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Netanjahu wird vorgeworfen, das U-Boot-Geschäft gegen den Willen von Militär und Verteidigungsministerium durchgesetzt zu haben.

© Abir Sultan/dpa

Unter Korruptionsverdacht: Israels große Koalition steht womöglich kurz vor der Implosion

Israel Verteidigungsminister Gantz lässt den Kauf deutscher U-Boote überprüfen. Es geht um ein milliardenschweres Geschäft – und die Rolle von Netanjahu.

Israels große Koalition, der von Beginn an ein kurzes Leben vorausgesagt wurde, steht womöglich kurz vor der Implosion. Der Verteidigungsminister und alternierende Premierminister Benny Gantz hat am Sonntag verkündet, unter der Ägide seines Ministeriums eine Kommission einzusetzen, die korrupte Verstrickungen rund um den milliardenschweren Kauf mehrerer Boote von ThyssenKrupp aufdecken soll. Das Brisante daran: Vertraute des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sind vermutlich in der Affäre verstrickt.

Darum geht es: Unter Netanjahus Führung hatte Israels Regierung 2016 bei ThyssenKrupp drei U-Boote der DolphinKlasse sowie vier Raketenschiffe bestellt. Die deutsche Regierung erklärte sich wie bei vergangenen Rüstungsverkäufen an Israel bereit, einen Teil der Kosten für die U-Boote, die auf rund 1,5 Milliarden Euro geschätzt werden, zu übernehmen.

Größter Korruptionsfall seit Gründung des Landes

Ausgerechnet der damalige Verteidigungsminister Moshe Yaalon ebenso wie hochrangige Militärs hatten sich zuvor gegen den Kauf ausgesprochen, den sie für unnötig hielten. Ihr Widerstand lief jedoch ins Leere. Im Frühling 2016 entließ Netanjahu den widerspenstigen Minister und ersetzte ihn durch den rechten Politiker Avigdor Lieberman, der in der U-Boot-Frage die gewünschte Flexibilität bewies.

Doch damit begann die brisante Geschichte erst, die Netanjahu bis heute verfolgt und von vielen als potenziell größter Korruptionsfall seit Gründung des Landes gehandelt wird. Denn kurz nach dem Abschluss des Geschäfts verdichteten sich Anzeichen, einige seiner Vertrauten hätten ein ebenso profitables wie illegales Geschäft gemacht – womöglich auf Kosten der nationalen Sicherheit.

Cousin Netanjahus verdächtigt

Zu den Verdächtigen zählt David Schimron, ein Cousin Netanjahus, der damals als sein persönlicher Rechtsanwalt fungierte. Schimron soll seine Nähe zur Macht genutzt und gemeinsam mit Michael Ganor, dem damaligen Repräsentanten von ThyssenKrupp in Israel, mehrere Führungsfiguren in Militär und Politik bestochen haben, um den Weg für den Kauf zu ebnen. Ermittelt wird außerdem gegen David Sharan, einen früheren Stabschef des Büros des Ministerpräsidenten, gegen Avriel Bar-Yosef, einen ehemaligen stellvertretenden Nationalen Sicherheitsberater; und gegen Elieser Marom, einen Ex-Kommandeur der Marine.

Netanjahu selbst, der sich in drei anderen mutmaßlichen Fällen von Untreue, Betrug und Bestechlichkeit vor Gericht verantworten muss, gilt in dem U-Boot-Skandal nicht als Verdächtiger. Dennoch lässt die Affäre, in Israel als „Fall 3000“ bekannt, ihn nicht gut aussehen. Denn sie berührt die nationale Sicherheit – und die gilt im jüdischen Staat als sakrosankt.

Kommission zur Untersuchung der Affäre

Dass Gantz nun eine Kommission zur Untersuchung der Affäre ins Leben rufen will, löst im Lager des Premiers erwartbaren Unmut aus. Zwar hat die Kommission keine juristische Autorität. Sie kann potenzielle Zeugen einbestellen, aber nicht zur Kooperation zwingen.

Doch der Report, den sie nach vier Monaten veröffentlichen soll, könnte Unangenehmes für Netanjahu zutage fördern und im Extremfall sogar die Staatsanwaltschaft zu erneuten Ermittlungen gegen ihn ermutigen. Sollte Gantz’ zentristische Blau-Weiß Partei nicht auf einen kooperativen Kurs einschwenken und „als Regierung innerhalb einer Regierung" handeln, drohte Netanjahu am Donnerstag, dann „wird dies leider zu Wahlen führen“.

Spekulationen über Neuwahlen

Über Neuwahlen spekulieren israelische Analysten schon lange beinahe im Wochentakt. Aber diesmal wirkt das Szenario realistischer denn je. Blau-Weiß und Likud sind zutiefst zerstritten, der jüngste Konflikt dreht sich um die Verabschiedung eines längst überfälligen Budgets. Dass Gantz, wie in der Koalitionsvereinbarung abgemacht, im kommenden Jahr das Amt des Ministerpräsidenten von Netanjahu übernimmt, glaubt in Israel so gut wie niemand mehr – offenbar nicht einmal mehr er selbst.

Die Einberufung einer Kommission zur Untersuchung der U-Boot-Affäre hatte Gantz zu seinen Wahlkampfversprechen gezählt. Nach der erfolgreichen Regierungsbildung mit Netanjahu ließ er das Vorhaben fallen, um den fragilen Koalitionsfrieden nicht zu gefährden.

Dass er diese Skrupel nun abgelegt hat, weist darauf hin, dass auch Gantz jeden Glauben an eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Netanjahu verloren hat. Womöglich steht den Israelis inmitten von Pandemie und Wirtschaftskrise bald auch noch eine Neuwahl bevor. Es wäre die vierte innerhalb von zwei Jahren.

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