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Auf dem Digitalgipfel 2022 hatte Innenministerin Nanca Faeser (SPD) noch gut lachen. Den Bundesländern ist die Freude hingegen vergangen.

© imago/Mike Schmidt

Kaum Geld für die Digitalisierung : Der Bund geizt, die Länder sind verärgert

Die Ampel plant für 2024 nur noch mit drei statt wie dieses Jahr 377 Millionen Euro für die Verwaltungsdigitalisierung. Der Aufschrei in den Ländern ist groß – doch die Lage ist besser, als es scheint.

Nicht mal ein einziges mageres Prozent ist geblieben: Während dieses Jahr 377 Millionen Euro für die Verwaltungsdigitalisierung zur Verfügung standen, sollen für 2024 nur noch 3,3 Millionen übrig sein. Dies berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am Mittwoch.

Das knappe Budget bedeutet auch, dass es für die Länder keine weiteren Gelder zur Digitalisierung von Verwaltungsleistungen geben wird, heißt es in dem Bericht. Schleswig-Holstein hat bereits Konsequenzen gezogen und die Zusammenarbeit mit dem Bund stellenweise aufgekündigt.

Und auch in anderen Ländern herrscht Frust: „Für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet der Rückwärtsgang von Bundesinnenministerin Nancy Faeser Vertrauensverlust und eine enorme Ausbremsung des digitalen Fortschritts und für die Verwaltung der Weg zurück zu Papierbergen und Faxgeräten“, wettert die hessische Digitalministerin Kristina Sinemus (CDU).

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Die Bundesregierung setze „die Leistungsfähigkeit unseres Staates aufs Spiel“, stimmt die bayerische Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) ein. Viele sehen die Kürzungen als finalen Sargnagel in der deutschen Digitalisierung: Doch ist die Lage so dramatisch, wie es auf den ersten Blick scheint?

Die Zahlen aus dem Haushaltsentwurf sind schon seit Anfang Juli bekannt (Tagesspiegel Background berichtete). Darin zeigt sich, dass die Digitalisierungsvorhaben unter dem Sparkurs der Ampel massiv gelitten haben: kein Digitalbudget, Kürzungen bei Künstlicher Intelligenz, Games und digitaler Bildung. In dem für die Verwaltungsdigitalisierung zuständigen Bundesinnenministerium (BMI) ist das Konto hingegen etwas voller als im Jahr zuvor – die Gelder fließen in erster Linie aber in Migration und innere Sicherheit und weniger in Digitalprojekte.

Ein „Wahlkampfhaushalt“ für Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die neue hessische Ministerpräsidentin werden will, lästern manche. Am stärksten zurückstecken musste das Budget für die Verwaltungsdigitalisierung, sprich die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Hier hat die Ampel drastisch von 377 Millionen auf 3,3 Millionen Euro gekürzt.

Restmittel und Scheibchenfinanzierung

Ganz so einfach wie die Zahlen, die schwarz auf weiß im Entwurf stehen, ist die Lage aber nicht. Das OZG wurde 2017 beschlossen, um bis Ende 2022 mehrere Hundert Verwaltungsdienstleistungen wie etwa den Wohngeldantrag, die Ummeldung und den Führerscheinantrag zu digitalisieren. Für einen Extra-Turbo wurde im Pandemiejahr 2020 ein Konjunkturpaket auf den Weg gebracht: 3,5 Milliarden Euro standen Bund und Ländern bis zum Ende der Umsetzungsfrist zur Verfügung.

Der Geldsegen sorgte aber für Zank um die Projektvereinbarungen und erst nach über einem Jahr konnten die Mittel an die Länder fließen. Das gestaltete sich wiederum so zäh, dass Ende vergangenen Jahres noch rund die Hälfte übrig war, wie der Bundesrechnungshof missbilligend zur Kenntnis nahm (Tagesspiegel Background berichtete).

Die Umsetzung des OZG war – und ist – jedoch noch keineswegs abgeschlossen, weshalb die Länder forderten, die Gelder in das aktuelle Haushaltsjahr 2023 zu übertragen, um bereits laufende Projekte nicht auszubremsen. Nach monatelangen Streitereien und diversen Brandbriefen der Länder gab es schließlich einen Kompromiss: 377 Millionen gab es 2023 noch für die OZG-Umsetzung, plus weitere 377 Millionen an Ausgaberesten, die jedoch das Bundesfinanzministerium in kleinen Scheibchen freigeben muss (Tagesspiegel Background berichtete).

