem Block der brasilianischen Zentrumsparteien.

Bolsonaro wird gegen einen Youtuber handgreiflich, der ihn provoziert hatte.

© Reuters / TV GLOBO via REUTERS

Diese gelten als besonders korrupt, aber ohne sie kann man Brasilien kaum regieren, sie stellen mehr als die Hälfte der Parlamentsabgeordneten. Zunächst ignoriert Bolsonaro den Youtuber und steigt wieder in seinen Wagen ein. Als der junge Mann ihm aber „Flittchen des Centrão“ nachruft, erscheint Bolsonaro wieder, packt ihn am Arm und versucht, ihm sein Handy zu entreißen.

Die Szene ereignete sich vergangenen Donnerstag, wurde in den brasilianischen Abendnachrichten gezeigt und lässt darauf schließen, dass Bolsonaros Nerven blank liegen. Am 2. Oktober finden Präsidentschaftswahlen statt und in allen Umfragen liegt er hinter seinem Herausforderer, Ex-Präsident Lula da Silva von der linken Arbeiterpartei (PT). Der Vorsprung Lulas beträgt je nach Erhebung zwischen zwölf und 18 Prozent, schon wird spekuliert, ob er bereits im ersten Wahlgang zum Präsidenten gewählt wird, dazu bräuchte er mindestens 50 Prozent aller gültigen Stimmen.

Flittchen des Centrão

Ein Youtuber, der Bolsonaro provoziert

Für Bolsonaro muss das unbegreiflich sein. Er hatte die Wahlen 2018 haushoch mit dem Versprechen gewonnen, das Land von der Korruption zu befreien. Diese war den Brasilianern durch den riesigen Skandal rund um die Erdölgesellschaft Petrobras vor Augen geführt worden. Gleichzeitig hatte Bolsonaro einen Kulturkampf angekündigt.

Er wolle die Nation vom Sozialismus, der Gender-Ideologie und der linken Indoktrination an den Schulen befreien, die allesamt von der PT eingeführt worden seien, die zwischen 2003 und 2016 regiert hatte. Eine pragmatische Regierung voller Experten werde er führen. Viele Brasilianer wollten das glauben.

Waldbrände geleugnet

Dann aber zeigten er und sein Team nicht Expertentum, sondern Ressentiments, Inkompetenz und Wissenschaftsfeindlichkeit. Als 2019 verheerende Brände den Amazonas heimsuchten, leugnete Bolsonaro sie zunächst, unterstellte dann die Manipulation von Satellitenbildern, beschuldigte schließlich Umweltschützer der Brandstiftung, weil sie ihm schaden wollten. Am Ende verteidigte er die wirklichen Kriminellen als hart arbeitende Patrioten: Viehzüchter, Sojabauern, Landräuber, illegale Holzfäller. Über der Umweltkatastrophe nahm das Verhältnis zur EU schweren Schaden, sie ist drittwichtigster Handelspartner Brasiliens.

Um wenigstens den Anschein zu erwecken, er tue etwas, entsandte Bolsonaro Militärs in den Amazonas, die keine Erfahrung bei der Bekämpfung von Umweltverbrechen hatten. Den Umweltbehörden mit Erfahrung strich er hingegen Mittel, Personal und Kompetenzen. Die Abholzung des Regenwalds hat seitdem jedes Jahr neue Rekorde erreicht. Das Vorgehen kann als exemplarisch gelten.

Überforderte Generäle

Auch bei Bildung, Wissenschaft, Kunst und dem Schutz der Indigenen ließ Bolsonaro Gelder streichen und Ämter neu besetzen – alles Bereiche, die für ihn „links unterwandert“ waren. Bolsonaro, selbst Hauptmann der Reserve, hat zahlreiche Generäle zu Ministern gemacht und den Regierungsapparat mit Tausenden Militärs regelrecht geflutet. Die Konsequenzen bekamen die Brasilianer in der Corona-Pandemie zu spüren, als ein völlig überforderter Armeegeneral an der Spitze der Gesundheitsbehörden dabei versagte, Kliniken mit Sauerstoff zu versorgen.

Die Regierung versäumte es auch, frühzeitig Impfstoffe zu bestellen, die ihr angeboten worden waren. Bolsonaro bewarb stattdessen das Malaria-Medikament Chloroquin. Fast 700.000 Brasilianer sind an Covid-19 gestorben, viele davon, weil Bolsonaro die Versuche zur Eindämmung der Pandemie regelrecht sabotierte – so hat es ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss festgestellt.

Immer mehr Menschen hungern

Der Hauptgrund aber, warum Brasiliens nächster Präsident wahrscheinlich nicht Bolsonaro sondern Lula heißen wird, ist die wirtschaftliche Lage. Die Folgen der Pandemie und der Inflation haben Brasilien so hart getroffen, dass der Hunger laut UN zurückgekehrt ist. 61 Millionen der 210 Millionen Brasilianer hätten Schwierigkeiten, sich ausreichend zu ernähren; 15 Millionen von ihnen litten unter Hunger.

Um das Blatt doch noch zu wenden, setzt Bolsonaro auf Geld, Gott und Lügen. Seine Regierung verteilt großzügige Hilfen an die Armen und Interessengruppen wie die Lkw-Fahrer. Oft bezeichnet Bolsonaro die Wahl auch als „Kampf zwischen Gut und Böse“. Er stehe für Gott, die traditionelle Familie und die Nation; Lula hingegen sei ein Schnapstrinker, Dieb und Lügner. Bolsonaros Frau, eine evangelikale Christin, behauptet sogar, dass mit Lula der Dämon in den Präsidentenpalast eingezogen sei. Lula, heute 76 Jahre alt, hatte Brasilien zwischen 2003 und 2011 regiert.

Gerne sagt Bolsonaro auch, dass es in seiner Regierung keine Korruption gegeben habe. Im Gesundheitsministerium und im Bildungsressort gab es Korruptionsfälle, und gegen einen seiner Söhne, der Senator ist, wird ermittelt. Die Niederlage vor Augen streut Bolsonaro nun das Gerücht, dass das Wahlsystem manipulierbar sei.

Käme es zu Wahlbetrug, müsse das Militär eingreifen. Gegen diese offene Drohung mit einem Putsch hat sich bereits breiter Widerstand formiert. Es ist kaum anzunehmen, dass die Militärs sich auf ein solches Abenteuer einlassen werden.

Herausforderer Lula da Silva hat unterdessen fast schon leichtes Spiel. Er setzt auf Nostalgie und ruft in Erinnerung, wie glücklich die Brasilianer angeblich in seiner Regierungszeit gewesen seien, wie voll die Einkaufskörbe und Benzintanks. Vergessen scheint die Verstrickung seiner Arbeiterpartei in den Petrobras-Skandal und die Gefängnisstrafe, zu der Lula 2018 verurteilt wurde, bevor er 2019 aufgrund von Verfahrensfehlern und Voreingenommenheit des Richters wieder freikam. Vor dem Hintergrund des bolsonaristischen Fiaskos möchten viele Brasilianer dennoch gerne an bessere Zeiten glauben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false