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Benjamin Netanjahu ist länger Ministerpräsident als je einer zuvor.

© IMAGO/Sebastian Scheiner

Neue Regierung in Israel gebildet: Ein Land rückt nach rechts

Benjamin Netanjahu organisiert eine neue Mehrheit für sich in der Knesset – wenige Minuten vor Ablauf seiner Frist.

Israel bekommt eine neue Regierung – und sie steht weiter rechts als jede vorherige in der Geschichte des Landes. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, nur 20 Minuten vor Ablauf der Frist, teilte der frühere und zukünftige Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dem Staatspräsidenten Yitzhak Herzog mit, dass ihm die Koalitionsbildung gelungen sei. Bis zum 2. Januar muss die neue Regierung vereidigt werden.

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Sitze von 120 hat die Koalition von Netanjahu.

Bis dahin dürfte weiter intensiv verhandelt werden, denn noch gibt es keinen Koalitionsvertrag, nur vorläufige Einigungen. Neben der konservativen Likud-Partei Netanjahus besteht das neue Bündnis aus zwei ultraorthodoxen Kräften sowie dem Parteienbündnis Religiöser Zionismus, das nach der Parlamentswahl Anfang November wieder in seine drei ursprünglichen Kräfte zerfallen ist.

Die radikalste von ihnen ist die Jüdische Stärke, angeführt von dem rechtsextremen und mehrfach vorbestraften Itamar Ben-Gvir, der vor nicht allzu langer Zeit selbst unter etablierten rechten Parteien als politischer Paria galt.

Ben-Gvir gab nicht nach

Dass sich die Koalitionsverhandlungen länger hinzogen als gedacht – nach „zwei Wochen“ werde die Regierung stehen, hatte es zunächst vollmundig aus dem Likud-Lager getönt –, lag auch an den Maximalforderungen der radikalen Rechten. Ben-Gvir etwa verlangte nicht nur das Amt des Ministers für Innere Sicherheit, um, wie im Wahlkampf versprochen, „für Ordnung zu sorgen“ und Störenfrieden – gemeint waren offenbar arabische Bürger – zu zeigen, „wer Herr im Haus ist“.

Er forderte zudem auch die Hoheit über die Grenzpolizei im Westjordanland, die bislang der Armeeführung untersteht, sowie erweiterte Befugnisse, um Richtlinien und Prioritäten der nationalen Polizei zu beeinflussen. Trotz Warnungen zahlreicher früherer Vertreter aus Militär und Polizei gab Netanjahu nach.

Nicht nur Ben-Gvir gegenüber machte der zukünftige Regierungschef weitreichende Zugeständnisse, die viele Analysten überraschten und Berichten zufolge Parteifreunde verärgerten. Der Vorsitzende des Religiösen Zionismus, Bezalel Smotrich, wie Ben-Gvir ein ideologischer Unterstützer des umstrittenen israelischen Siedlungsprojekts im Westjordanland, soll offenbar Finanzminister werden; zudem soll auf sein Drängen hin der Siedlungsbau ausgeweitet sowie die Autorität über zivile Angelegenheiten in den Siedlungen, die bislang militärische Behörden innehatten, auf diverse Ministerien übertragen werden.

Kritiker sehen darin eine De-Facto-Annektierung der Siedlungen. Denn während die bisherige Regelung der Tatsache Rechnung trug, dass Israel das Westjordanland militärisch kontrolliert, würde der geplante Schritt die Siedlungen mit israelischem Territorium gleichstellen. In jedem Fall dürften die geplanten Maßnahmen den Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinensern weiter erschweren, wenn nicht gänzlich verbauen.

Überdies fordern Ben-Gvir und Smotrich weitreichende Justizreformen: Unter anderem wollen sie der Regierung mehr Einfluss auf die Ernennung von Richtern verschaffen und die Autorität des Obersten Gerichtshofes aushebeln, vom Parlament beschlossene Gesetze auf ihre Kompatibilität mit Israels Grundgesetzen zu prüfen. Kritiker sehen darin einen Angriff auf die demokratische Gewaltenteilung des Landes. Selbst Netanjahu soll noch zögern, einer derart tiefgreifenden Reform zuzustimmen.

Geld für Ultraorthodoxe

Die Verhandlungen mit den zwei ultraorthodoxen Parteien dagegen scheinen einfacher verlaufen zu sein, auch deshalb, weil Netanjahu relativ schnell deren wichtigste Forderungen erfüllte: mehr Geld für religiöse Schulen, die keinerlei säkularen Inhalte lehren, sowie für ultraorthodoxe Männer, die ihr Leben religiösen Studien widmen, statt arbeiten zu gehen.

Linke Demonstranten protestieren in Tel Aviv gegen Netanjahu.

© IMAGO/Saeed Qaq\ apaimages

Ökonomen halten diese Versprechen für fatal, weil sie die drängende Aufgabe, die rasch wachsende ultraorthodoxe Minderheit in den Arbeitsmarkt zu integrieren, erschweren dürften. Seltsamerweise scheint Netanjahu seiner Koalitionsversprechen zum Trotz diese Ansicht zu teilen.

Er selbst habe als Finanzminister Anfang des Jahrtausends Israels „üppiges Wohlfahrtssystem“ beschneiden müssen, um die Ultraorthodoxen in den Arbeitsmarkt zu drängen, sagte er kürzlich in einem Interview mit dem kanadischen Psychologen und Autor Jordan Peterson.

„Sie arbeiteten nicht“, fuhr er fort, „sie hatten einfach viele Kinder, für die der Privatsektor zahlen musste“. Yair Lapid, Israels scheidender liberaler Regierungschef, teilte einen Ausschnitt des Videos auf Twitter und schrieb: „Dieses Mal stimme ich Netanjahu zu.“

Kritiker des zukünftigen Ministerpräsidenten vermuten, dass dessen Großzügigkeit nicht zuletzt persönlichen Interessen entspringt: Als Regierungschef könnte es Netanjahu leichter fallen, sich dem gegen ihn laufenden Korruptionsprozess zu entledigen.

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