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 Wolfgang Schmidt, Staatssekretaer im BMF, aufgenommen im Rahmen eines virtuellen Treffens der G7-Finanzminister in Berlin.

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Keine „Wunderwaffe“, die den Krieg beendet: Die neuen Argumente des Kanzleramts gegen Panzerlieferungen

Ungewohnt offen begründet Wolfgang Schmidt, warum Kanzler Olaf Scholz der Ukraine keine Panzer liefern will. Die Union reagiert fassungslos.

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Kanzler Olaf Scholz (SPD) lässt seinen Kurs zu Waffenlieferungen oft im Vagen, mit unterschiedlichen Argumenten stemmt er sich gegen den Druck auch von FDP und Grünen, der Ukraine Kampf- oder Schützenpanzer zu liefern.

So betont er vor allem, dass kein Nato-Partner Kampfpanzer westlicher Bauart liefere, Alleingänge dürfe es nicht geben. Zudem sei der Panzer-Ringtausch sinnvoller, da die ukrainischen Soldaten mit den Panzern aus Sowjetzeiten vertraut seien, sie sofort nutzen können. Die osteuropäischen Staaten, die diese abgeben, sollen von Deutschland Panzer als Ersatz bekommen.

Nun hat Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) in Vertretung des aus Termingründen verhinderten Kanzlers ungewohnt detailliert Einblicke in das Denken im Kanzleramt gegeben – und neue Argumente gegen Panzerlieferungen hinzugefügt.

Der Leopard als neue „V2“?

Anlass war ein Auftritt beim „Progressive Governance Summit“, ausgerichtet von der Denkfabrik Progressives Zentrum in Berlin. „Ich bin versucht, es das V2-Syndrom zu nennen“, umschrieb Schmidt in der auf Englisch geführten Diskussion dort die deutsche Debatte. Dass es diese eine Wunderwaffe gebe, die wie mit Magie dafür sorgen könnte, dass Dinge einfach weggehen. Die „V2“ war von den Nazis als angebliche Wunderwaffe entwickelt worden, um den Krieg noch zu gewinnen. Der Leopard 2 werde jetzt als die Wunderwaffe angesehen, die den Krieg beenden könne, „aber so geht das halt nicht“, betonte Schmidt.

Ich habe das Gefühl, dass wir, was die internationale Sicherheitspolitik angeht, noch in den Teenager-Jahren sind.

Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt

Und zudem betonte der langjährige Wegbegleiter des Kanzlers, Kampfpanzer würden an der vordersten Frontlinie eingesetzt und können leicht erbeutet werden. Einige Verbündete seien besorgt, dass sie in die falschen, also in die russischen Hände fallen könnten. „Wenn Kampfpanzer mit dem deutschen Eisernen Kreuz erbeutet würden, wäre es der perfekte Anlass für die Propaganda der Russen, um zu sagen, schaut, das ist die Nato, die uns angreift.“  

Mit Blick auf die lautstarken Forderungen nach Panzerlieferungen aus der Union, bei Grünen und FDP betonte Schmidt: „Ich habe das Gefühl, dass wir, was die internationale Sicherheitspolitik angeht, noch in den Teenager-Jahren sind.“ In Teenager-Jahren habe man oft eine Menge Hormone, da schieße man über das Ziel hinaus. „Niemand redet über Panzer, das ist das Teenager-Ding.“

Der Kanzler hat die Lieferung des Flugabwehrpanzers Gepard an die Ukraine genehmigt, aber Kampfpanzer will er nicht liefern.

© dpa / dpa/Marcus Brandt

Allerdings muss man nur nach Osteuropa schauen, da wird sehr wohl die deutsche Blockade gegen Panzerlieferungen diskutiert, kritisch. Allerdings liefen etwa auch die USA keine Kampfpanzer bisher. Und sicher, wenn Russland verstärkt auf gezielte Raketenangriffe setzen sollte, um vor dem Winter die Energieinfrastruktur der Ukraine zu zerstören, helfen Panzer weniger, dazu braucht es mehr Luftverteidigungssysteme, wie das nun in der Ukraine eingetroffene, von Deutschland gelieferte Iris-T-System.

Der Kanzleramtschef führt als ein weiteres Argument auch noch an, dass es schon bei den gelieferten Panzerhaubitzen 2000 kompliziert sei was Wartung und Logistik betrifft, sie müssten erst nach Litauen gebracht und dort gewartet werden.

