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Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

© AFP/ Joe Klamar

Keiner will so richtig mit dem ÖVP-Chef: Kurz wird wohl wieder einmal sein Image wechseln müssen

Sebastian Kurz hat ein starkes Ergebnis hingelegt. Doch die Koalitionsbildung wird schwierig. Vor allem für Grünen-Wähler ist Kurz ein Feindbild. Ein Analyse.

Sebastian Kurz (ÖVP) hat ein Kunststück geschafft. Fast keine Partei kann mehr mit ihm, doch alle müssen. Der 33-Jährige Alt- und Neukanzler in Personalunion hat am gestrigen Sonntag einen Rekordvorsprung von rund 15 Prozentpunkten auf die zweitplatzierten Sozialdemokraten eingefahren – ohne ihn läuft nun nichts mehr im Staate Österreich.

Bis auf die liberalen Neos, die zu klein als Koalitionspartner sind, gibt es bei allen anderen Parteien massive Berührungsängste. Die rechtspopulistische FPÖ, die ihr schlechtestes Ergebnis seit 13 Jahren verzeichnete, fühlt sich von Kurz betrogen und hintergangen. Die sozialdemokratische SPÖ, die auf ein Allzeittief stürzte, kann ohnehin nicht mehr mit Kurz, seit er 2017 die Koalition mit ihr aufkündigte. Die Grünen, die die Rückkehr ins Parlament und ein Rekordergebnis feiern, werden sich hüten sich vorschnell in die Arme der türkisen ÖVP zu werfen - Kurz stellt für viele Grünwähler ein Feindbild dar.

Österreich steht also vor einem innenpolitischen Wirrwarr – wieder einmal. Wie kann das Durcheinander entwunden werden? Der unkomplizierteste der komplizierten Wege wird für Kurz wohl über die Grünen führen, die ein furioses Comeback hinlegten und mit über 14 Prozent nun das stärkste grüne Wahlergebnis Europas halten.

Türkis-Grün, so sind sich viele österreichischen Politikbeobachter einig, ist die wahrscheinlichste Koalitionsvariante, die auf die Österreicher zukommt. Beiden Parteien würde eine solche Regierung aber große Schmerzen bereiten, eine Liebeshochzeit wäre das nicht.

Kurz wird wieder sein Gesicht wechseln müssen

Den größten Wählerzustrom erhielt Kurz nämlich von den Rechtspopulisten, diesen ehemaligen FPÖ-Wählern wird eine Koalition mit den Grünen schwer bis unmöglich zu verkaufen sein. Vor allem vor dem Hintergrund, dass Kurz im Wahlkampf immer wieder betont hat, nach der Wahl eine „ordentliche Mitte-rechts-Politik“ betreiben zu wollen. Gleichzeitig muss Grünen-Chef Werner Kogler seine Partei behutsam wieder ins Parlament führen. Ein Regierungseintritt unter Kurz, der die ÖVP nach rechts rückte, wäre da gleich die erste Zerreißprobe. Klima, Migration, Soziales – Gemeinsamkeiten muss man schon mit der Lupe suchen.

Kogler, der von einem „Sunday for future“ sprach, hat am gestrigen Abend auch klargemacht, dass er der Preis für Kurz hoch sein wird. Der junge ÖVP-Chef wird wohl wieder einmal sein Gesicht wechseln müssen – etwas, dass der kühle Machttaktiker allerdings bestens beherrscht und seine politische Laufbahn mitprägte.

Spannend wird es, was nun in der FPÖ passiert. So nahe an einem Parteikollaps, waren die Rechtspopulisten schon lange nicht mehr. Spaltung, Neugründung, radikaler Umbau – vieles schwirrte da gestern Abend durch die Wiener Polit- und Medienszene. Hatte die Partei den Ibiza-Skandal rund um den ehemaligen Parteichef Heinz-Christian Strache überraschend gut durchgetaucht, so hatte ein neuerlicher Eklat knapp vor der Wahl die Stimmung gekippt: Der Ex-Chef Strache soll sich an der Parteikasse bedient haben und auf großem Fuß gelebt haben.

Über 42.000 Euro soll er – inklusive Gehalt als Vizekanzler – monatlich zur Verfügung gehabt haben, das passt nicht zur Geschichte der Partei des vielbeschworenen „kleinen Mannes“. Viele FPÖ-Wähler blieben bei dieser Wahl daheim. Desillusioniert von der eigenen Partei, aber auch nicht bereit jemand anderes zu wählen.

Es liegt allein an Sebastian Kurz

Kurz hält sich aber auch diese – national wie international schwer zu verkaufende – Koalitionsvariante weiterhin bewusst offen. Er wolle „sicherlich keine Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen ausschließen“, sagte Kurz gestern im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. In ein paar Wochen oder Monaten steht Kurz vielleicht einer erneuerten oder vermeintlich erneuerten FPÖ gegenüber – den Draht zu den Rechtspopulisten will der ÖVP-Chef nicht kappen. Bis vor kurzem ließ er durchblicken, dass die FPÖ weiterhin seine Wunschoption ist. Die inhaltliche Schnittmenge ist in dieser Variante mit Abstand am größten.

Und die zweitplatzierten Sozialdemokraten? Die müssen wie die FPÖ erstmal ihre Wunden lecken. Ihr Partei-Geschäftsführer ist bereits zurückgetreten. Gut möglich, dass sich auch in der SPÖ in den nächsten Tagen einiges bewegt. Dass trotz Ibiza-Skandal und diversen anderen Affären der vergangenen Regierung, die Partei so gut wie nirgends im Land profitieren konnte, ist für die einst stolze Partei ein Armutszeugnis. Im nächsten Jahr wird außerdem die Wiener Stadtregierung gewählt – seit über hundert Jahren bei demokratischen Wahlen fest in roter Hand. Der gestrige Abend wird auch in dieser Hinsicht die Alarmglocken gewaltig schrillen lassen haben: Die ÖVP rückte in der Hauptstadt bis auf wenige Prozentpunkte an die Sozialdemokraten heran.

Die sozialdemokratische Partei befindet sich nun in einer Zwickmühle: Bietet man sich dem verhassten Kurz als Juniorpartner an, könnte das den Weg der SPD bedeuten. Lässt man sich auf die abermalige Oppositionsrolle ein, muss man in der nächsten Legislaturperiode vielleicht mit den Rechtspopulisten gegen die Regierung mobil machen.

Es liegt also allein an Sebastian Kurz. Er wird entscheiden in welche Richtung er das Land führen will. Und das wird maßgeblich an seinem künftigen Koalitionspartner hängen. So viel ist sicher: Das politische Klima in Österreich wird sich wohl auf lange Sicht nicht entspannen.

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