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Da lang, wer sein Geld los werden will..... (Archivfoto aus Dresden)

© imago images/Olaf Döring

Empörung über Meldeportal für Steuerbetrug: Drei Gründe, warum das Pilotprojekt so aufregt

Das baden-württembergische Meldeportal für Hinweise auf Steuerbetrug wird seit seinem Start von Hassbotschaften geflutet. Was tief blicken lässt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Man kann die Aufregung um das Online-Meldeportal für mutmaßlichen Steuerbetrug abtun als einen weiteren Sieg der Empörungslust über fast alles rational Gebotene. Aber es steckt womöglich mehr dahinter.

Seit das Pilotprojekt aus dem von einem Grünen geführten baden-württembergischen Finanzministerium bekannt wurde, tönt es: Bürger sollen Bürger bespitzeln! Grüne fördern Denunziantentum! Steuer-Stasi! Und das Meldeportal selbst wird seit seinem Start am Montag niedergeflutet – und zwar mit Hassbotschaften.

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Dass die Grünen-Parteichefs in diese Stimmung hinein die Plattform nicht nur verteidigen (Habeck), sondern anregen, Vergleichbares auch auf Bundesebene zu etablieren (Baerbock), zeugt da von Mut. Denn die relativierenden Einlassungen aus dem Ministerium, dass es um begründete Verdachtsfälle auf substanziellen Steuerbetrug gehe, nicht um die nicht angemeldete Putzhilfe, gehen im Geschrei ebenso unter wie die Unterstützung dafür von Transparency.

Eine gigantische Unzufriedenheit mit dem Steuersystem

Warum regt das Portal, das lediglich ein existentes Meldesystem auf Zettelbasis durch eine Digitalversion ergänzt, viele so auf?

Da ist zum einen die gigantische Unzufriedenheit mit dem hiesigen Steuersystem. Es ist längst zu einem Dickicht geworden, undurchschaubar, furchteinflößend, das immer noch dichter und komplexer wird, sogar Steuerberater beklagen Wildwuchs. Bürger fühlen sich überfordert oder ausgeliefert oder beides zugleich, Unternehmen und Vermögende beschäftigen findige Steuerprofis, um sich zu entziehen. Das Ergebnis: Es gibt keine Steuergerechtigkeit in diesem Land, und das berührt alle und alles.

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Hier endlich Abhilfe zu schaffen und ein nachvollziehbares, einfaches Steuersystem zu etablieren, würde das Ungerechtigkeitsempfinden eher beheben als Meldeportale für Betrugshinweise. Und diese Sichtweise endet nicht an Deutschlands Grenzen, wird aber auch jenseits davon dauernd enttäuscht, wenn wieder keine internationale Anti-Steuervermeidungspolitik zustande kommt.

Zudem verbirgt sich in der Frage danach, wer wie Steuersünder meldet, eine je andere Idee von Staat. Verrät der Tippgeber den mutmaßlichen Hinterzieher an „den Staat“, die abstrakte, fremde Macht – oder sind der Staat nicht doch „wir alle“ und Hinweise also Selbstschutz?

Und zu guter Letzt steckt in der Aufregung über das Meldeportal eine Ahnung davon, was Menschen von ihren Mitmenschen erwarten. Was vielleicht das Deprimierendste an der Debatte ist: Wenn bei „Anonymes Hinweisgebersystem der Steuerverwaltung“ alle gleich an Nachbarn denken, die Nachbarn melden, die ein etwas zu großes Auto vor der Tür stehen haben, dann – ja, was dann? Dann ist das nicht mehr mein Land?

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