Teenager-Debatte und „Jungs und Mädels“

Als Kompromiss war vorgeschlagen worden, dass das Kanzleramt zumindest grünes Licht geben könnte, für die vom Rüstungskonzern Rheinmetall wieder instandgesetzten Schützenpanter Marder, aber auch hierzu gibt es bisher keine Anzeichen. Scholz hatte in dem Kontext der westlichen Waffenlieferungen auch vor einer möglichen nuklearen Eskalation durch Russland gewarnt.

Während Schmidt nun von einer Teenager-Debatte spricht, hatte der Kanzler in einem rbb-Interview mit Blick auf die Kritik an seinen abwägenden Kurs in Anspielung auf laute Forderungen etwa von Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Anton Hofreiter (Grüne) mal davon gesprochen, dass er „manchen von diesen Jungs und Mädels“, sagen müsse: „Weil ich nicht tue, was ihr wollt, deshalb führe ich.“

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter hält die Argumente des Kanzleramtschef für hanebüchen.

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Die Sache mit dem „Eisernen Kreuz“

Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter, Oberst a. D. der Bundeswehr warf Schmidt fehlende Kenntnis und irreführende Aussagen vor. „Das sind sehr erschreckende Aussagen, die hoffentlich nicht die offizielle Haltung der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland sein können, weil sie von erschreckender Unkenntnis zeugen würden“, sagte Kiesewetter dem Tagesspiegel.

Sämtliche Gefechtsfahrzeuge und Waffensysteme, die geliefert werden, würden nicht das Hoheitsabzeichen der Lieferländer tragen, sondern die Hoheitsabzeichen der Ukraine. „Das Eiserne Kreuz ist Fahrzeugen der Bundeswehr in mandatierten Einsätzen und im Inland vorbehalten. Ferner zeugt die Verwendung des Begriffs V-Waffen, also Vergeltungswaffen von fataler historischer Unkenntnis“, kritisierte Kiesewetter. Allerdings, was Schmidt wohl tatsächlich meinte: Auch wenn westliche Panzer nicht gekennzeichnet sind, wäre ja anhand der Modelle erkennbar, wo sie herkommen - und Wladimir Putin könnte in der Tat dem Volk sagen, sehr her, die Nato setzt eigene Panzer gegen uns ein, bei den Panzern sowjetischer Bauart geht das nicht.

„Die V2 wurde von Hitlers NS-Regime gegen zivile Ziele in Großstädten wie London oder Antwerpen als Terrorwaffe eingesetzt.“ Kampfpanzer vom Typ Leopard könnten dagegen als gemeinsame europäische Initiative „gegen die völkerrechtswidrige russische Aggression auf vorwiegend zivile Ziele in der Ukraine rechtmäßig und legitim eingesetzt werden“, betonte Kiesewetter.

Er verwies auf eine entsprechende Initiative des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), der vorgeschlagen hatte, dass Panzerlieferungen als gemeinsame europäische Initiative den Druck von einem einzelnen Lieferland wie Deutschland nehmen könnten. Zudem würden alle Experten sagen, dass Kampf- und Schützenpanzer der Ukraine militärisch sehr helfen würden, um sie in eine Position der Stärke zu bringen und ihre territoriale Integrität wiederherzustellen. 

Kiesewetter: Merkel hätte so einen Kanzleramtschef abberufen

„Schmidt verwechselt nicht nur Ursache und Wirkung, sondern verharmlost den furchtbaren Krieg Russlands gegen die ukrainische Zivilbevölkerung und diskreditiert den Ruf Deutschlands“, kritisierte Kiesewetter. „Bundeskanzlerin Merkel hätte einen Kanzleramtsminister mit solchen Aussagen abberufen.“ Wenn Scholz so denke wie Schmidt spreche, „müssen wir uns Sorgen um die Reputation Deutschlands in EU und NATO machen.“

Auch Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul übte scharfe Kritik an Schmidt. „Das war ein verstörender Auftritt des Kanzleramtschefs. Er zeigte, dass Kanzler Scholz sich verrannt hat und über keine eigenen konsistente Strategie der Unterstützung der Ukraine verfügt“, sagte Wadephul dem Tagesspiegel. „Denn auch die gelieferten Gepard-Panzer könnten erbeutet werden und natürlich gibt es keine „Wunderwaffe“.“

Es ist und bleibe die Frage, ob Deutschland „alles leistet, was es leisten kann“. Diese Frage müsse man in Bezug auf Schützen- und Kampfpanzer leider negativ beantworten. „Die Regierung wird ihren eigenen Ansprüchen und Deutschland seiner internationalen Verantwortung nicht gerecht.“ 

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