zum Hauptinhalt
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und der russische Präsident Wladimir Putin 2019 in St. Petersburg.

© Alexei Nikolsky/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Update

Sachsens Ministerpräsident will Krieg „einfrieren“: Kretschmer tritt wegen der Gas-Not eine heikle Debatte los

Bröckelt die harte Russlandlinie der Union? Der Gas-Engpass lässt Sachsens Regierungschef an den Sanktionen zweifeln. Auch in der Bevölkerung ändert sich etwas.

Bei Michael Kretschmer werden jetzt wieder die alten Bilder herausgekramt. Wie er in Moskau weilt, Wladimir Putin ihn aber nicht empfängt und Kretschmer stattdessen auf einem Sofa sitzt und mit einem recht antiquierten Telefon mit Putin telefonieren darf. In jener Zeit, April 2021, war er auch einer der größten Befürworter einer Bestellung des russischen Sputnik-Impfstoffes - weil der in Sachsen besser als andere ankommen könnte. Nun hat der sächsische Ministerpräsident einen für CDU-Chef Friedrich Merz misslichen neuen Ton in Sachen Umgang mit dem Kriegspräsidenten Putin angeschlagen. Wegen der Angst vor ausbleibenden Gaslieferungen.

„Wir müssen dafür eintreten, dass dieser Krieg eingefroren wird“, hat Kretschmer betont. Merz will dazu lieber keinen Kommentar abgeben, was schon für sich spricht. Er war als erste deutscher Spitzenpolitiker in Kiew, hat die Ampel-Koalition zum Beschluss für die Lieferung schwerer Waffen getrieben - allerdings wurden bisher erst sieben Panzerhaubitzen geliefert. Mit Waffen Putin stoppen lautet die Merz-Linie. Mit Putin reden und den Krieg so einfrieren, lautet Kretschmers Plan.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Deutschland müsse eine Vermittlerrolle einnehmen, meint er in Richtung Kanzler Olaf Scholz (SPD), was eher auf der Linie der SPD-Linken als der CDU-Spitze liegt, aber in Sachsen teilen viele Bürger genau diese Einstellung, viele sehen hier die Waffenlieferungen als hochgefährliche Eskalation.

CDU-Chef Friedrich Merz am 3. Mai in Irpin/Ukraine.

© Efrem Lukatsky/AP/dpa

Das bedeute nicht, dass die Ukraine auf Territorien verzichten solle, betont Kretschmer. Der Krieg Russlands sei ein Unrecht und Verbrechen. Man müsse aber erkennen, dass der Krieg die gesamte Welt und Europa in besonderem Maße ins Chaos stürzt. Wenn er so weitergehe, drohe man die wirtschaftliche Kraft zu verlieren, die nötig sei, um die Sicherheit zu organisieren und wettbewerbsfähig zu bleiben. „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir diese Rohstofflieferungen brauchen.“

[Der Nachrichtenüberblick aus der Hauptstadt: Schon rund 57.000 Leserinnen und Leser informieren sich zweimal täglich mit unseren kompakten überregionalen Newslettern. Melden Sie sich jetzt kostenlos hier an.]

Bedeutet Einfrieren nicht Gebietsverlust an Russland?

Doch bedeutet den Krieg einfrieren nicht für die Ukraine, nach der Krim große Gebiete im Osten zu verlieren, auch wenn sie es nicht anerkennt? Parallel macht der russische Außenminister Sergej Lawrow deutlich, dass man nach dem Osten nach dem Süden der Ukraine greifen will. Würde die strategisch wichtige Hafenstadt Odessa von Russland einverleibt, wäre es eine Katastrophe für Kiew und könnte den Zusammenbruch forcieren, fürchten Experten.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

„Russland will nicht reden, nicht verhandeln, nicht aufhören, schlimmste Verbrechen zu begehen“, meint die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Jeder Aufruf, „man müsse doch auf Russland zugehen“, ignoriere nicht nur die schlimmen Folgen für Deutschland, sondern verhöhne die Ukraine, verhöhne Freiheit, verhöhne Menschenrechte.

Baerbock zeigt sich irritiert

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) äußerte sich irritiert über Kretschmers Äußerungen: Die Aussagen verwundern mich etwas, denn weder die deutsche Bundesregierung noch irgendein anderes Land in Europa wollten je wieder Krieg auf diesem Kontinent haben“, sagte Baerbock am Mittwochabend in Hannover bei der Veranstalungsreihe „RND vor Ort“ des Redaktionsnetzwerks Deutschland.

Deutschland und zahlreiche weitere Staaten hätten immer wieder versucht, mit Russland im Gespräch zu bleiben. „Da sagt ein Ministerpräsident, „redet doch mal“, obwohl der Bundeskanzler mehrfach mit dem russischen Präsidenten telefoniert hat und der UN-Generalsekretär in Moskau war“, sagte Baerbock.

Zu der Äußerung Kretschmers, Deutschland müsse dafür eintreten, dass der Krieg „eingefroren“ wird, sagte Baerbock: „Ich weiß nicht, was das bedeuten soll“.

Kanzler Olaf Scholz glaubte zunächst an Verhandlungen mit Wladimir Putin.

© Mikhail Klimentyev/Russian President Press Office/Sputnik/dpa

Kritik von FDP und Melnyk, Lob von Wagenknecht und AfD

Der bisherige ukrainische Botschafter Andrij Melnyk meint mit Blick auf Kretschmer: „Ihre ewige Anbiederung an Kriegsverbrecher Putin ist ekelerregend.“ Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht lobt Kretschmer dagegen, denn „russische Rohstoffe und vor allem die relativ billige russische Energie sind Existenzbedingungen für eine wettbewerbsfähige deutsche Industrie“. AfD-Chef Tino Chrupalla betont, Kretschmer schwenke auf AfD-Linie ein.

