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Evan Gershkovich sitzt seit Ende März in Moskau in Haft, US-Präsident Biden hat wiederholt seine Freilassung gefordert.

© ALEXANDER DRAGO/Reuters | Bearbeitung: Tagesspiegel

Drohen und Verhandeln im Fall Gershkovich : Ein Journalist als Geisel der russischen Regierung

Seit Ende März sitzt der US-Journalist Evan Gershkovich in Moskau im Gefängnis. Was bezweckt Putin damit – und steht ein Gefangenenaustausch bevor?

Der US-Journalist Evan Gershkovich sitzt seit mehr als 100 Tagen im berüchtigten Moskauer Lefortowo-Gefängnis in Haft, das auch vom Geheimdienst FSB genutzt wird. Der 32-Jährige war am 29. März in Jekaterinburg unter dem Vorwurf festgenommen worden, er habe geheime Informationen über einen Rüstungsbetrieb gesammelt.

Es ist die erste Inhaftierung eines US-Journalisten in der Sowjetunion oder Russland seit 1986. Das „Wall Street Journal“, der Arbeitgeber Gershkovichs, weist die Vorwürfe zurück. Der Journalist, Kind russisch-jüdischer Eltern, die aus der Sowjetunion in die USA ausgewandert sind, berichtet seit 2017 für verschiedene Medien über Russland.

Evan Gershkovich bei einem Gerichtstermin im Juni 2023.

© imago/ITAR-TASS/IMAGO/Sofya Sandurskaya

In der Stadt im Ural habe er über die Werbekampagne der Söldnertruppe Wagner und die Reaktion der Bürger darauf recherchiert, erklärte das „Wall Street Journal“. Die Punkte der Anklage gegen Gershkovich ist nicht bekannt, da Verfahren wie das gegen Gershkovich üblicherweise in Geheimprozessen geführt werden. Im Falle einer Verurteilung drohen dem Journalisten 20 Jahre verschärfte Lagerhaft.

Was hat Putin mit ihm vor?

Das Vorgehen gegen Gershkovich zeigt die Bedrohung, unter der alle westlichen Journalisten in der russischen Hauptstadt derzeit arbeiten. Die russischen Behörden geben zu erkennen, dass die Repressionen, die sie gegen heimische Journalisten mit brutaler Konsequenz und oftmals mit langjährigen Haftstrafen durchsetzen, sich jederzeit auch unterschiedslos gegen ihre ausländischen Kollegen richten können.

Die Regierung Putins will mit der Verhaftung von Gershkovich und dem Vorgehen gegen einige seiner Gesprächspartner ein Zeichen setzen.

© action press/Карпухин Сергей

Darüber hinaus soll mit dem Fall Gershkovich auch die Berichterstattung der westlichen Medien über Russland beeinflusst werden. Dem „Wall Street Journal“ wurde von der staatlichen Nachrichtenagentur eine ziemlich unverblümte Drohung übermittelt: Sollte das Blatt ihre „Desinformation“ fortsetzen, „wird das bedeuten, dass die Redaktion Gershkovichs Schicksal überhaupt nicht interessiert“.

Vor allem aber ist dieser Fall ein Signal nach innen. Unter der russischen Bevölkerung soll er die Angst schüren, überhaupt mit westlichen Journalisten zu sprechen. Einige Gesprächspartner Gershkovichs aus Jekaterinburg sollen inzwischen ebenfalls in Haft sitzen.

So könnte es weitergehen

In dem vergleichbaren Fall der Basketball-Olympiasiegerin Brittney Griner war nach zehn Monaten eine Einigung erzielt worden. Die Sportlerin war im Februar 2022 auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo wegen angeblichen Drogenbesitzes verhaftet, zu neun Jahren Haft verurteilt und dann gegen den rechtsradikalen russischen Waffenhändler Wiktor Bout ausgetauscht worden.

Brittney Griner, hier bei einem Spiel im Juni 2023 in Seattle, war im Winter durch einen Gefangenenaustausch mit Russland freigekommen.

© Getty Images via AFP/Steph Chambers

Auch jetzt stehen Kandidaten für einen Gefangenenaustausch zur Verfügung. Unter ihnen ist dem Vernehmen nach der sogenannte Tiergartenmörder Wadim Krasikow, der in Deutschland eine lebenslange Freiheitsstrafe absitzt, weil er einen Exil-Tschetschenen tötete.

Als wahrscheinlicher gilt jedoch der Austausch mit dem Hacker Wladimir Dunajew, der seit 2021 in den USA einsitzt. Zeitgleich fanden nämlich Anfang des Monats Gespräche von US-Diplomaten mit Gershkovich in Moskau und von russischen Konsularbeamten in den USA mit Dunajew statt. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bestätigte, dass es Gespräche mit den USA über Gershkovich gibt, sie würden „in völliger Stille geführt“.

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