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Boris Rhein ist seit Ende Mai 2022 hessischer Ministerpräsident.

© Imago/Metodi Popow

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein: „Ich möchte keinen Flüchtlingswahlkampf führen“

Im Herbst muss Boris Rhein sein Amt verteidigen – gegen Nancy Faeser. Ein Interview über politische Freundschaft, Bekanntheit und die Überforderung der Kommunen mit der Migration.

Herr Rhein, muss man bekannt sein, um eine Wahl zu gewinnen?
Ich bin 2012 in den Oberbürgermeisterwahlkampf in Frankfurt gezogen. Damals war ich Innenminister in Hessen und in der Stadt sehr bekannt, habe aber verloren gegen einen damals völlig unbekannten Kandidaten. Insofern: Bekanntheit kann bestimmt helfen, aber sie ist nicht der ausschlaggebende Faktor.

Wir fragen, weil Sie zwar seit knapp einem Jahr Ministerpräsident in Hessen sind, bundesweit kennt Sie aber noch kaum jemand. Jetzt treten Sie im Herbst bei der Landtagswahl an gegen Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die ständig die große Bühne hat.
Es wird ja nicht auf Bundesebene gewählt, sondern in Hessen – und hier wissen die Menschen schon sehr gut, wer ihr Ministerpräsident ist.

Haben Sie die Konkurrentin bekommen, die Sie am meisten gefürchtet haben?
Ich bin da völlig neutral. Die drei Kandidaten, zwischen denen es sich entscheidet – Nancy Faeser von der SPD, Tarek Al-Wazir von den Grünen und ich – wir gehören alle einer Generation an. Wir kennen uns seit vielen Jahren. Mit Tarek Al-Wazir habe ich im Kabinett sehr eng zusammengearbeitet, mit Nancy Faeser in der Opposition. Das sind gute Voraussetzungen für einen fairen Wahlkampf.

Klingt fast nach einer politischen Freundschaft.
Ich würde schon sagen, dass man es als eine Art politische Freundschaft bezeichnen kann. Zumindest ist eine große gegenseitige Wertschätzung vorhanden.

Besteht da nicht die Gefahr, dass das ein Kuschelwahlkampf wird?
Wir Christdemokraten regieren seit 1999 dieses ehemals als rot geltende Bundesland. Unsere Mehrheiten waren immer knapp. Im Augenblick regieren wir mit einer Stimme Mehrheit.

Auch bei der Landtagswahl im Herbst wird es auf jede Stimme ankommen. Das spricht nicht dafür, dass das ein Kuschelwahlkampf wird. Wir werden uns hart auseinandersetzen. Aber eben in der Sache und ohne persönliche Verletzungen.

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Nancy Faeser bietet Ihnen eine Steilvorlage: Eine Spitzenkandidatin, die sich eine Hintertür nach Berlin offen hält und sich nicht eindeutig für Hessen entscheidet. Ist das etwas, das Sie aus alter Verbundenheit nicht nutzen werden?
Das nutzen ja andere schon sehr intensiv. Die Grünen gehen hart mit dem Umstand ins Gericht.

Ich habe dem Bundeskanzler keine Ratschläge zu erteilen, ob es wirklich klug ist, in einer solchen innenpolitischen und geopolitischen Lage eine wahlkämpfende Innenministerin zu haben.

Ihre Partei greift die Bundesinnenministerin momentan auch stark an wegen ihrer Flüchtlingspolitik. Wird das Thema den Wahlkampf bestimmen?
Ich möchte keinen Flüchtlingswahlkampf führen. Damit betreiben wir das Geschäft der Radikalen – das wäre sehr gefährlich. Wir haben eine sehr gute Willkommenskultur in der Bevölkerung. Die darf man nicht gefährden.

Aber auf der anderen Seite können wir die Probleme, die es gibt, nicht weg schweigen, denn das betreibt genauso das Geschäft der Radikalen. Deswegen muss das Thema aus der demokratischen Mitte heraus diskutiert und angepackt werden. Die Bundesregierung muss jetzt ihre Vogel-Strauß-Haltung aufgeben und sich mit den Dingen vor Ort beschäftigen.

Die Bundesregierung nimmt überhaupt nicht wahr, wie groß der Druck vor Ort ist.

Boris Rhein kritisiert die Migrationspolitik der Ampel.

Kürzlich machte der Main-Taunus-Kreis in Hessen Schlagzeilen, weil er einen Brandbrief an den Kanzler schrieb wegen der Belastung vor Ort.
Mittlerweile haben fast alle Landkreise in Hessen dem Bundeskanzler und mir schon einen Brief geschrieben. Sie sagen: Wir kommen an die Grenze dessen, was wir leisten können. Wir haben den größten Flüchtlingszustrom seit 2016. Aber die Bundesregierung nimmt überhaupt nicht wahr, wie groß der Druck vor Ort ist.

