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Die Parteichefs der Koalitionsparteien Lars Klingbeil (SPD, v. r. n. l.) Ricarda Lang (Grüne) und Christian Lindner (FDP) sprechen im Bundestag nach dem Koalitionsausschuss.

© dpa/Michael Kappeler

Der Kompromiss der Ampel: So viel „Paradigmenwechsel“ steckt im Beschluss der Koalition

Erleichterung in der Ampel: Der Kompromiss steht. FDP-Chef Lindner ist nach dem Verhandlungsmarathon sogar zum Scherzen zumute. Seine Partei hat Erfolge erzielt.

Es hat auch am dritten Tag des Koalitionsausschusses sehr lange gedauert, bis sich die chaotische Informationslage rund um die Dauersitzung der Ampel-Parteien gelichtet hat. Erst um kurz vor 19:30 Uhr am Dienstagabend kommt die kurzfristige Einladung zu einer Erklärung der drei Parteichefs Lars Klingbeil (SPD), Ricarda Lang (Grüne) und Christian Lindner (FDP).

Auf der Fraktionsebene des Reichstagsgebäudes, wo sie Stunden zuvor in den Sitzungen ihrer Parlamentsabgeordneten noch schmerzlich vermisst wurden, sprechen sie kurz vor der Tagesschau über den Neustart der Ampel.

Wir haben echte Durchbrüche erzielt.

Christian Lindner, FDP-Chef

Wenn es immer solche Ergebnisse gebe, solle sich der Koalitionsausschuss am besten einmal im Monat für drei Tage treffen, sagt Lindner nur halb im Scherz: „Wir haben echte Durchbrüche erzielt.“ Klingbeil ergänzt, dass ein solcher „gesellschaftlicher Aushandlungsprozess“, also die Versöhnung von sozialen, ökologischen und ökonomischen Aspekten der Modernisierung, für die Sozialdemokraten, Grüne und Liberale letztlich stehen, eben Zeit brauche, wenn man sie wirklich ausdiskutiert und nicht nur „rhetorisch verkleistert“, also mit schönen Worten ohne Substanz versieht.

Lang räumt für die Grünen ein, dass es „ein Ringen an sehr vielen Stellen“ gegeben habe – vor allem aber deshalb, weil „in den vergangenen Jahren viel liegen geblieben“ sei. „An die eigene Nase“ müssten sich die Parteien fassen, weil der Ton vor der Sitzung doch ziemlich „ruppig“ gewesen sei. Auch darüber musste Klingbeil zufolge geredet werden. Die Aussprache über den Umgang untereinander hatte gleich zu Beginn am Sonntagabend mehrere Stunden gedauert.  

Der Wille zur Einigung war da

Die Ergebnisse, die am Dienstagabend in einem 16-seitigen Papier vorgestellt werden, stehen unter dem Gesamtmotto des bereits vielfach beschworenen neuen „Deutschland-Tempos“. „Damit die Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels, die Modernisierung unserer Infrastruktur und die Sicherung unserer Energieversorgung vorankommen, muss der Staat selbst moderner werden“, heißt es darin: „Planungs- und Genehmigungsprozesse müssen deutlich schneller, effektiver und digitaler werden.“ Es folgen insgesamt sechs Themenfelder mit zahlreichen Unterpunkten.

Am Dienstagvormittag erklärten alle Seiten noch hinter vorgehaltener Hand, wie weit sie teilweise noch auseinanderlägen und wie offen der Ausgang der Gespräche sei. Nur den Willen zu Einigung, den zumindest betonten sie alle.

Um kurz vor 16 Uhr gab es dann erste Signale an die wartende Hauptstadtpresse, sich in Richtung Kanzleramt oder Bundestag aufzumachen, weil sich die Ampelianer auf der Zielgeraden befänden – kurz nachdem die „Bild“-Zeitung das glatte Gegenteil, nämlich eine „Eskalation“, vermeldet hatte. Lindner berichtete im Nachhinein von gewissen „Unterhaltungsmomenten“, wenn es Berichte gab über Streit bei Themen, die gar nicht besprochen wurden.

Willkommene Unterbrechung

Klarheit aber gab es noch immer keine: Zu diesem Zeitpunkt nämlich saß SPD-Kanzler Olaf Scholz nicht mit seinem Grünen-Vize Robert Habeck und dem liberalen Vize-Vizekanzler Christian Lindner sowie der übrigen Koalitionsspitze zusammen, sondern mit dem kenianischen Staatspräsidenten William Ruto.

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Eine weitere „nette Unterbrechung“, wie Scholz am Vortag den Kurztrip nach Rotterdam zu den deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen bezeichnet hat? Oder waren die neuerlichen Koalitionsverhandlungen so weit in trockenen Tüchern, dass er sie guten Gewissens vorzeitig verlassen konnte? Letztlich war es so.

