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Ein zerstörter russischer T-72-Panzer ist in der Nähe der Frontlinie in der Region Mykolaiv (Symbolbild)

© Foto: REUTERS/Valentyn Ogirenko

„In vier Tagen etwa 300 Mann verloren“: Russische Elite-Soldaten beklagen Himmelfahrtskommando und kritisieren Kommandeure

Viele Tote, herbe Verluste beim Gerät, keine Strategie – Soldaten aus dem fernen Osten Russlands prangern ihre Vorgesetzten an. Sie bitten ihren Gouverneur um Hilfe.

Eine Brigade russischer Marineinfanteristen hat „in vier Tagen etwa 300 Mann“ bei Kämpfen um die Ortschaft Pawliwka in der Region Donezk verloren. Angehörige der 155. Marine-Infanterie-Brigade aus Wladiwostok haben das in einem Brief an den Gouverneur der ostrussischen Provinz Primorskji Krai, Oleg Koschemjako, geschrieben. Die Echtheit des Schreibens lässt sich bisher nicht unanhängig verifizieren; der Inhalt passt aber zu aktuellen Berichten russischer Blogger von der Front im Donbass.

Die Soldaten seien tot, verwundet oder würden vermisst, heißt es in dem Schreiben. In dem Brief bezeichnen die Soldaten die Offensive auf die kleine Stadt als „unverständlich“, und werfen ihren Kommandeuren vor, nur an Ruhm und Auszeichnungen interessiert zu sein - und dafür die Leben ihrer Soldaten aufs Spiel zu setzen.

Wie aus dem Brief hervorgeht, erhielt die 155. Marine-Infanterie-Brigade offenbar einen Befehl des Generalleutnants Rustam Murdow, die Stadt Wuhledar über die Ortschaft Pawliwka in der Oblast Donezk anzugreifen. Doch der Angriff, so behaupten die Soldaten, war weder ausreichend geplant, noch unter organisierter Leitung vonstatten gegangen.

Statt die Ortschaft Pawliwka im Gebiet Donezk einzunehmen, unsere eigenen Verwundeten zu evakuieren und Munition zuzuliefern, vernichte der Feind „jetzt unsere Leute“, zitiert der Telegram-Kanal „Grey Zone“, der Verbindungen zu der Söldnertruppe Wagner haben soll, aus dem Beschwerdebrief.

Neben der hohen Anzahl an Verlusten – eine russische Brigade zählt normalerweise 600 bis 1000 Mann – hätte der Verband auch „50 Prozent der Ausrüstung verloren“, hieß es weiter. Die Verluste bezögen sich nur auf die 155. Marine-Infanterie-Brigade.

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Videos auf Twitter und Telegram zeigen ukrainische Angriffe auf russische Einheiten in und nahe Pawliwka. Ein Reporter der ukrainischen Nachrichtenseite „Kyiv Independent“ teilte ein Video von einem mutmaßlichen russischen Panzer, der brennend über eine Straße der Ortschaft fährt.

Weitere Videos sollen Artillerieangriffe auf eine Einheit der 155. Marine-Infanterie-Brigade zeigen, die zu Fuß auf einer Straße unterwegs ist. Plötzlich ist ihre Stellung von einer Rauchwolke verdeckt.

Massive Kritik an Kommandeuren

Die hohen Verluste der 115. Marine-Infanterie-Brigade würden die Kommandeure „verheimlichen“, zitiert der Kanal weiter aus dem Brief, stattdessen „nehmen [sie] aus Angst vor der Verantwortung offizielle Opferzahlen“.

Die Kommandeure würden sich nicht um die Leben der Soldaten scheren. Die militärischen Operationen befehligten sie, um Auszeichnungen zu erhalten, hieß es in dem Brief. „Sie kümmern sich nicht um irgendetwas, nur um zu prahlen.“

Sie nennen Menschen Fleisch.

Brief der 155. Marine-Infanterie-Brigade

Konkret warf die Brigade ihrem Kommandeur Muradow vor, auf einen Bonus aus gewesen zu sein. Diesen würde er vom Chef des Generalstabes der Russischen Streitkräfte erhalten wollen, heißt es in dem Brief. Durch eine Einnahme von Pawliwka und Wuhledar hatte Muradow sich offenbar einen solchen Bonus erhofft und seine Soldaten unvorbereitet zum Angriff befehligt - so der Vorwurf der Marinesoldaten.

Hochrangiger Separatist glaubt nicht mehr an Erfolg

In ihrem Brief bitten die Soldaten den Gouverneur sich an das Verteidigungsministerium zu wenden. Eine „unabhängige Kommission, die nicht aus dem Verteidigungsministerium kommt“ müsse die Situation vor Ort dringend untersuchen. „Wie lange kann das noch toleriert werden?“

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Auch der Militärchef der selbsternannten Volksrepublik Donezk scheint nicht mehr an eine Einnahme der Ortschaft Pawliwka zu glauben. „Die Hoffnung auf ein besseres Ergebnis ist einer nüchternen Einschätzung der Aussichten gewichen“, schreibt Alexander Chodakowski auf seinem Telegram-Kanal.

Der von den russischen Besatzern als Chef des annektierten Donezker Gebiets eingesetzte Denis Puschilin hatte am vergangenen Mittwoch von Kämpfen um Pawliwka berichtet. Am Sonntag erklärte das russische Verteidigungsministerium, dass bei russischen Angriffen und Artilleriebeschuss in der Gegend von Pawliwka 70 ukrainische Soldaten getötet und ukrainische Kampftechnik zerstört worden sei. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Verteidigungsministerium dementiert hohe Verluste

Der Gouverneur Oleg Koschemjako, an den sich die Soldaten in ihrem Brief wenden, räumte am Montag zwar schwere Kämpfe und Verluste in der 155. Brigade ein. Diese seien aber „bei Weitem nicht so hoch“ wie in dem Brief der Soldaten vom Sonntag angegeben, sagte er in einer auf seinem offiziellen Telegram-Kanal veröffentlichten Videobotschaft.

Das hätten die Kommandeure an der Front ihm versichert. Trotzdem habe er auf die Bitten der Marinesoldaten reagiert und die Militärstaatsanwaltschaft eingeschaltet, um in der Sache zu ermitteln.

Das russische Verteidigungsministerium hat unterdessen in einem seltenen und ungewöhnlichen Schritt Berichte der russischen Militärblogger über die Verluste bei der Offensive auf Pawliwka dementiert. Vielmehr sei die Einheit binnen zehn Tagen fünf Kilometer tief in ukrainische Verteidigungslinien südwestlich von Donezk vorgedrungen, lautet das Narrativ des russischen Verteidigungsministeriums.

Das Ministerium wies zudem Vorwürfe zurück, dass sich die Kommandeure der Brigade als inkompetent erwiesen hätten. Dank der Kommandeure beliefen sich die Verluste auf nicht mehr als ein Prozent der Kampfstärke und sieben Prozent Verwundete, von denen ein großer Teil bereits in den Dienst zurückgekehrt sei. 

Mit dieser Kommunikationstaktik, die Verluste herunterzuspielen, bringe das Verteidigungsministerium zunehmend auch russische Kommentatoren gegen sich auf, die für den Krieg in der Ukraine sind. Das berichtet die „Washington Post“. „Wir hoffen, dass sich das ändern wird“, zitiert die Zeitung einen populären Blogger, der unter dem Namen Military Informer schreibt. (mit dpa/Reuters)

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