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Tunnelblick. Rory Hooper freut sich auf ein Wiedersehen mit seiner Mutter.

© mauritius images / Denise Laura Baker / Alamy

Protest gegen Eisenbahnstrecke: Menschliche Maulwürfe graben sich in London ein

Der britische Öko-Aktivist Swampy verschanzt sich seit Wochen in einem selbst gebuddelten Tunnel – seinen Sohn nahm er für 22 Tage gleich mit.

Andere Bildungsreisen führen nach Venedig oder auf die Galapagos-Inseln. Öko-Aktivist Daniel Hooper reiste vergangenen Sommer mit seinem 16-jährigen Sohn Rory in die Buchenwälder der Chilterns 60 Kilometer nordwestlich von London. Dort will eine Gruppe Protestler ein gewaltiges Bauprojekt namens HS2 verhindern: die neue Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke von London über Birmingham nach Manchester und Leeds.

Der Anschauungsunterricht erzielte das gewünschte Ergebnis: Gemeinsam setzten sich Vater und Sohn Ende Januar mitten in London in selbstgebaute Tunnel, um dort gegen die Naturzerstörung durch HS2 zu protestieren. Hooper Senior, 47, in Großbritannien unter seinem Alias Swampy („sumpfig“) bekannt, sagte dem „Guardian“ aus dem Tunnel heraus: „Ich hätte nie gedacht, dass ich das noch einmal machen würde, aber diese Sache ist einfach zu wichtig.“

In den Neunzigern erlangte Swampy Berühmtheit mit gewitzten und geschickt an die Medien lancierten Protestaktionen. Zur Verhinderung des Baus einer Schnellstraße verbrachte Hooper bereits 1996 mehr als eine Woche in einem selbst gebauten Tunnelsystem. Es war das erste Mal, dass sich Planer, Behörden und die Polizei auf der Insel mit dieser Art von Protest konfrontiert sahen. Hooper und seine Mitstreiter wiederholten das gefährliche Tiefbauprojekt ein Jahr später ein zweites Mal, um den Bau einer zweiten Startbahn am Flughafen von Manchester zu unterbinden.

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Wenig später zog sich Daniel Hooper aus der Öffentlichkeit zurück – der Ruhm des liebenswerten, letztlich aber erfolglosen Öko-Exzentrikers war ihm unangenehm geworden, Gespräche mit den Medien verweigerte er gewöhnlich. Seit mittlerweile zwei Jahrzehnten lebt der Engländer mit seiner Frau und den drei Kindern in der westwalisischen Öko-Kommune Tipi Valley, baut eigenes Gemüse an und erzeugt umweltverträglichen Strom mit eigenen Solarpanels.

Premier Johnson bekennt sich zu dem milliardenschweren Vorhaben

Ironischerweise wird für das HS2-Projekt, gegen das die Hoopers mit vollem Körpereinsatz protestieren, ebenfalls mit umweltpolitischen Argumenten geworben. 2009 brachte die damalige Labour-Regierung die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke auf den Weg. Sie soll die total überlasteten Bahnstrecken aus dem 19. Jahrhundert entlasten und dadurch viel mehr Güterverkehr von der Straße auf die Schiene verlagern.
Erst vor Jahresfrist bekannte sich die frisch wiedergewählte Regierung des konservativen Premierministers Boris Johnson ausdrücklich zu dem Vorhaben, obwohl es wie so viele öffentliche Bauprojekte schwere Rückschläge erlitten hat.

Die Baukosten haben sich annähernd verdoppelt auf sagenhafte 106 Milliarden Pfund, umgerechnet 122 Milliarden Euro. Statt der ursprünglich geplanten, ohnehin späten Aufnahme des Zugverkehrs 2026 von London ins 150 Kilometer entfernte Birmingham ist nun von 2031 die Rede. Die darüber hinaus geplanten Teilstrecken nach Nordengland werden womöglich erst in zwanzig Jahren fertig.

Das Protestcamp in den Chilterns im Oktober hatte in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle gespielt, obwohl Chequers, der offizielle Landsitz des Premierministers, nur wenige Kilometer entfernt ist. Auf Hooper Junior aber machte die Szenerie mit Baumhäusern hoch in den Jahrhunderte alten Buchen nachhaltigen Eindruck. „Da habe ich zum ersten Mal richtig verstanden, warum jemand mit Leidenschaft versucht, diese Zerstörung aufzuhalten“, hat der 16-Jährige dem „Guardian“ berichtet – zuvor hatte er von der Aktivistenvergangenheit seines Vaters nur eine sehr vage Vorstellung gehabt.

Unter Tage spielen die Aktivisten Karten

Swampy I. und II. gehörten zu einer Gruppe von neun Öko-Aktivisten, die direkt vor dem Zentral-Londoner Bahnhof Euston seit Weihnachten ein Tunnelsystem buddelten. Die dortige Grünfläche werde dem Ausbau des Bahnhofs zum Terminal der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke zum Opfer fallen, fürchten sie. Hooper hat dabei seine Erfahrung als Tunnelbauer und -besetzer ausgespielt: Dank Kartenspiel und guter Ernährung ist den verbliebenen Protestierern auch nach beinahe vier Wochen nicht langweilig. „Und immer gilt: die Sicherheit geht vor.“

Unterdessen mahlen die Mühlen der Justiz langsam, aber unaufhaltsam weiter. Vergangene Woche bestätigte ein Richter am High Court per einstweiliger Anordnung die beantragte Räumung und forderte die Besetzer dazu auf, ihren Protest zu beenden. Hoopers Sohn Rory kam tatsächlich nach 22 Tagen unter Tage an die Oberfläche und teilte breit lächelnd mit, er freue sich darauf, endlich seine Mutter mal wiederzusehen.

Die örtliche Bezirksregierung hat die verbleibenden menschlichen Maulwürfe zur freiwilligen Aufgabe gebeten, dann würden die Behörden auch gewiss Milde walten lassen. Eines haben die Swampys und ihre Tunnelgenossen jedenfalls schon erreicht: Plötzlich steht das längst verabschiedete Großprojekt HS2 wieder in der öffentlichen Diskussion.

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