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Robert Habeck bei der Vorstellung der Gaspreisbremse, mit dem aus der Corona-Isolation zugeschalteten Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner.

© Foto: dpa/ Kay Nietfeld

„Doppel-Wumms“ mit Tücken: Die Winter-Sorgen des Robert Habeck

Der 200-Milliarden-Abwehrschirm erweckt den Eindruck, die Gaspreise würden fast komplett ausgeglichen. Doch das könnte das größte Problem weiter verschärfen.

Robert Habeck hat schnell gemerkt, dass der 200-Milliarden-Abwehrschirm kommunikativ auch ein großes Risiko ist. Seit Tagen versucht der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister den Fokus auf das größte Problem dieses Krisenwinters zu lenken, die Bürger sparen bisher nicht genug Energie ein. Zuletzt stieg wegen der Temperaturen der Gasverbrauch sogar im Vergleich zum Vorjahr an.

„Diese Bundesregierung hat nur einen Schuss frei“, formuliert es ein führender Unions-Politiker. Und mit dem Versprechen von Kanzler Olaf Scholz (SPD), dass mit Milliardensummen die Gaspreise wieder spürbar gesenkt werden, besteht aus Sicht des Grünen zugleich die Gefahr eines falschen Eindrucks – der bei den Bürgern zu Sorglosigkeit führen kann. Der Kanzler spricht von einem „Doppel-Wumms“ – aus Sicht von Experten braucht es einen Wumms aber auch gerade beim Energiesparen. Denn wenn das Gas nicht reicht, hilft halt auch keine Preisbremse.

Außer Appellen und einigen Vorgaben wie dem Verzicht auf das Beheizen von Privatpools gibt es bisher wenig Möglichkeiten, das Sparverhalten zu steuern. Den Löwenanteil trägt bisher die Industrie – aber weniger durch Effizienzsteigerungen, sondern durch das Herunterfahren der Produktion.

Wir sind im Krieg mit Putin.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)

Als erstes Regierungsmitglied hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gesagt, dass sich Deutschland mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin „im Krieg“ befinde – denn sein Agieren zielt offensichtlich auf einen dauerhaften Schaden für die Industrie und eine Destabilisierung von Demokratie und Gesellschaft ab, die AfD ist seit Wochen stark im Aufwind, vor allem im Osten.

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In der Beschlussvorlage, die dem Tagesspiegel vorliegt, gibt es aber bisher wenig konkrete Pläne: „Es bleibt sehr wichtig, durch eine gemeinsame Kraftanstrengung eine Mangellage beim Gas zu vermeiden. Bund und Länder werden bei der Umsetzung von Maßnahmen zur Energieeinsparung und Energieeffizienz zusammen­arbeiten“, wird dort betont. Man bekenne sich zum Ziel der EU, vom 1. August 2022 bis 31. März 2023 gemeinschaftlich 15 Prozent Gas im Vergleich zum Durchschnittsverbrauch der vergangenen fünf Jahre einzusparen.

Mit den wohl auf Jahre hohen Energiepreisen droht eine Abwanderungswelle und die Verlagerung von Produktion in Länder mit niedrigeren Energiepreisen, hunderttausende Arbeitsplätze könnten für immer verschwinden. Die Verwerfungen durch die einseitige Abhängigkeit von russischem Gas, jahrelang Schmierstoff des Wachstums, könnten dramatisch ausfallen. Am Dienstag wird Scholz mit den Regierungschefs der Länder bei einem Gipfel auch über die Einsparungen sprechen.

Die AfD, hier Björn Höcke, verspricht der Ampel-Koalition einen „heißen Herbst“.

© Foto: Imago Images/Karina Hessland

Aber wie? Zwar tauschen viele Bürger die Duschköpfe gegen Energiesparmodelle aus und wollen weniger heizen, aber in der Breite scheint das Problem noch nicht angekommen zu sein. Habeck war immer gegen finanzielle Anreize, doch genau diese wären nach Ansicht von Ökonomen der beste Weg. Selten war der Druck auf einer von der von der Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission größer.

In einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ haben die drei Vorsitzenden, die Energieexpertin Veronika Grimm, der Vorsitzende der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Michael Vassiliadis, und der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, nun skizziert, in welche Richtung sie planen, bis spätestens Mitte Oktober soll ihr Vorschlag für eine Gaspreisbremse vorliegen.

Der Bund-Länder-Gipfel soll Auswege aus der kriegsbedingten Energiekrise zeigen.

© Foto: AFP/Michelle Tantussi

„Wir müssen die Sparanstrengungen verstärken und die Belastungen auf ein aushaltbares Maß begrenzen“, beschreiben die Drei ihre Kernaufgabe. Scholz, Habeck und Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatten die Gaspreisbremse am Donnerstag verkündet und wollen dafür 200 Milliarden Euro über den Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds über Kreditermächtigungen bereitstellen. „Die aktuellen Sparerfolge beim Gasverbrauch sind zu gering, um eine Zuspitzung der Versorgungslage in den kommenden Monaten auszuschließen“, mahnen die Vorsitzenden.

