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Protest gegen die AfD in Erfurt.

© dpa/Jacob Schröter

Massenprotest gegen rechts: Es ist Zeit, die Demokratie zu feiern – und zu leben

Die Demonstrationen gegen rechts sind vor allem eine Rückversicherung Gleichgesinnter. Die Andersdenkenden erreichen sie kaum. Demokratie aber setzt Bereitschaft zum Dialog voraus – und rhetorische Abrüstung.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Die Demokratie sei bedroht, sie müsse bewahrt, geschützt, verteidigt werden, rufen Politik und andere Verantwortliche vom Bundeskanzler bis zum Verfassungsschutzchef der Bevölkerung zu.

Immer öfter und meist anlässlich von neuen Zustimmungsrekordwerten für die AfD. Aber meist auch, ohne konkret zu werden. Es steht so seit geraumer Zeit die Frage im Raum, wie genau das gehen soll, was genau das ist: Demokratieverteidigung.

An diesem Wochenende bietet sich in vielen Städten eine praktische Möglichkeit. Landesweit ist zu Demonstrationen aufgerufen worden. Und viele Menschen folgen.

Aktuell offenbar auch aufgeschreckt durch die immer neuen Informationen über ein Treffen rechtsgerichteter Akteure in einem Potsdamer Hotel im November, bei dem es unter anderem um die massenweise Ausweisung von Menschen mit Migrationsbezug ging. Und bei dem sowohl Vertreter der AfD als auch der Werteunion zugegen waren.

Am Wochenende ist so auf Deutschlands Straßen ein Teil jener Menschen zu sehen, die oft als „schweigende Mehrheit“ angesprochen und zum Mittun aufgefordert werden.

Viele werden mit einem guten Gefühl nach Hause gehen. Denn sie haben Kante gezeigt „gegen rechts“ und klargemacht, dass sie sich, anders als von der AfD oft behauptet, keinesfalls durch sie vertreten fühlen. Sie haben etwas getan für die Demokratie.

Und so sind die Bilder der vielen Menschen eine große Beruhigung. Sie demonstrieren freundlich-sympathische Wehrhaftigkeit in krisenhaft-unfreundlichen Zeiten. Das ist toll, aber es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es vor allem eine Rückversicherungsbewegung ohnehin Gleichgesinnter ist.

Es bleibt das Problem, dass die mit den anderen Meinungen so kaum erreicht werden. Demokratieforscher halten es für unwahrscheinlich, dass Demonstrationen gegen die AfD geeignet sind, um potenzielle Sympathisanten zu einer Kursänderung zu bewegen. Eher gilt die alte Regel aus Physik wie Psychologie, dass Druck Gegendruck erzeugt.

In der Folge verhärten die Fronten, und die Zustimmung zu der Partei wächst weiter. Es lässt sich ja bereits beobachten. Und das ist wohl weder im Sinne der Demonstranten. Noch ist es ein Gewinn für die Demokratie.

Es klingt nach einer Schlacht, aber darum geht es gerade nicht

Im Ringen um deren Güte entsteht durch Formulierungen wie „verteidigen“ und „kämpfen“ ein Schlachtengemälde, in dem es um Sieg oder Niederlage geht. Aber gerade, weil dies hier eine Demokratie ist, geht es genau darum nicht.

Demokratie kommt nicht ohne Bereitschaft zum Dialog aus. Es geht darum, Menschen zu erreichen, sie zu überzeugen. Schafft man das nicht, sollte man die Fehler nicht nur bei den Nicht-Überzeugten suchen, sondern auch bei sich selbst. Was fehlte denn, um überzeugend zu sein? Was ist los, wenn das übliche AfD-Attribut „in Teilen gesichert rechtsextrem“ bei so vielen nicht verfängt? Muss man womöglich erstmal klären, was das meint?

Die Politik macht es sich aktuell vielleicht ein bisschen leicht, wenn sie zum Kampf für die Demokratie nun die Bürgerinnen und Bürger aufruft und denen dann herzlich fürs gezeigte Engagement dankt.

Ariane Bemmer

Demokratie verteidigen könnte schon darin bestehen, die rhetorische Aufrüstung gegenüber allem, was mit der AfD zu tun hat, herunterzufahren. Die verbale Skandalisierung hat sich längst abgenutzt. Sie wirkt einfallslos oder verzweifelt.

Demokratie verteidigen könnte heißen, die vielfache Ankündigung, man werde die AfD „in der Sache stellen“, in die Tat umzusetzen. Denn je länger das ausbleibt, desto mehr Raum hat der Verdacht, das sei nur heiße Luft. 

Die Politik macht es sich aktuell vielleicht ein bisschen leicht, wenn sie zum Kampf für die Demokratie nun die Bürgerinnen und Bürger aufruft und denen dann herzlich fürs gezeigte Engagement dankt.

Sie muss sich auch selbst kritisch fragen, was ihr Anteil am Vertrauensverlust in die Institutionen, am Zustand des Landes hier und heute ist. Ob sie mit ihren pathetischen Beschwörungen von „unserer Demokratie“ der am Ende ein Stück weit in den Rücken gefallen ist, ausgrenzend klang und spaltend.

Viele, die von Ampel und Co. die Nase voll haben und darum der AfD zuneigen, sehen ohnehin eher in der Ampel-Politik eine Gefahr für die Demokratie. Womit sie ironischerweise recht haben könnten, jedenfalls, wenn am Ende von deren Legislatur ein politisch zerklüftetes und schwerer als bisher regierbares Land übrigbleiben sollte, was nicht völlig unwahrscheinlich ist.

Aber Demokratie ist nicht nur eine Frage der politischen Machtverhältnisse. Sie geht jede und jeden an, und jede und jeder kann beitragen zu ihrem Gelingen. Und sei es nur mit einem gemäßigten Auftreten in den sozialen Medien.

Man könnte es bereits als Dienst an der Demokratie werten, wenn die prominenten Vertreter der politischen, medialen und gesellschaftlichen Eliten aufhören würden, sich dort unentwegt gegenseitig für bekloppt zu erklären.

Demokratie leben können und sollten aber auch alle Einzelnen. Jederzeit. Etwa dann, wenn sie sich dabei beobachten, dass sie Stereotype ungeprüft übernehmen, dass sie nicht mehr zuhören, sondern verurteilen, ohne zu fragen, ohne wissen zu wollen. Wenn sie merken, dass sie dabei sind zu vergessen, dass es am Ende immer um Menschen geht.

Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie stellte kürzlich fest, die Politik, das halbe Land sei wie „AfD-besoffen“. Es ist Zeit, diesen Rausch auszuschlafen und sich lieber an der Demokratie zu besaufen. Die Bilder vom Wochenende zeigen, dass das geht.

Warum also nicht, statt in immer grelleren Farben deren Bedrohtheit und Krise an die Wand zu malen, viel öfter deren abrufbare Standfestigkeit feiern. Das sollte zwar nicht als Ausflucht aus einer Realität dienen, in denen ein hochproblematischer politischer Gegner an Stärke gewinnt.

Aber die Demonstrationen vom Wochenende können wieder mehr Lust auf das machen, was dieses Land glücklicherweise ist. Und bleiben muss.

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