Bei dem Kompromiss schickte der Bund aber auch eine deutliche Botschaft an die Länder mit: Eine weitere Nachspielzeit für die Finanzierung gibt es nicht. Für das Jahr 2024 sei eine entsprechende Vorsorge in den Ländern zu treffen, heißt es aus dem BMI auf Nachfrage. Das sei immer klar gesagt worden.

Gleichzeitig gibt das Innenministerium auch Entwarnung: Bei den 3,3 Millionen soll es nicht bleiben. Wie schon in den Jahren zuvor will man nicht verausgabte Mittel aus dem laufenden Haushaltsjahr im kommenden Haushaltsjahr verwenden. Wie viel das auf den Cent genau ist, wird sich erst Ende des Jahres zeigen. Doch nach Angaben des Ministeriums geht man aktuell von 300 Millionen aus.

Wer zahlt das OZG 2.0?

Geklärt sind damit aber noch nicht alle Geldfragen, denn Digitalisierung ist schließlich eine Daueraufgabe: Auf das OZG soll bekanntermaßen das OZG-Änderungsgesetz folgen, das noch weitaus ambitioniertere Ziele setzt – unter anderem, dass Onlineanträge nicht als Ausdruck im Amt landen, sondern Verfahren von Anfang bis Ende digitalisiert sind.

Was die Umsetzung des OZG-Änderungsgesetzes kostet, wird im Gesetzentwurf aufgeschlüsselt: Einmaliger Kostenpunkt sind 694 Millionen Euro, laufende Kosten pro Jahr 27,4 Millionen Euro. Davon stemmt der Bund 575 Millionen Euro der einmaligen Ausgaben sowie alle laufenden Kosten. Im Einzelplan 06 des Bundesinnenministeriums sucht man den entsprechenden Titel vergeblich.

Das hängt aber auch damit zusammen, dass die Gelder für das OZG 2.0 anders als bei seinem Vorgänger nicht mehr nur von einem Ressort getragen werden müssen, erklärt Thorsten Lieb, FDP-Berichterstatter für das Innenressort im Haushaltsausschuss. „In dem Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass alle Ressorts sich um die Finanzierung in ihrem Fachbereich kümmern.“ Einzige Ausnahme ist hier das zentrale Nutzerkonto BundID, das der Bund zur Verfügung stellen soll. Dieses wird aus dem Haushalt des BMI finanziert, wie auch im aktuellen Haushaltsentwurf vorgesehen.

Schleswig-Holstein beendet Zusammenarbeit

Das Extra-Polster im Digitalhaushalt des Bundesinnenministeriums dürfte die Länder aber kaum besänftigen. Denn die Gelder sind für Bundesprojekte gedacht, nicht für den Roll-out auf Landesebene.

Horcht man in Schleswig-Holstein in der zuständigen Staatskanzlei nach, geht der Frust noch tiefer: In den Einzelvereinbarungen zwischen dem Bund und Kiel seien Projekte konkret umrissen und mit einer Finanzierung versehen worden. Schleswig-Holstein wirft dem Bund einen Kurswechsel vor: plötzlich neue inhaltliche und fachliche Ansprüche ohne „finanzielle Perspektive“.

Bei „politisch hochpriorisierten Fokusprojekten wie Wohngeld oder Anlagengenehmigung“ seien Anfang des Jahres vollkommen neue Strukturen geschaffen worden, „durch die der Eindruck vermittelt wurde, zumindest aus diesen Projekten würde sich der Bund nicht zurückziehen“, heißt es aus der Staatskanzlei. Doch Vorschläge für die Weiterfinanzierung der Projekte blieben vom Bund bisher unbeantwortet. Die Enttäuschung ist dementsprechend groß.

Für sieben Projekte hat das Bundesland jetzt die Zusammenarbeit mit dem Bund aufgekündigt, darunter Wohngeld Online, Anlagengenehmigung und -zulassung, Inbetriebnahme und Betrieb von Röntgeneinrichtungen und Störstrahlern, Störungs- und Unfallanzeige mit Gefahrstoffen, Abfallentsorgung, Fischerei und Versammlungsanzeige.

Man will sich darauf vorbereiten, die Projekte so abzuschließen, dass andere Länder sie weiternutzen können. Ob weitere Länder dem Beispiel Schleswig-Holsteins folgen, wird sich zeigen.

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