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Giorgia Meloni, Vorsitzende der rechtsextremen Partei Fratelli d’Italia, hält während einer Wahlveranstaltung ihrer Partei eine Rede.

© dpa / Alessandro Garofalo

Giorgia Meloni will an die Macht: Rechts-Bündnis vor Sieg – die wichtigsten Fragen zur Wahl in Italien

Der Sieg der Allianz um die Postfaschistin Giorgia Meloni bei den Parlamentswahlen scheint fast sicher. Wie es dazu gekommen ist – und was das für Italien und Europa bedeutet.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Rechtsbündnis siegt?

Sie ist hoch. Melonis postfaschistische Partei „Fratelli d'Italia (FdI) führte in den letzten Umfragen mit 25 Prozent der Stimmen klar vor dem sozialdemokratischen PD, der auf 20 Prozent kam. Zusammen mit ihren beiden rechtspopulistischen Bündnispartnern - der Lega von Matteo Salvini und der Forza Italia (FI) von Ex-Premier Silvio Berlusconi - wird der Rechtsblock wahrscheinlich auf etwa 45 Prozent der Stimmen kommen.

Weil das Wahlgesetz Wahlbündnisse wie jenes von FdI, Lega und FI bevorteilt und die Parteien der linken Mitte sich nicht auf eine Koalition einigen konnten – der stärkere PD schloss die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) von Ex-Premier Giuseppe Conte aus – dürften der Rechtsallianz weniger als 45 Prozent reichen, um die zersplitterte Konkurrenz zu schlagen und im Parlament eine komfortable Mehrheit der Sitze zu erringen.

Sind noch Überraschungen möglich?

Dass immer noch Spannung herrscht, liegt nicht zuletzt daran, dass in Italien Umfragen in den letzten zwei Wochen vor den Wahlen verboten sind. In diesen letzten intensiven Wahlkampfwochen können sich die Gewichte noch verschieben. Am meisten fürchtet Meloni die Fünf Sterne, die politisch möglicherweise etwas voreilig abgeschrieben wurde:

Vor allem im armen Süditalien mit seiner hohen Arbeitslosigkeit, wo die Menschen stark unter den massiv gestiegenen Rechnungen für Strom und Gas leiden und wo viele von dem von den Fünf Sternen eingeführten Bürgereinkommen leben, wird inzwischen nicht mehr ausgeschlossen, dass die Sterne genügend Wahlkreise gewinnen könnte, um der Rechten einen Strich durch die Rechnung zu machen.

Meloni und ihre beiden Partner wollen das Bürgergeld unbedingt abschaffen. Nur wer seines Alters oder einer Behinderung wegen nicht arbeiten könne, solle staatlich unterstützt werden, lautet deren Devise. Wobei vor allem in Süditalien viele nicht arbeiten können, weil es schlicht an Arbeit fehlt, von der sich leben lässt.

Wird Meloni dann Ministerpräsidentin – als erste Frau in diesem Amt?

Melonis FdI wird voraussichtlich mehr als doppelt so viele Stimmen erringen wie ihre schwächelnden Bündnispartner Lega und FI zusammengenommen und damit das Vorschlagsrecht haben - obwohl die beiden Männer im Bunde, Berlusconi und Salvini, schon mehrmals haben durchblicken lassen, dass ihnen Meloni im Palazzo Chigi, dem Amtssitz der Premiers, gar nicht passen würde.

Wir haben den Faschismus der Geschichte übereignet.

Giorgia Meloni, Vorsitzende der Fratelli d’Italia

Allerdings hat in Italien auch der Staatspräsident mehr als ein Wort mitzureden: Sergio Mattarella könnte sich weigern, eine Person mit Melonis politischer Vergangenheit mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Schon als die Fünf Sterne 2018 zum ersten Mal stärkste Kraft wurden und mit der Lega regierten, stellte sich Mattarella gegen den geplanten Finanzminister, einen EU-Skeptiker, und verlangte - mit Erfolg - einen für das Ausland akzeptableren Kandidatin oder Kandidaten.

Warum wird voraussichtlich ein Viertel Italiens eine Partei mit Wurzeln im Faschismus wählen?

Italien hat Mussolinis Diktatur nie ernsthaft aufgearbeitet, die Kriegsverbrechen vor allem in Abessinien, den Terror und die antijüdischen Rassengesetze – die man dem Druck NS-Deutschlands zuschreibt – werden von vielen verdrängt und entweder mit Blick auf kommunistische oder auf NS-Verbrechen relativiert. Vor dem Olympiastadion in Rom steht bis heute ein Obelisk, der den Duce auf lateinisch feiert („Mussolini Dux“), und der Diktator ist weiterhin Ehrenbürger in mehreren italienischen Kommunen.

