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CDU-Chef Friedrich Merz (links) und Alexander Dobrindt, erster stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion.

© Imago/Political-Moments

Streit um das Wahlrecht: Die Union ist es, die die Demokratie schädigt

In dem bizarren Streit um das Verschieben eines Wahlkreises haben CDU und CSU der Ampel vorgeworfen, die Demokratie zu schädigen. Tatsächlich stiftet diesen Schaden die Union selbst.

Ein Kommentar von Albert Funk

Man verliert so langsam den Glauben an den Verstand in der politischen Mitte. Denn sie zerstreitet sich beim Wahlrecht mittlerweile in einer Art und Weise, die auf Verantwortungsvergessenheit hindeutet. Vorige Woche war es einmal mehr die Union, und hier vor allem die CSU, die entgleiste. Der Vorgang war simpel und den heftigen Streit nicht wert: Wegen der Bevölkerungsentwicklung verliert Sachsen-Anhalt einen Wahlkreis, Bayern bekommt ihn hinzu.

Dass es den Wahlkreis „Anhalt“ traf, ist leicht erklärt: Er liegt in der Mitte des Landes, umgeben von sieben anderen Wahlkreisen, ist also am leichtesten aufzuteilen. Dass die Ampelkoalition sich für die Neuschaffung eines Wahlkreises im Süden des Regierungsbezirks Schwaben entschied, wo nach der Gesetzeslage zwei Wahlkreise zu groß sind, ist nachvollziehbar.

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Dass sie dabei möglicherweise etwas lax verfahren ist, kann man ihr vorwerfen. Ob es der klügste Zuschnitt im Detail ist, der da gefunden wurde, ist strittig – aber das ist bei Neuzuschnitten von Wahlkreisen nahezu die Regel. Der Wunsch der CSU, in München einen fünften Wahlkreis in der Stadtmitte zu schaffen, ist demgegenüber weniger einleuchtend und erklärt sich letztlich allein aus Interessen der Partei.

Bis hierher kann man das noch als Geplänkel sehen. Was aber trieb Friedrich Merz und Alexander Dobrindt, als sie von Manipulation am Wahlrecht sprachen, vom Schaden für die Demokratie, vom Versuch des Machterhalts für die Ampel? Man kann da nur einen schweren Aussetzer vermuten.

Vor allem, weil CDU-Chef Merz auf die in den USA gängige Praxis des „Gerrymanderings“ verwies und mit großer Empörung der Ampel vorwarf, diese nun auch bei uns einzuführen, wo doch die Demokratie in den USA deswegen nicht mehr funktioniere.

Unter „Gerrymandering“ versteht man das gezielte Zuschneiden von Wahlkreisen nach Parteiinteressen. Wo Mehrheitswahl gilt, ist das eine wirksame Methode, das Wahlergebnis zu beeinflussen. In Deutschland aber wird Verhältniswahl angewendet.

„Gerrymandering“ ist bei der Verhältniswahl witzlos

Man kann natürlich auch bei uns über Wahlkreiszuschnitte Einfluss darauf nehmen, wer über die Erststimme ein Direktmandat bekommt. Aber für die Zusammensetzung des Bundestages nach Parteien ist die Zweitstimme entscheidend – und da ist der Zuschnitt der Wahlkreise bundesweit völlig irrelevant. Oder anders gesagt: „Gerrymandering“ ist in Deutschland möglich, aber witzlos.

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Erklärbar ist der Aussetzer nur, weil in der Union eine geradezu manische Fixierung auf das Direktmandat herrscht. Man hätte gern Mehrheitswahl (und würde dann vermutlich fröhlich zum eigenen Nutzen „gerrymandern“). Aber man bekommt sie nicht, weil es dafür im Bundestag nie eine Mehrheit gab und sie auch künftig nicht absehbar ist.

Der Auftritt von Merz und Dobrindt aber hat gezeigt, dass die Union Gefahr läuft, wahlrechtspolitisch nicht mehr ernst genommen zu werden. Das wäre nun tatsächlich ein Schaden für die Demokratie.

Albert Funk

Als Ersatzlösung träumt man vom Grabenwahlrecht als einer „halben Mehrheitswahl“ – mit dem System sichert Wladimir Putin die Herrschaft seiner Partei in Russland. Den Hinweis darauf tut man in der Union als unfaire Geste ab.

Das Direktmandat wird in der Union vergöttert, weil es der einfache Weg zum Mandat ist. Im Wahlkreis reicht es, sich die Unterstützung weniger zu sichern, um als Kandidat oder Kandidatin aufgestellt zu werden. Hat es geklappt, ist man bald der Wahlkreispascha oder die Wahlkreiskönigin. Listenparteitage sind dann, wenn das Direktmandat sicher ist, eine überflüssige Nebensache.

Vor allem in der CSU reagiert man daher panisch auf alle Reformvorschläge, die stärker Richtung Verhältnis- und Listenwahl gehen. Es ist die CSU, die sich seit Jahren bei allen Reformanläufen am sperrigsten gezeigt hat. Nun ist sie Opposition. Die Ampel hat die Situation genutzt und eine Reform auf den Weg gebracht. Das hat den Furor der Bayern noch angefacht.

Angriff auf die CSU?

Das Ampel-Modell ist nicht frei von Widersprüchen. Dazu gehört allerdings nicht, dass sie die Regel gekippt hat, wonach drei Direktmandate genügen, um eine Partei in den Bundestag zu hieven, die nach Zweitstimmen die Fünfprozenthürde nicht überwindet. Der Schritt war konsequent.

Die Drei-Mandats-Regel war aber immer eine Versicherung der CSU gegen den äußersten Notfall, in Bayern nicht genügend Stimmen zu haben, um die bundesweit geltende Fünf-Prozent-Hürde zu meistern. 2021 war sie nahe daran.

Daher sieht sie die Ampel-Reform als Anschlag auf ihre Existenz. Dass aus der Ampel als Kompromiss der Vorschlag kam, über das Zulassen von Zählgemeinschaften die CSU quasi zum Landesverband der CDU zu machen, hat das noch verschärft.

Der Auftritt von Merz und Dobrindt aber hat gezeigt, dass die Union Gefahr läuft, wahlrechtspolitisch nicht mehr ernst genommen zu werden. Das wäre nun tatsächlich ein Schaden für die Demokratie. Die Union hat in Karlsruhe gegen das Ampel-Wahlrecht geklagt. Schon ein Teilerfolg würde dieses wieder reformbedürftig machen. Das wäre eine gute Chance, sich endlich auf ein Wahlrecht zu einigen, das von der breiten Mitte getragen wird.

Die Haltung in der Union aber, nach der Rückkehr in die Regierung werde man das Ampel-Modell einfach schreddern und eine eigene Reform anpeilen, ist eine Illusion. Sie kann doch nur mit Ampel-Parteien koalieren. Warum sollten die sich von ihrer Reform abkehren? Warum sollten die sich auf Maximalvorstellungen der Union einlassen? Warum sollten sich SPD, Grüne oder FDP von der CSU zu etwas treiben lassen, was allein der CSU nützt? Man kann an die Union daher nur appellieren: Kommt endlich zur Vernunft.

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