Der Bundeskanzler muss das jetzt zur Chefsache machen. Ein weiterer Flüchtlingsgipfel im Bundesinnenministerium bringt überhaupt nichts.

Boris Rhein und Nancy Faeser bei einer Gedenkveranstaltung zum Anschlag in Hanau.

© Imago/Patrick Scheiber

Also muss die nächste Ministerpräsidentenkonferenz die Lösung bringen?
Wir werden uns um Ostern herum mit dem Kanzler treffen. Dabei geht es einerseits ums Geld. Wir nehmen in Hessen 800 Millionen Euro pro Jahr in die Hand, um Flüchtlingsunterbringung, Integration, Schulbesuch et cetera zu stemmen. 300 Millionen stammen vom Bund, eine halbe Milliarde pro Jahr stemmen wir als Land. Das wird nicht viel länger leistbar sein. Anderen Bundesländern geht es genauso.

Gleichzeitig müssen wir endlich über die bessere Steuerung von Migration reden. Dazu gehört, unsere Außengrenzen in der EU besser zu schützen. Vielen gefällt das nicht, aber wir brauchen auch physische Barrieren. Wir dürfen außerdem keine neuen Anreize setzen, zu uns zu kommen. Und wir brauchen endlich die von der Ampel versprochene Rückführungsoffensive.

114.500
Flüchtlinge hat Hessen 2022 aufgenommen.

Die meisten der jetzt Ankommenden sind Ukrainer. Die will niemand zurückführen.
Nein, die Ukrainerinnen und Ukrainer haben jedes Recht auf unseren Schutz. 2022 haben wir in Hessen 114.500 Flüchtlinge aufgenommen, 96.500 aus der Ukraine, die übrigen aus anderen Ländern – vor allem aus Afghanistan, Syrien und der Türkei. Von ihnen dürfen viele eigentlich nicht bleiben.

Wir haben 3000 ausreisepflichtige Menschen aus Afghanistan. Aus dem Irak haben wir 1900, aus dem Iran 1300. Das zeigt, dass die Lage vor Ort einfacher wäre, wenn wir konsequent rückführen könnten. Dazu muss sich die Bundesregierung für die entsprechenden Abkommen mit den Herkunftsländern einsetzen.

Aber wollen Sie wirklich Menschen nach Syrien oder Afghanistan abschieben?
Nein, zurzeit nicht. Mit einer Ausnahme: Straftäter und Gefährder müssen unser Land verlassen. Wer unsere Hilfe derart missbraucht, kann in Deutschland keine Zukunft haben. Dafür muss die Bundesregierung Abschiebehindernisse weiter abbauen.

Teile der Ampel verhalten sich häufig respektlos gegenüber den Ländern.

Boris Rhein über die Probleme zwischen Bund und Ländern

Für das Thema Rückführungen hat die Ampel auch einen Beauftragten ernannt, der Abkommen mit den Herkunftsländern schließen soll.
Erst einmal muss in der Bundesregierung doch der politische Wille zu solchen Abkommen vorhanden sein – da gibt es keinen Konsens zwischen Grünen und FDP. Wenn man Herkunftsländer dazu bringen will, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen, muss man alle strategischen Mittel nutzen: Diplomatie, Entwicklungspolitik, Handel – aber auch die restriktivere Vergabe von Visa als Druckmittel.

Liegen die Probleme bei der Bewältigung der Migration in Deutschland auch daran, dass das Verhältnis zwischen Bund und Ländern so schlecht ist?
Ich hatte vom ersten Tag an das Gefühl, dass es bei der Bundesregierung wenig Interesse an einer Zusammenarbeit gibt. Ich würde sogar sagen: Teile der Ampel verhalten sich häufig respektlos gegenüber den Ländern. Die Länder bilden den Bund – und nicht umgekehrt. Wir regeln von Schule bis Polizei entscheidende Dinge. Die Bundesregierung ist gut beraten, sich mit uns abzusprechen, anstatt uns einfach ihre Vorhaben auf den Tisch zu legen.

Haben Sie ein Beispiel?
Leider passiert das immer wieder. Beim Entlastungspaket haben wir kurz vor knapp erfahren, dass auf Hessen eine Milliarde Euro Mehrbelastung im Jahr zukommt. Bei der Nationalen Sicherheitsstrategie wurden wir bis heute nicht eingebunden – dabei ist Sicherheit in erster Linie Ländersache. Mein Eindruck ist: Die Ampel übt das Regieren noch.

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