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Bereits an Pfingsten könnten Hunderttausende zum Sparpreis durch die Republik fahren.

© Frank Rumpenhorst/dpa

Neun-Euro-Ticket: Experten erwarten Verspätungen

Wegen des Neun-Euro-Tickets stellt die Deutsche Bahn 50 zusätzliche Züge bereit. Experten aber bezeichnen dies nur als „Tropfen auf den heißen Stein“.

Man reist nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen - dieses Zitat stammt von Johann Wolfgang von Goethe. Wenn man dem Dichter und Denker also glauben mag, dann ist das Neun-Euro-Ticket schon jetzt ein voller Erfolg. Denn damit werden in den kommenden drei Monaten Millionen Menschen kreuz und quer durch die gesamte Republik in Zügen, Bussen, Straßenbahnen und U-Bahnen unterwegs sein.

Wer aber nicht nur reisen möchte, sondern auch tatsächlich ankommen will, der könnte enttäuscht werden – vor allem wenn es um Pünktlichkeit geht. Ob Bus und Bahn dem millionenfachen Ansturm auf das Neun-Euro-Ticket nämlich standhalten, wird sich dieses Wochenende zum ersten Mal zeigen. Dann steht über das Pfingstwochenende der erste Härtetest an, zu dem Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger in den Urlaub fahren und den Öffentlichen Verkehr so an seine Grenzen bringen könnten.

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Welche Dimensionen dies annehmen könnte, zeigen die neusten Zahlen: Schon jetzt verkaufte die Deutsche Bahn mehr als 2,7 Millionen Neun-Euro-Tickets, Fahrkarten regionaler Betreiber sind hier noch nicht mal eingerechnet. So haben beispielsweise auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) bereits knapp 500.000 Tickets verkauft, im Schnitt 40.000 pro Tag.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zeigt sich zuversichtlich und erklärt im Interview mit der FAZ, dass er der Expertise der Bundesländer vertraue und ein Chaos nicht erwarte. „Bisher wurde immer beklagt, dass zu wenige Menschen die Busse und Bahnen nutzen. Ich freue mich, wenn es mehr werden“, sagt Wissing. Außerdem liege die derzeitige Belastung der Deutschen Bahn bei nur 80 Prozent im Vergleich zu Prä-Corona-Zeiten, sodass es noch etwas Spielraum gebe.

In den nächsten drei Monaten könnte es durch das Neun-Euro-Ticket zu besonders vollen Bahnsteigen kommen.

© Marijan Murat/dpa

„Tropfen auf den heißen Stein“

Die Deutsche Bahn ist ähnlich optimistisch gestimmt. „Wir setzen alles in Bewegung, was wir haben und freuen uns auf viele Fahrgäste, die die Attraktivität von Bahnen und Bussen für sich wieder oder neu entdecken“, erklärt ein Sprecher der Deutschen Bahn gegenüber dem Tagesspiegel. Dafür würden bundesweit 50 zusätzliche Züge eingesetzt, wodurch Reisenden 250 ergänzende Fahrten und 60.000 zusätzliche Sitzplätze zur Verfügung stünden.

Doch sind 50 Extra-Züge bei mehreren Millionen verkauften Tickets ausreichend? Nein, meint Verkehrsmodellierer Johannes Schlaich. „Die 50 Züge, die DB-Regio zusätzlich anbieten will, sind in Relation zum normalen Angebot eher ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt der Professor für Mobilität und Verkehr an der Berliner Hochschule für Technik dem Tagesspiegel.

Schon jetzt komme es insbesondere im Ferien- und Freizeitverkehr zu Überlastungen des Schienennetzes, das Neun-Euro-Ticket sorge hier für eine weitere Verschärfung. Ähnlich sei es auch im Jahre 1995 gewesen, als das kostengünstige Schöne-Wochenend-Ticket eingeführt wurde und dies zu Verspätungen führte.

Der Deutschen Bahn selbst aber könne man keinen Vorwurf machen. Denn zum einen seien die Bundesländer größtenteils zuständig und zum anderen habe die Politik das Neun-Euro-Ticket schlichtweg zu kurzfristig beschlossen, als dass man adäquat hätte reagieren können. „Fahrzeuge können nicht so schnell beschafft und das Personal nicht für alle Aufgaben so schnell ausgebildet werden. Außerdem gibt es in der Infrastruktur des Schienennetzes nicht überall ausreichend Kapazitäten“, sagt Schlaich.

Es ist fraglich, ob die zusätzlichen 50 Züge von DB-Regio ausreichend sind, um Millionen Fahrgäste zu transportieren.

© Sebastian Kahnert/dpa

Dennoch freue er sich über das Neun-Euro-Ticket, da dieses Deutschland zum „Real-Labor“ von günstigem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) mache. Dies sei ein erster Schritt in Richtung schnellerer Mobilitätswende. Auch Bahn-Experte Ullrich Martin von der Universität Stuttgart ist überzeugt, dass man durch ein „systematisches Monitoring wertvolle Erkenntnisse“ für die Zukunft gewinnen könne. Jedoch sei „nicht auszuschließen“, dass es zu vermehrten Verspätungen komme.

Bei vollen Zügen kommt die Polizei

Daher dürfe man gerade bei den Menschen, die man zum Umstieg auf den ÖPNV animieren möchte, nicht den Eindruck entstehen lassen, „dass das bequeme Auto `weggenommen´ werden soll und als Alternative ein unzuverlässiger, überfüllter und unpünktlicher ÖPNV angeboten wird“, sagt der Professor für Eisenbahn- und Verkehrswesen dieser Zeitung. Er warnt zudem davor, dass durch mögliche Verspätungen des ÖPNV ebenfalls der Güterverkehr gestört werden könnte.

Es kommt jedoch nicht nur auf die Bahn an, auch Reisende selbst können unnötige Verspätungen verhindern. Dazu gehört beispielsweise ein zügiges Ein- und Aussteigen, denn rund zehn Prozent der gesamten Fahrzeit gehen auf Fahrgastwechsel zurück. Außerdem kann man die eigene Reise so planen, dass man nicht zur Hauptverkehrszeit fährt und somit Platz- und Zeitprobleme verursacht. Denn überlastete Züge dürfen aus Sicherheitsgründen nicht weiterfahren. Wenn es also zu voll wird, müssen einzelne Fahrgäste den Zug verlassen – im Extremfall auch unfreiwillig mithilfe der Bundespolizei.

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