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Die Hauptangeklagten (von links nach rechts) Hermann Göring, Rudolf Heß und Joachim von Ribbentrop auf der Anklagebank während der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, die vor 70 Jahren begannen.

© dpa

Krieg und Verbrechen: Die Lehre von Nürnberg

Eine Hoffnung aus den Nürnberger Prozessen vor 70 Jahren war, dass es in Zukunft weniger Krieg geben werde. Inzwischen ist die größte Herausforderung, den Frieden zu gewinnen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Nicht nur von den meisten Angeklagten, auch von etlichen Deutschen wurde um und nach 1945 der Vorwurf erhoben, der Hauptkriegsverbrecher-Prozess von Nürnberg sei ein Akt der „Siegerjustiz“ gewesen. Das hat sich inzwischen erledigt. Natürlich waren es die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, die in Nürnberg ab dem 20. November vor 70 Jahren über Göring, Heß, Ribbentrop oder Speer zu Gericht saßen. Aber die Sieger, vornehmlich die Amerikaner und Briten, sprachen nach fast einjähriger und bis dahin beispiellos gründlicher Beweisaufnahme Recht, sie übten nicht Rache. Es war ein Sieg der Justiz. Und eine Wende in der Geschichte.

Erstmals mussten sich ehemalige Staats- und Militärführer für ihre Gewalttaten verantworten: für einen Angriffskrieg und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dabei kam auch der Völkermord an Europas Juden ausführlich zur Sprache, die Welt erfuhr über Auschwitz und erstmals vom Wirken eines gewissen Adolf Eichmann. Aber wohl erst das Eichmann-Tribunal in Jerusalem und dann der Frankfurter Auschwitz-Prozess haben in den 1960er Jahren den Holocaust ins weltweite Bewusstsein gehoben.

Es war der Anfang eines neuen Völkerrechts

Das Nürnberger Exempel galt dem Krieg. Nicht nur den Kriegsverbrechen, sondern zum ersten Mal überhaupt dem Verbrechen des Krieges: der willkürlich begonnenen Aggression eines Staats gegen andere Staaten. Das war der Anfang auch eines neuen Völkerrechts, das sich heute etwa durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag manifestiert. Eine Hoffnung von Nürnberg war, dass durch die Sanktion auch eine Prävention bewirkt werde. Dass es in Zukunft weniger Krieg geben werde auf der Welt.

Das moderne Völkerrecht ist besser als sein Ruf - es müssten nur alle sich daran halten und die Großmächte mit gutem Beispiel vorangehen, statt es permanent zu missachten.

schreibt NutzerIn smukster

Natürlich hat es seitdem weiterhin Kriege gegeben. Doch haben auch Kriegsherren und Gewaltherrscher, ob Slobodan Milosevic oder Saddam Hussein, hernach ihre Richter gefunden. Die USA, denen das neue Völkerrecht viel verdankt, erkennen für sich das Haager Tribunal zwar (noch) nicht an. Doch sind kriegerische Akte nun offen umstritten, Kriegsverbrechen wie im vietnamesischen My Lai oder später im Irak wurden von der US-Justiz mindestens in Einzelfällen verfolgt. Und der Krieg, vormals eine „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (Clausewitz), gilt als geächtet. Das hat auch Russland, einst in Nürnberg mit am Richtertisch, im Fall der Krim und Ukraine durch den internationalen Boykott erfahren.

Eine weitere Erfahrung ist die: Kriege sind in einer komplex globalen Welt immer weniger zu gewinnen. Man muss sie eher verhindern oder zu beenden suchen. Denn die größte Herausforderung ist, den Frieden zu gewinnen. Das zeigt die Ukraine, das beweisen die Konflikte im Nahen Osten. Trotzdem muss der Frieden oft erst mit Waffen gewonnen werden. Im Wissen, was Krieg bedeutet, war auch Nürnberg kein Sieg des Pazifismus.

In Europa gibt es in diesen Tagen sehr viel Unfrieden. Aber, anders als in Syrien, herrscht bei uns kein Krieg. Frankreichs Präsident Hollande mag sich voller Trauer, Zorn und ein Stück weit auch mit politisch-populistischer Berechnung martialisch geben. Doch Terrorismus heißt noch nicht Krieg, und die Terroristen sind keine Kombattanten, sondern Kriminelle. Alles andere wäre für sie nur eine zweifelhafte Ehre. Es ist ein Kampf gegen das organisierte Verbrechen. Wer dabei rhetorisch abrüstet, hat den Kopf umso freier für die Waffen der Vernunft.

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