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Lula da Silva am Wahlabend.

© Foto: Miguel Schincariol / AFP

Wahlen in Brasilien : Lula gewinnt die erste Runde – doch Bolsonaro zeigt sich überraschend stark

Die Präsidentschaftswahlen in Lateinamerikas größtem Land gehen in die Stichwahl, auch wenn der linke Ex-Präsident Lula da Silva zunächst vor dem ultrarechten Amtsinhaber Jair Bolsonaro lag.

Die große Wahlparty fiel aus. Brasiliens linke Arbeiterpartei (PT) hatte vor dem Opernhaus von Rio de Janeiro, aber auch auf der emblematischen Paulista-Allee in São Paulo alles für eine Siegesfeier vorbereitet: Getränkeboxen, Grillwagen, Stände mit roten Fahnen, Mützen und T-Shirts, eine Bühne und eine große Leinwand waren aufgebaut worden und Tausende Menschen erschienen.

Doch je länger die Auszählung der Stimmen am Sonntagabend in Brasília dauerte, umso klarer wurde, dass der PT-Kandidat Lula da Silva, 76, nicht im ersten Wahlgang zum Präsident gewählt werden würde. Dazu hätte er mindestens 50 Prozent der gültigen Stimmen gebraucht.

Alle Umfrageinstitute hatten ihn in den vergangenen Tagen mal knapp darunter, mal knapp darüber gesehen. Am Ende erhielt Lula etwas mehr als 48 Prozent. Er muss nun im zweiten Wahlgang in drei Wochen gegen den ultrarechten Amtsinhaber antreten: Jair Bolsonaro, der Brasilien seit 2019 regiert.

Dessen gutes Abschneiden war die große Überraschung des Abends. Er kam auf 43 Prozent und lag damit rund zehn Prozent über den prognostizierten Werten. Das Ergebnis sorgte für lange Gesichter unter Lulas Anhängern. Viele reagierten geschockt. „Wir wollten auf Lula anstoßen“, sagt eine 33-Jährige, komplett in rot gekleidete Anwältin in Rios Zentrum. „Wir wollten einen Neuanfang feiern und das Ende dieser fürchterlichen Regierung. Jetzt ist Frusttrinken angesagt.“

Nicht nur verbal aggressiver Wahlkampf

Die Brasilianer werden nun drei weitere Wochen eines zehrenden Wahlkampfs erleben, der das Land schon seit Monaten beschäftigt und eine tiefe ideologische und emotionale Gespaltenheit offenbart hat. Sie zieht sich durch Familien, Freundeskreise und Nachbarschaften.

Der Wahlkampf war nicht nur verbal aggressiv und mit den üblichen Lügen und Halbwahrheiten in den sozialen Medien geführt worden, sondern es kam auch zu physischer Gewalt. Eine Handvoll Tote sind zu beklagen – bis auf einen Fall waren sie alle Anhänger Lulas, die von Bolsonaro-Fans ermordet wurden.

Häufig wurde diese Wahl als Stresstest für die brasilianische Demokratie beschrieben. Es lag daran, dass Präsident Bolsonaro sich immer wieder zweideutig dazu geäußert hatte, ob er eine mögliche Niederlage anerkennen würde. Er hatte die Verlässlichkeit des brasilianischen Wahlsystems angezweifelt, das auf elektronischen Wahlurnen basiert – und laut Experten eins der schnellsten und verlässlichsten der Welt ist.

In seiner typisch polarisierenden Sprache hatte er davor gewarnt, dass mit Lula der Kommunismus, die Korruption, das „Böse“ und die „Gender-Ideologie“ in Brasilien triumphieren könnten. „Die Geschichte kann sich wiederholen“, drohte er in Anspielung an den Militärputsch von 1964, den er immer verteidigt hat. Es waren recht unverhohlene anti-demokratische Drohungen.

Am Wahlabend trat Bolsonaro dann erst spät vor die Mikrofone und war für seine Verhältnisse diplomatisch: „Ich verstehe, dass der Wille zur Veränderung bei der Bevölkerung vorhanden ist, aber es gibt bestimmte Veränderungen zum Schlechten.“ Er werde jetzt die Chance nutzen, um in den kommenden Wochen die guten Ergebnisse seiner Regierungszeit zu präsentieren.

