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Gelingt Robert Habeck, Olaf Scholz und Christian Lindner in Schloss Meseberg ein Aufbruch bei der Kabinettsklausur?

© John MacDougall/AFP

Koalition in der Krise: Die Ampel sollte sich auf ihre Startphase besinnen

Der Geist von Meseberg wird gern beschworen, selten war der Druck größer. Ausgerechnet jetzt wirft die nervöse Koalition Prinzipien über Bord. Ein Kommentar.

Es lohnt sich, den Koalitionsvertrag nochmal zu lesen. Man wolle eine Kultur des Respekts befördern, steht dort: Respekt für andere Meinungen und für Gegenargumente, um dem Land vorbildhaft zu zeigen, dass Zusammenhalt und Fortschritt auch bei unterschiedlichen Sichtweisen gelingt. Doch keine neun Monate nach dem Start hat das Konzept tiefe Schrammen, haben SPD, Grüne und FDP sich verkeilt – und das mitten in der Kriegs- und Energiekrise.

Ausgerechnet SPD-Chef Lars Klingbeil, Architekt der innerparteilichen Geschlossenheit, hat mit dem Erfolgsprinzip aus der Startphase gebrochen, das darauf setzte, dass Streit zwar nach innen möglich sei, man nach außen aber geschlossen auftrete.

Die Attacken der SPD richten sich gegen den Umfragekönig und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Sie sind berechtigt, wo sie Kritik an handwerklichen Mängeln der Gasumlage benennen, die allerdings auch das Kanzleramt mitzuverantworten hat, aber sie wirken auch orchestriert. Das hängt mit dem 9. Oktober zusammen, dem Tag der Landtagswahlen in Niedersachsen. Verliert die SPD ihr Stammland, könnte das dramatische Folgen haben, auch für die Geschlossenheit der Partei.

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Die Gas-Umlage ist nicht das zentrale Problem

Die verkorkste Gasumlage ist gleichwohl nur ein Nebenschauplatz. Die Koalition kann bisher keine vernünftige Antwort liefern, wie die arbeitende Bevölkerung vor der Wucht der Energiepreisexplosionen geschützt werden soll. Überall stellen Familien in diesen Tagen entgeistert fest, dass sie statt 100 nun monatlich 700 Euro für Gas zahlen sollen. Und schon droht der an den Gaspreis gekoppelte Strompreis ebenfalls mit gewaltigen Steigerungen nachzuziehen. Die Preissprünge überfordern vor allem untere und mittlere Einkommen, aber nicht nur: Auch die obere Mittelschicht ist spürbar betroffen.

Viel zu wenig wird zudem bisher über die Folgen der Energiekosten für die Industrie, Rückgrat des hiesigen Wohlstands, gesprochen. Wenn die hohen Preise kommendes Jahr voll durchschlagen, hilft auch keine Ausweitung der Kurzarbeit, die manchen Betrieb über Corona hinweggerettet hat, dann würde es zu Masseninsolvenzen kommen.

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Alte Grundsätze über Bord werfen - befristet

Auch hier braucht es dringend staatliche Antworten. Und es braucht – nun aber wirklich – einen Kanzler, der führt. Olaf Scholz muss die Koalition bei ihrer Klausur ab Dienstag in Schloss Meseberg auf einen neuen Geist einschwören. Und auch einige Koalitionäre müssen über ihren Schatten springen. FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner etwa. Über den Schatten zu springen hieße für ihn: Die Schuldenbremse muss nochmal ausgesetzt werden, es braucht zweistellige Milliardensummen, um im Wirtschaftskrieg mit Russland – nichts anderes ist es inzwischen – eine wirtschaftliche Depression mit Wohlstandsverlusten und politischer Dauerkrise zu verhindern.

Scholz' Schachzug mit dem Sondergast

Zudem müssten die teils abenteuerlichen Gewinne einiger Krisenprofiteure abgeschöpft werden. Es ist ein kluger Schachzug, dass Scholz den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez nach Meseberg eingeladen hat. Der hat in seinem Land eine Übergewinnsteuer eingeführt, die den einen kostenfreien ÖPNV und einen Gaspreisdeckel von 40 Euro pro Megawattstunde finanziert. Gerade bei der FDP könnte Sánchez Überzeugungsarbeit leisten.

Da dominierte noch Aufbruchsstimmung: Die Vorstellung des Koalitionsvertrags im Herbst 2021.

© Michael Kappeler/dpa

Die FDP pocht auf die Schuldenbremse, die Grünen auf den Atomausstieg

Statt mehr Pragmatismus zu wagen, bremst sich diese Koalition bisher mit ideologischen Dogmen, darunter auch die Grünen-Vorbehalte gegen AKW-Laufzeitverlängerungen, selbst aus. Bisher lässt Scholz es laufen. Dafür wird er nun öffentlich und deutlich aus dem Lager von Grünen und FDP angezählt. Das kann das Vertrauen der Bevölkerung in ihren Kanzler weiter erodieren lassen.

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Und niemand sollte vergessen: Auch Union, Grüne und FDP hätten eine Mehrheit ohne Neuwahl im Deutschen Bundestag. Wenn es in dieser Weise weitergeht, wird irgendwann der erste Koalitionär mit der Jamaika-Option und einem konstruktiven Misstrauensvotum drohen. Scholz' Stärke ist es, in Krisensituationen kühlen Kopf zu behalten und Kompromisse zu schmieden.

Er steht unter Lieferdruck, wie die gesamte Koalition, so eine Koalitionskrise in der Krise kann niemand wollen. Jetzt wäre die Zeit, sich am Riemen zu reißen, Angriffe einzustellen und mit einem Entlastungspaket zu überraschen, dass dieser Koalition schon kaum noch jemand zutraut.

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