Zudem suggeriert Meloni unermüdlich den Bruch ihrer „Brüder“ mit dem Faschismus. Man habe ihn „der Geschichte übereignet“, heißt ihre vieldeutige Formel dafür. Die FdI sind allerdings gerade gegen diesen Bruch mit der Vergangenheit entstanden: Dort sammelten sich vor zehn Jahren die, die mit dem Kurs der – damals bereits untergegangenen – Vorläuferin „Alleanza Nazionale“ unzufrieden waren. Deren Chef Fini hatte, in Israel, den Faschismus als „das absolute Böse“ bezeichnet.

Wofür stehen Meloni und ihre Partei?

Ebenso nimmermüde, wie Meloni sich und die Ihren als Konservative zu verkaufen sucht, so hartnäckig bekennt sie sich zu Europa und zur westlichen Allianz. Auch in der Ukraine-Frage stand sie, anders als ihre Bündnispartner, klar gegen Russland und unterstützte den Kurs von Premier Draghi in puncto Waffenlieferungen an die Ukraine.

Etliche von Melonis Überzeugungen sind mit europäischen Wertebekenntnissen und Verträgen unvereinbar: Die Römerin, die schon als 15-jährige in der „Jugendfront“ des MSI aktiv war, des ersten Sammelbeckens alter Schwarzhemden der jungen Italienischen Republik nach 1948, ist eine harte Nationalistin, will die Grenzen gegen Migration abdichten, hat eine Schwäche für Donald Trump und einen europäischen Autokraten wie Viktor Orbán.

In der Familien- und Geschlechterpolitik ist sie ebenso reaktionär wie die Mussolini-Nostalgiker:innen ihrer Partei. Die heterosexuell begründete Familie ist für sie die einzig akzeptable, und erst kürzlich verteidigte sie wieder das Leitmotiv des Faschismus „Dio, Famiglia, Patria“ (Gott, Familie, Vaterland). Immer wieder zeigt sie ein Verständnis von Demokratie, das sich darauf beschränkt, dass regiert, wer gewinnt. So rechtfertigt sie auch die Rechtsstaatsbrüche des ungarischen Regimes: Orbán habe schließlich Wahlen gewonnen.

Was wäre von ihrem Rechtsbündnis an der Regierung zu erwarten?

Der Dreierbund aus FdI, Lega und FI hat in seinem gemeinsamen Wahlprogramm die Bündnistreue zu Nato und EU weit nach vorn gestellt - ganz offensichtlich, um entsprechende Sorgen zu zerstreuen: Italien sei „in vollem Umfang Teil Europas, der atlantischen Allianz und des Westens“, lautet der erste Satz. Andere bevorzugte Projekte sind die Einführung eines Präsidialsystems mit der Direktwahl des Staatspräsidenten und einen Föderalverfassung, von dem es die berechtigte Sorge gibt, dass es den reichen Norden weiter von der Verantwortung für den armen Süden Italiens abkoppelt.

Außerdem wollen die drei Parteien die Justiz umbauen - hier ist Berlusconis Handschrift zu erkennen. Dabei sollen die Regeln für öffentliche Ausschreibungen „vereinfacht“ und die Summen erlaubter Barzahlungen angehoben werden. Was beides einst verschärft wurde, um Mafia-Geschäfte und Korruption einzudämmen.

Gegen die geringe Frauenerwerbsquote und die Jugendarbeitslosigkeit bietet die Rechte nur Steuererleichterungen an. Überhaupt bleibt das Pogramm sozialpolitisch dürftig, das Bürgereinkommen (Reddito di cittadinanza), ein Projekt der Fünf Sterne, das die absolute Armut in Italien wenigstens verringert hat, will man sogar abschaffen.

Was tut sich weiter links?

Der PD, die stärkste Partei links der Rechten, hat sich mit ihren Bündnispartnerinnen ein ausführlich sozial-ökologisches Programm gegeben: Nachhaltige Energieversorgung, die auch ein Beschäftigungsmotor werden soll, Entlastung von Frauen durch mehr Kitas und öffentliche Versorgung für alte Menschen, eine moderne öffentliche Verwaltung, Stärkung der finanziell ausgebluteten Schulen, Universitäten und Forschungsstätten des Landes.

Das Regieren und damit die Verwirklichung des anspruchsvollen Programms hat sich der PD selbst unmöglich gemacht, als er die Wahlsieger von 2018, die Fünf Sterne, als Bündnispartner ausschloss. Das M5S ist immer noch für mehr als zehn Prozent gut und gerade im Aufwind. Kurz vor dem Wahltag deutete PD-Chef Enrico Letta an, dass es nach diesem Sonntag doch zur Zusammenarbeit mit den Sternen kommen könnte, mit denen zusammen seine Partei bereits seit 2019 regierte.

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