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Luiz Inacio Lula da Silva (l) und Jair Bolsonaro konkurrieren um das Präsidentenamt.

© Foto: dpa/Marcelo Chello

Lügen, Halbwahrheiten, Hysterie: Der Wahlkampf zwischen Lula und Bolsonaro hätte kaum schmutziger sein können

Der Linke Lula geht laut den Umfragen mit Vorsprung in die Stichwahl. Doch auch der amtierende Präsident gibt sich siegesgewiss

Wenn Brasilien an diesem Sonntag einen neuen Präsidenten wählt, endet ein langer und aggressiver Wahlkampf. Viele Brasilianer dürften erleichtert darüber sein, dass sie keine Wahlclips und Parolen mehr auf allen Kanälen zu sehen und hören bekommen. Gleichzeitig stellt sich die Frage: Was kommt nun? Denn die Polarisierung des Landes zwischen links und rechts wird mit der Wahl nicht vorbei sein, sondern sich eher noch verschärfen.

Die Umfrageinstitute sagen einen knappen Sieg des linken Ex-Präsidenten Lula da Silva gegen den ultrarechten Amtsinhaber Jair Bolsonaro voraus. Doch die Sorge macht sich breit, dass Bolsonaro und seine fanatischen Anhänger den Wahlausgang nicht anerkennen und Unruhe stiften – nach dem Vorbild Donald Trumps in den USA.

Den ersten Wahlgang Anfang Oktober hatte Lula mit fünf Prozent Vorsprung gewonnen, verfehlte aber die absolute Mehrheit knapp. Bei der Stichwahl an diesem Sonntag sehen jüngste Umfragen Lula bei 52 Prozent der gültigen Stimmen und Bolsonaro bei 48 Prozent. Bolsonaro ist damit stärker als erwartet.

Beide Lager haben im Schlussspurt stark auf Negativkampagnen gesetzt. Für Präsident Bolsonaro ist die Methode seit seinem Wahlsieg 2018 erprobt. Seine Bewegung ist emsig damit beschäftigt, Lügen, Halbwahrheiten und hysterische Übertreibungen in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Bolsonaro bezeichnet Lula wegen der Korruptionsskandale in dessen Amtszeit zwischen 2003 und 2011 stets als „Dieb“. Die Wahrheit ist, dass alle Prozesse gegen Lula vom Obersten Gerichtshof annulliert wurden und er juristisch unschuldig ist.

Bolsonaro verlieh seiner Kampagne zudem einen religiösen Anstrich, um die wachsende Zahl evangelikaler Christen anzusprechen. Lula wurde als das Böse präsentiert, als kommunistischer Dämon, der Kirchen schließen, die traditionelle Familie zerstören und Kinder gender-ideologisch indoktrinieren wolle. Lula sah sich gezwungen, einen offenen Brief an die rund 42 Millionen Evangelikalen zu schreiben, in dem er erklärte, dass nichts davon stimme.

Doch auch das Lula-Lager setzte auf Angriffe unter der Gürtellinie. Die Linke kam offenbar zu dem Schluss, dass man den Bolsonarismus mit seinen eigenen Waffen attackieren müsse. Lulas Kampagne baute ihre Präsenz in den sozialen Netzwerken aus und strickte aus alten Interviews und Videos absurde Vorwürfe gegen Bolsonaro zusammen.

Abstruse Anschuldigungen

Beispielsweise, dass er nichts dagegen habe, Menschenfleisch zu essen, oder dass er ein falscher Christ sei, weil er einmal eine Freimaurerloge besuchte. Auch Pädophilie wurde ihm unterstellt, nachdem er wortwörtlich gesagt hatte, dass sich zwischen ihm und mehreren minderjährigen Flüchtlingsmädchen aus Venezuela ein erotisches Klima entwickelt habe.

Wir werden nicht zulassen, dass Brasilien ein zweites Venezuela wird, wo die Menschen vor Hunger Hunde essen. 

Jair Bolsonaros Warnung vor einem Sieg Lulas

Die gegenseitigen Angriffe führten dazu, dass der Wahlkampf immer öfter vor der Justiz ausgetragen wurde. Brasiliens Wahlgericht war fast täglich damit beschäftigt, Fake News zu untersagen. In einem Fall ordnete es sogar die Unterbrechung eines TV-Spots Bolsonaros wegen Falschaussagen an.

Insgesamt zog es 184 von 400 Wahlspots Bolsonaros aus dem Verkehr und sprach Lula zusätzliche Zeit im Fernsehen und Radio zu, um auf die Lügen Bolsonaros antworten zu können. Doch auch Bolsonaro erhielt mehr TV-Zeit, um auf den Vorwurf des Kannibalismus zu antworten.

156,7 Millionen
Brasilianerinnen und Brasilianer sind wahlberechtigt

Es ist der Abschluss eines zehrenden Wahlkampfs, bei dem sich die Ausgangslage kaum verändert hat. Beide Lager stehen sich solide und unversöhnlich gegenüber. Dabei wäre es ein Fehler, Lula und Bolsonaro als zwei Extreme darzustellen.

Bolsonaro und seine Anhänger sind keine Konservativen. Sie vertreten autoritäre bis rechtsextreme Standpunkte und halten sich für Revolutionäre im Kampf gegen eine korrupte linke Elite in Politik, Medien und den Universitäten. Ihr Gesellschaftsbild mit klaren Rollenzuschreibungen gleicht dem Viktor Orbáns.

Der Bolsonarismus pflegt zudem eine gefährliche Nähe zu Waffen und zur Gewalt. Dies bestätigte sich wieder am vergangenen Sonntag, als Roberto Jefferson, ein treuer Gefolgsmann Bolsonaros und ehemaliger Abgeordneter auf Bundespolizisten schoss und Granaten warf. Er stand unter Hausarrest und sollte ins Gefängnis überführt werden, weil er gegen mehrere Auflagen der Justiz verstoßen hatte.

Lula da Silva, der im Grunde eine sozialdemokratische Politik mit staatlichen Eingriffen zugunsten der Armen vertritt, hat demgegenüber bewiesen, dass er Demokrat ist. Nicht ohne Grund haben sich ihm viele Persönlichkeiten aus dem wertkonservativen Lager angeschlossen, darunter ehemalige Gegner. Sie halten die Demokratie für bedroht, sollte Bolsonaro eine zweite Amtszeit erhalten. Die Korruptionsskandale in Lulas Regierungszeit wiegen für sie weniger schwer.

Auch in der Amazonasfrage, die oft größere Beachtung in Europa findet als in Brasilien selbst, gibt es klare Unterschiede. Unter Lula, der 2003 eine hohe Abholzungsrate erbte, nahm die Entwaldung um rund 70 Prozent ab, weil er die Umweltpolizei konsequent stärkte. Als Folge sank die Waldzerstörung 2012 auf einen historischen Tiefstand. Unter Bolsonaro stieg die Abholzung hingegen um 72 Prozent und erreichte die höchsten Werte seit 2007.

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