Der Winter 2023/2024 wird noch schwieriger

Denn die Gasmangel-Lage wird sich mindestens auch auf den kommenden Winter erstrecken. „Wir müssen zum Beispiel davon ausgehen, dass die jetzt erfreulicherweise bereits gut gefüllten Gasspeicher bis zum Ende der Heizperiode stark in Anspruch genommen werden und es anschließend deutlich herausfordernder als in diesem Jahr sein wird, sie ohne weitere Gaslieferungen aus Russland wieder komplett zu füllen“, warnen die Vorsitzenden der Gas-Kommission.

Denn bis zum Stopp der Lieferungen über Nord Stream 1 wurden die Speicher auch mit Gas aus Russland gefüllt, mit den Sabotageakten gegen die Pipeline entfällt diese Option komplett. Ersatzlieferungen sind enorm teuer. Und die steigenden Gasverbräuche reduzieren zunehmend die Einspeicherungsmöglichkeiten, sagte der Geschäftsführer des Speicherverbandes Initiative Energien Speichern (INES), Sebastian Bleschke, der dpa.

Mindestens bis Sommer 2024 wird es eine sehr angespannte Situation geben, betont auch der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller – solange ist aus seiner Sicht die Gaspreisbremse nötig. Die Mengen an russischem Gas, die ersetzt werden müssten, seien riesengroß. Es müssten rasch die sechs Flüssiggas-Terminals und die Anbindung ins Hinterland gebaut werden, damit viel Gas aus Belgien, Frankreich und Norwegen nach Deutschland strömen könne.

Über die offensichtlich durch Sabotageakte zerstörte Ostseepipeline Nord Steam 1 wird wohl nie wieder Gas fließen.

© Foto: Imago/Danish Defence

Doch das braucht Zeit – und über die zu bereits rund 92 Prozent gefüllten Gasspeicher werden auch Verbraucher im Ausland versorgt, ohne stärkere Einsparungen werden sie ohnehin nicht alleine helfen, über den Winter zu kommen. Dann drohen gerade der Industrie größere Abschaltungen, die die Rezession verschärfen könnten. Und wegen der stark gestiegenen Einkaufspreise kann auch noch niemand sagen, ob die 200 Milliarden Euro reichen, um die Kosten für Bürger und Wirtschaft nachhaltig zu dämpfen.

Länder wie Norwegen kassieren von Deutschland ab

Habeck hat zuletzt darauf verwiesen, dass wegen der Gaseinkäufe enorm viel volkswirtschaftliches Vermögen ins Ausland transferiert wird. Norwegen etwa schwimmt im Geld. Für ihn und sein Team ist die Gaspreisbremse eine gewaltige Bewährungsprobe, nach der zurückgezogenen Gasumlage darf ihm hier kein Fehler passieren, es braucht einen gut ausbalancierten Gleichklang: Netzagentur-Chef Müller hält es für richtig, die Bürgerinnen und Bürger bei den sprunghaft gestiegenen Gaskosten zu entlasten, pocht aber auch auf Anreize zum Sparen.

„Wenn das Signal wäre, Gas wird wieder so billig wie früher, dann bin ich sicher, erleben wir eben keine Einsparungen oder zu wenige Einsparungen. Dann erleben wir, dass die Gasverbräuche nach oben gehen. Und dann sind wir schneller, als uns allen lieb ist, eben in einer Mangelsituation“, sagte Müller einem Podcast des baden-württembergischen Finanzministers Danyal Bayaz (Grüne). Es sei zwar richtig, beim Gapreisdeckel den Grundbedarf zu vergünstigen, aber der dürfe nicht so üppig ausfallen, „dass es keinen Sparimpuls mehr gibt“.

Wegen der Gefahr, dass aufgrund der Gaspreisbremse die Menschen nicht genügend zum Sparen angereizt würden, macht sich unter anderem SPD-Chefin Saskia Esken für ein Modell stark, dass zum Beispiel nur 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs subventioniert wird – und was darüber liegt, mit dem aktuell sehr hohen Preis berechnet wird, das würde dann ein Sparanreiz sein.

Habeck argumentiert ebenfalls in diese Richtung.  „Eine gewisse Last wird genommen werden, aber die komplette Last wird sicherlich nicht genommen werden können.“ Die Debatte zeigt: Es ist schmaler Grat zwischen Entlastung und der Sorge, dass die Bürger dann aber nicht selbst genug einsparen. Es wirkt wie die Operation am offenen Herzen der Volkswirtschaft und in Gesprächen mit führenden Koalitionspolitikern ist die Sorge spürbar, dass die Stimmung vollends kippen könnte.  

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