Olaf Scholz empfand am Nachmittag das Ergebnis voraus und sagte: „Es wird sich gelohnt haben.“

© Imgao/Political-Moments

In der Pressekonferenz hatte Scholz dann erst die klare Verurteilung der russischen Aggression gegen die Ukraine durch Kenia gelobt – und dann die zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Beschlüsse seiner eigenen Koalition: „Es wird sich gelohnt haben.“ Es sei ein „großes Werkstück“ geworden mit einer Fülle von Vorhaben und Festlegungen, von denen manch einer sicherlich auch „ein bisschen überrascht“ sein werde.

Das verfestigte schon den Eindruck, dass es eben längst nicht mehr nur um die Planungsbeschleunigung ging, die vergangene Woche zeitweise noch als zentrales, wenn nicht einziges Thema des Koalitionsausschusses galt. Erst kam noch der strittige Gesetzentwurf zum Einbauverbot neuer Öl- und Gasheizungen ab 2024 hinzu, spätestens jedoch Habecks öffentlicher Stunk über den mangelnden Klimaschutzehrgeiz der roten und gelben Ampel-Partner weitete das Themenfeld noch einmal deutlich.

Die Grünen sind den Liberalen entgegengekommen

Erster zentraler Punkt der Ampel-Einigung ist, dass das 2019 von der Vorgängerregierung verabschiedete Klimaschutzgesetz überarbeitet wird. So sollen die sogenannten Sektorziele zwar nicht gelockert, aber doch flexibler ausgestaltet werden. Bisher ist es so, dass jeder Bereich, also zum Beispiel der Verkehr, in jedem einzelnen Jahr Rechenschaft ablegen – und nachbessern muss. Künftig können die Bereiche auch zusammen betrachtet werden – ein Punkt, auf den die FDP von Verkehrsminister Volker Wissing gedrungen hatte.

Auch beim Straßenbau sind die Grünen den Liberalen entgegengekommen. Insgesamt 144 Autobahnprojekte, die Engpässe beseitigen sollen, werden Lindner zufolge künftig von überragendem öffentlichen Interesse sein – und dürfen somit beschleunigt ausgebaut werden. Grünen-Chefin Lang, deren Partei sich lange für einen Ausbaustopp eingesetzt hatte, erklärte ihre Zustimmung wiederum mit der Zusage, dass dies in Absprache mit den Bundesländern geschehen und mit der Nutzung der Straßenflächen für erneuerbare Energien verknüpft werden muss.

Als Erfolg kann die Umweltpartei für sich verbuchen, dass die notwendigen Investitionen in das Bahnnetz, die allein bis 2027 mit 45 Milliarden Euro beziffert werden, eine zusätzliche Finanzierungsquelle bekommen. Die Ampel will im nächsten Jahr die Lkw-Maut auf den EU-seitig maximal zugelassenen Höchstpreis erhöhen – und 80 Prozent der Einnahmen in die Schienen stecken.

45
Milliarden Euro sollen bis 2027 ins Bahnnetz investiert werden

Finanzminister Lindner wiederum freute sich am Abend auf der Fraktionsebene des Reichstagesgebäudes darüber, dass auf diese Weise keine neuen Haushaltswünsche entstehen. Das gilt auch für die Förder- beziehungsweise sozialen Ausgleichsmaßnahmen bei der sogenannten Wärmewende. Der Umstieg von fossilen Heizungen, der dem FDP-Chef zufolge nun „technologieoffen“ erfolgen können soll, mit vielen Möglichkeiten jenseits von Wärmepumpen, wird vom Staat unterstützt – finanziert wird das ebenfalls nicht aus dem Etat, sondern aus dem Klima- und Transformationsfonds.

Der Eindruck, dass gerade die Liberalen mehrere ihrer Anliegen erfolgreich durchsetzen konnten, wird durch eine neue nationale Strategie für E-Fuels oder die Möglichkeit verstärkt, dass bei Infrastrukturprojekten künftig nicht mehr zwingend eine ökologische Ausgleichsfläche gefunden werden muss, sondern auch Geld bezahlt werden kann. Christian Lindner spricht in diesem Zusammenhang von einem echten „Paradigmenwechsel“.

Der Kanzler ist am Abend nicht mehr dabei gewesen. Er ist zu zwei Terminen entschwunden, die sich nicht so leicht haben absagen lassen wie die Zusammenkunft der „Allianz für Transformation“ am Vormittag. Nun denkt der stets so selbstbewusste Kanzler, dass seine Koalition selbst die „Allianz für Transformation“ ist.

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