Amtsinhaber Jair Bolsonaro am Wahlabend.

© Foto: EVARISTO SA / AFP

Die Zeit ist dabei auf Bolsonaros Seite. Brasiliens Wirtschaft erlebte zuletzt, entgegen dem internationalen Trend, ein leichtes Wachstum mit einem Rückgang der Arbeitslosigkeit und der Inflation. Dennoch gibt es auch mehr als 30 Millionen Brasilianer, die von Ernährungsunsicherheit betroffen sind oder unter Hunger leiden. Bei ihnen kommt das Wachstum nicht an.

Der Ausgang des 2. Wahlgangs wird auch vom Verhalten der drittplatzierten Simone Tebet (4 Prozent) und des viertplatzierten Ciro Gomes (3 Prozent) abhängen. Beide tendieren von ihrer politischen Ausrichtung eher zu Lula, doch besonders der zur Eitelkeit neigende Gomes, ein enttäuschter Ex-Minister Lula da Silvas, ist unberechenbar.

Kam mit vier Prozent auf Platz 3: Simone Tibet.

© Foto: MAURO PIMENTEL / AFP

Die Anhänger von Jair Bolsonaro, deren Reaktion auf eine mögliche Niederlage Anlass zur Sorge gegeben hatte, blieben in der Wahlnacht im Großen und Ganzen ruhig. Allerdings kam es zu vereinzelten Aggressionen, etwa in Rio de Janeiros Stadtteil Tijuca. Dort warfen Bolsonaro-Fans Steine auf Lula-Anhänger und schossen mit Feuerwerkskörpern auf sie.

In den bolsonaristischen Netzwerken zirkulierten derweil Dutzende Verschwörungstheorien: Dass dunkle Mächte Bolsonaro den Sieg im ersten Wahlgang gestohlen hätten, las man etwa in der Whatsapp-Gruppe „Rechte/Konservative Rio de Janeiro“. Als „Beweise“ wurden nicht zu überprüfende Aussagen angeblicher Wahlhelfer präsentiert, die seltsame Vorgänge registriert hätten.

Tatsächlich hatte Bolsonaro lange in der Auszählung vorne gelegen, weil die Ergebnisse aus den PT-Hochburgen im brasilianischen Nordosten wie immer bei den Wahlen in Brasilien erst spät eintrafen.

Sehr gute Ergebnisse im Kongress für mit Bolsonaro verbündete Kandidaten

Als Erklärung für das unerwartet gute Abschneiden Bolsonaros präsentierten Brasiliens Medien die Theorie des Scham-Wählers. Viele Bolsonaro-Fans hätten sich in Umfragen nicht getraut anzugeben, dass sie für den Präsidenten stimmen würden.

Die Wahl zeigte noch einen weiteren Trend. Brasiliens kommender Kongress, der ebenfalls gewählt wurde, ist noch ein Stück nach rechts gerückt. Mit Bolsonaro verbündete Kandidaten für das Parlament und den Senat erreichten durchgehend sehr gute Ergebnisse, darunter einige seiner Ex-Minister und Ministerinnen.

Auch der rechte Richter Sergio Moro, der Lula da Silva 2018 unter Verwendung illegaler Methoden zu einer langen Haftstrafe verurteilt hatte (aus der Lula nach 19 Monaten entlassen wurde), wurde in den Senat gewählt. Bolsonaros ultrarechte Liberale Partei (PL) wird nun die stärkste Fraktion in einem allerdings zersplitterten Kongress mit circa 30 Parteien stellen.

Sollte also Lula da Silva in vier Wochen den zweiten Wahlgang gegen Bolsonaro gewinnen, worauf derzeit noch vieles hindeutet, bekäme er es mit einem rechtskonservativen Kongress zu tun, mit dem es schwierig sein dürfte, Kompromisse zu finden. Schon ist von einer drohenden Unregierbarkeit die Rede.

Lula allerdings, der seit den 1970ern in der Politik ist und Brasilien bereits von 2003 bis 2011 regierte, nahm das Ergebnis gelassen auf. „Es gibt eine Sache in meinem Leben, die mich motiviert: der Glaube, dass nichts zufällig geschieht“, sagte er. „Wir werden auch diese Wahlen gewinnen. Wir sind nur in die Verlängerung gegangen.“

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