Kippt die Stimmung in der Bevölkerung?

Letztlich spiegelt Kretschmers Einlassung eine Sorge wider, die auch in Berlin durchaus geteilt wird: Dass die Stimmung kippen könnte. „Erstmals seit Mitte Februar ist nicht mehr die Lage in der Ukraine (63 Prozent), sondern die Energieversorgung (69 Prozent) das Thema, das die Bundesbürger am meisten bewegt, hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa ermittelt.

53 Prozent sehen durch die Sanktionen mehr Schaden für Deutschland als für Russland. Trotz der zwei Entlastungspakete mit einem Volumen von über 30 Milliarden Euro hat weniger als ein Drittel der Bundesbürger den Eindruck, dass die Bundesregierung genug gegen die steigenden Energiepreise tue.

Der Marktpsychologe Dirk Ziems, der mit seinem Team das Befinden der Deutschen untersucht, warnt auch vor einem Stimmungswechsel. „Das ganze Kriegsgeschehen ist mittlerweile weit weg vom Normalbürger. Es gibt zwar noch ein hohes Maß an Interesse, aber es nicht mehr diese Form unmittelbarer Betroffenheit. Gerade wenn der wirtschaftliche Druck steigt, könnte die Solidarität mit der Ukraine schwinden. 

Der CSU-Chef hat die Sanktionsstrategie zuletzt auch infrage gestellt

Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der früher ebenfalls mit Putin-Nähe auffiel, hat zuletzt den Schaden für das eigene Land angesichts der Drosselung russischer Gaslieferungen durch die Röhre Nord Stream 1 betont. „Die Strategie, Russland mit Sanktionen schnell in die Knie zu zwingen, ist bisher nicht aufgegangen“, hatte er der "Bild" gesagt.

„Westliche Waffen zeigen bislang deutlich mehr Wirkung gegen Russland als die verhängten Sanktionen.“ Doch einigen in CDU und CSU bereiteten diese Äußerungen Bauchschmerzen, daher ist nochmal eine deutliche öffentliche Positionierung geplant. Beim Auftakt-Statement der CSU-Landesgruppenklausur vor der herrschaftlichen Kulisse von Kloster Banz klingt Söder denn auch schon wieder anders.

Hat auch die kritische Haltung in seinem Bundesland in Sachen Sanktionen und Waffenlieferungen im Blick: Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen.

© Robert Michael/dpa

Söder fragt die Ampel: "Wo ist das Ersatzgas"?

Da betont der CSU-Chef mit ernster Miene, seine Partei stehe „ohne Wenn und Aber“ zu Sanktionen. Allerdings müsse die Bundesregierung ihr Versprechen einlösen, dass Deutschland trotz der Sanktionen gut durch diesen Winter komme. „Wo ist das Ersatzgas?“, fragt Söder und warnt, der Osten und Süden der Republik dürften bei Gaslieferungen im Fall einer Mangellage nicht abgehängt werden. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt distanziert sich noch deutlicher: „Michael Kretschmer nimmt eine Sonderposition ein.“ Das sei aber ist nicht die Haltung von CDU und CSU.

CDU-Verteidigungsexperte warnt vor neuen Flüchtlingsströmen

Auch der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kieswetter, der Merz bei dem Besuch in Kiew begleitet hatte, spricht im Gespräch mit dem „Tagesspiegel“ von einer „Mindermeinung“ in der Union. Aber auch er sieht die Gefahr eines Kippens, daher sei umso mehr Überzeugungsarbeit bei den Bürgern gefragt. Natürlich habe auch die Energiepolitik der Union zu der heutigen Lage beigetragen.

„Wir müssen jetzt in Demut mitwirken, dass der Zusammenhalt der Gesellschaft gewahrt bleibt“, betont Kiesewetter. Wenn Russland immer weiter vordringe, würden 15 bis 20 Millionen Menschen das Land verlassen und nicht mehr sieben Millionen. „Ja, und dann sind nicht 3 Millionen in Polen und 800.000 bei uns, sondern die 3 Millionen bei uns und 5, 6 Millionen in Polen.“

Markus Söder und Alexander Dobrindt schreiten zur Sommerklausur 2022 der CSU-Landesgruppe auf Kloster Banz .

© IMAGO/Chris Emil Janßen

Kiesewetter sieht Scholz' Ringtausch-Plan als gescheitert an

Nötig sei jetzt auch vor allem politische Führung, von Kanzler Olaf Scholz - und mehr Mut. Kieswetter hat Informationen aus dem polnischen Außenministerium bekommen, wonach dort große Verbitterung herrsche, da der geplante Panzer-Ringtausch nicht in Gang kommt und Deutschland erst ab April 2023 rund 20 Leopard-2-Panzer liefern will, obwohl Polen schon fast 300 T-72-Panzer an die Ukraine abgegeben habe.

Da sei es kein Wunder, dass sich osteuropäische Staaten wie Polen Richtung USA orientieren und jetzt Abrams-Panzer kaufen. Man verspiele sehenden Auges jahrelang aufgebautes Vertrauen. Im Auswärtigen Ausschuss habe Scholz eine direkte Lieferung von Marder-Panzern an die Ukraine als „furchtbare Eskalation“ bezeichnet, aber zugleich gesagt, wenn die USA Panzer direkt liefern, werde man das auch tun. Kiesewetter sieht bei Scholz eine für die Ukraine hochgefährliche Taktiererei.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false