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Christian Lindner am 14. August 2023 in der Ukraine.

© REUTERS/ALINA SMUTKO

Update

Lindner positioniert sich zur Aiwanger-Affäre: „Da übernimmt Herr Söder jetzt mit Verantwortung“

Bayerns Ministerpräsident hält eine Entlassung seines Koalitionspartners für „nicht verhältnismäßig“. Was Lindner, Habeck und andere Politiker:innen davon halten.

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„Markus Söder verbindet jetzt seine politische Zukunft mit der von Herrn Aiwanger“, sagte FDP-Chef Christian Lindner am Sonntag der ARD. Linder kritisierte vor allem den Umgang Aiwangers mit den Vorwürfen.

Söder hatte zuvor in München erklärt, eine Entlassung Aiwangers aufgrund der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten sei aus seiner Sicht nicht verhältnismäßig. Vor seiner Entscheidung habe er ein langes Gespräch mit Aiwanger geführt.

Bei Aiwanger habe sich „scheibchenweise“ zu den Vorwürfen bekannt, eine „Medienschelte“ beklagt, aber „keine klare Position, Reue und Entschuldigung“ gezeigt, so der Finanzminister. Dieser Umgang mit den „entsetzlichen Vorwürfen“ sei nicht geeignet, um das Ansehen des Freistaats Bayern zu erhalten und zu mehren. „Da übernimmt Herr Söder jetzt mit Verantwortung.“

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Lindner betonte auch, dass eine solche Entscheidung wie die von Söder nicht aus wahltaktischen Erwägungen getroffen werden dürfe. „Bei solchen grundlegenden Haltungsfragen darf es kein Taktieren geben.“

Vizekanzler Robert Habeck sieht eine Grenze überschritten: „Sich als Jugendlicher möglicherweise zu verlaufen, ist das eine, sich als verantwortlicher Politiker zum Opfer zu machen und der Inszenierung wegen an den demokratischen Grundfesten zu rütteln, ist das andere“, sagte der Grünen-Politiker am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Vor diesem Hintergrund sei die Entscheidung Söders „leider keine gute“, erklärte Habeck. „Es geht hier nicht um Jugendsünden seines Koalitionspartners, sondern am Ende um den Grundkonsens dieser Republik, den jede Regierung in Bund und Ländern voll und ganz schützen muss.“

Bei allen Unterschieden in der Sache habe sich die CSU immer als eine staatstragende Partei der Mitte verstanden, die den Grundkonsens dieser Republik wahre, so Habeck. „Zu ihm gehört, dass die Erinnerung an den Holocaust zentral ist und wir sie nicht relativieren dürfen. Genau das aber hat Herr Aiwanger getan und sich als Opfer inszeniert.“

Dass Herr Söder dies zulässt, schadet dem Ansehen unseres Landes.

Nancy Faeser, Innenministerin

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnete die Entscheidung des Söders als Schaden für das Ansehen Deutschlands bezeichnet. „Herr Söder hat nicht aus Haltung und Verantwortung entschieden, sondern aus schlichtem Machtkalkül“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Der Umgang mit Antisemitismus dürfe keine taktische Frage sein, betonte Faeser und fügte hinzu: „Herr Aiwanger hat sich weder überzeugend entschuldigt noch die Vorwürfe überzeugend ausräumen können.“ Stattdessen erkläre er sich „auf unsägliche Weise“ selbst zum Opfer und denke „keine Sekunde an diejenigen, die noch heute massiv unter Judenfeindlichkeit leiden.“ Ähnlich wie Habeck spricht Faeser von Grenzen, die nicht verschoben werden dürften.

Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken übte scharfe Kritik an der Entscheidung Söders. „Die Entscheidung von Markus Söder ist in meinen Augen ein großer Fehler und sie ist ein fatales Signal“, sagte Esken der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. Söders Entscheidung sei Wasser auf die Mühlen derjenigen, die die NS-Zeit, Antisemitismus und Rassismus verharmlosten, ergänzte Esken. „Eine solche Haltung darf keinen Platz in unserer Gesellschaft und erst recht nicht auf einer Regierungsbank finden“, forderte die SPD-Chefin. Vor allem Aiwangers heutiger Umgang mit der Affäre „zeigt für mich ganz klar, dass er ungeeignet ist, Verantwortung in einer Regierung zu übernehmen“.

Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl teilte mit: „Wir sind froh, dass die Bayernkoalition für unser Land stabil und in Einmütigkeit weiterarbeiten wird“. Sie seien der Auffassung, dass Hubert Aiwanger für das unverantwortliche und vollkommen inakzeptable Handeln eines Familienmitglieds vor mehr als drei Jahrzehnten keinerlei politische Verantwortung trüge.

Freie-Wähler-Chef Aiwanger hatte zuvor bekräftigt, das antisemitische Flugblatt nicht verfasst zu haben. Sein älterer Bruder hatte vor rund einer Woche mitgeteilt, dass es von ihm stamme.

Stimmen aus regionaler Politik

Landtagspräsidentin Ilse Aigner hält die Entscheidung des Ministerpräsidenten dagegen für richtig, hätte sich aber eine bessere Krisenkommunikation von Hubert Aiwanger gewünscht. „Zeitnahe, klare, ehrliche Aussagen - auch zu einer noch so dünnen Verdachtsberichterstattung - und eine schnellere Distanzierung von diesem ekelhaften Pamphlet hätten nicht zu dieser unsäglichen Hängepartie geführt, die Bayern insgesamt geschadet hat.“

Weiter sagte Aigner: „Seine Aussagen zur Demokratie im Vorfeld der Flugblatt-Affäre waren auch nicht gerade hilfreich für eine Einordnung der Geschehnisse von vor 36 Jahren.“ Aiwanger hatte im Juni auf einer Kundgebung in Erding gesagt, dass die schweigende Mehrheit sich die „Demokratie zurückholen“ müsse. 

Bayerns SPD-Chef Florian von Brunn teilte am Sonntag mit: „Dass die CSU unter Markus Söder einen aktiven Rechtspopulisten und früher auch rechtsradikal tätigen Aktivisten als Stellvertreter in der Regierung akzeptiert, ist ein negativer Höhepunkt in der Geschichte von Nachkriegsdeutschland“.

Reaktionen aus der jüdischen Community

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, legte Aiwanger einen Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau nahe. Klein sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Es wäre jetzt ein gutes Zeichen, wenn er nicht nur das Gespräch mit den jüdischen Gemeinden, sondern auch mit den Gedenkstätten in Bayern sucht und deren wichtige Arbeit stärkt, etwa durch einen Besuch in Dachau.“

Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle (CSU) teilte mit, Aiwanger habe sich lange uneinsichtig gezeigt und sei seiner Vorbildfunktion als Staatsminister nicht gerecht geworden. „Er hat damit Bayern und der Bekämpfung des Antisemitismus Schaden zugefügt.“ Aiwanger sei nun aufgefordert, mit seinem Handeln dem von ihm herbeigeführten Schaden entgegenzuwirken.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, hat von Aiwanger klare Schritten der Aufarbeitung gefordert. „Er muss Vertrauen wiederherstellen und deutlich machen, dass seine Aktionen demokratisch und rechtlich gefestigt sind“, sagte Knobloch.

„Inwieweit es Hubert Aiwanger nun gelingen wird, die Vorwürfe, die noch im Raum stehen, mit Worten und Taten zu entkräften, wird sich dabei zeigen“, so die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Die Entscheidung von Ministerpräsident Markus Söder sei politisch zu akzeptieren.

Hubert Aiwangers Ehrenrunde beginnt am Sonntag wenige Minuten, bevor Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in München eine Pressekonferenz zur Zukunft seines Stellvertreters gibt. Der Freie-Wähler-Chef steigt am Eingang des Bierzelts in Grasbrunn (Landkreis München) auf eine Bierbank, grüßt in die Menge, genießt den Applaus, schüttelt Hände. (dpa, epd)

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