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Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern und CSU-Chef, nimmt nach seiner Rede beim politischen Aschermittwoch der CSU den Applaus entgegen.

© dpa/Peter Kneffel

Politischer Aschermittwoch: Ein archaisches Ritual

„Grün ist out“ tönt Markus Söder. Über „die gefährlichste Regierung Europas“ zieht Sahra Wagenknecht her. „Tusch!“ befiehlt Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Szenen aus dem Süden der Republik.

„Wir als CSU, wir wollen keine Grünen in der nächsten Bundesregierung“, ruft Markus Söder: „Grün ist out.“ In einer persönlichen Attacke bezeichnet Söder die aus Ostdeutschland stammende Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) als eine „grüne Margot Honecker“. Lemke sei ein Musterbeispiel, wie die Grünen mit immer neuen Auflagen die Freiheit der Fleißigen einschränken wollten. Die verstorbene Margot Honecker war die Ehefrau von Erich Honecker, dem Staatsratsvorsitzenden der DDR, und als Ministerin für Volksbildung selbst Teil des SED-Regimes.

Willkommen beim Politischen Aschermittwoch, jenen etwas archaischen Veranstaltungen, bei denen prominente Parteipolitiker teils derb über ihre politischen Konkurrenten herziehen, sie der Lächerlichkeit preisgeben. Wie jeher, mögen sich die Zeiten noch so geändert haben. Hört oder liest man die Sprüche - auch jenseits von Honecker-Vergleichen - bekommt man ein schales Gefühl: Ist diese Veranstaltung angesichts von Krisen, Kriegen, Rechtsextremismus und der Bedrohung der Demokratie nicht aus der Zeit gefallen?

Söder liebt den Klamauk

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef würde das gewiss verneinen. Er liebt den Klamauk, betreibt diese Folklore wie einst Franz Josef Strauß. Söder zeigt sich bei der CSU-Kundgebung äußerst angriffslustig gegenüber der Bundesregierung. Er bekräftigt seine Forderung nach einer Neuwahl im Bund. Der AfD wirft Söder große Nähe zu Russland und dessen Präsident Wladimir Putin vor. Der Thüringer AfD-Chef und Partei-Rechtsaußen Björn Höcke sei „der Putin-Pudel Nummer 1“.

In Passau, da redet am Mittwochmorgen auch Sahra Wagenknecht. Zwei Prozent hatte ihre einstige Partei Die Linke im hiesigen Wahlkreis bei der Bundestagswahl 2021 geholt. Wagenknecht will jetzt die Grundlage für satte Prozentpunkte für ihr „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) legen. Ins Gasthaus Öller hat das BSW geladen, neben Wagenknecht ist ihr treuer Knappe Klaus Ernst (einst SPD, WASG, Linke, nun BSW) mit dabei.

Spaßfreie Sahra Wagenknecht

Gegen Waffenlieferungen, für ordentliche Renten und mehr Vernunft in der Politik: Sie stellt ihr Parteiprogramm in Passau noch einmal rundum dar. Die Ampel sei nicht nur die dümmste, sondern auch „die gefährlichste Regierung Europas“. Pointen aber setzt sie kaum, die Rede kommt weitgehend verlässlich, spaß- und ironiefrei daher.

Die Außenpolitik handelt sie ab mit Sätzen wie: „Ich frage mich, für wie blöd halten die uns eigentlich?“ Die russische Armee sei nach dem Angriff auf die Ukraine 2022 nicht in der Lage gewesen, Kiew einzunehmen. Dass sie „demnächst fähig sein sollte, Berlin zu erobern oder gar hier im schönen Bayern einzumarschieren, was ist denn das für ein Schwachsinn?“, fragt Wagenknecht. In anderen europäischen Ländern herrsche diese Angst vor Russland offenbar nicht. Sie gäben nur einen Bruchteil der Summen für die Ukraine, die Deutschland leiste. Und, natürlich: Die Bundesregierung sei „Erfüllungsgehilfe“ der USA.

Rattert ihr Wahlprogramm runter: Sahra Wagenknecht spricht während des Politischen Aschermittwochs bei der Veranstaltung des BSW.
Rattert ihr Wahlprogramm runter: Sahra Wagenknecht spricht während des Politischen Aschermittwochs bei der Veranstaltung des BSW.

© dpa/Lukas Barth

Über Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Spitzenkandidatin zur Europawahl, sagt Wagenknecht, diese werde in die „Lobbyhochburg Brüssel abgeschoben“. Mit Blick auf ihre eigene Partei spricht sie aber ganz anders über den Stellenwert der Europawahl: Diese werde der Startschuss, um das Land zu verändern, sagt Wagenknecht.

Ricarda Lang muss im Hotel bleiben

Etwa 300 Kilometer weiter westlich ist zu besichtigen, wie sich das Land bereits verändert hat. In Biberach in Oberschwaben, bisher nicht bekannt für politische Gewalt, müssen die Grünen ihre Kundgebung aus Sicherheitsgründen absagen. Ausgerechnet also im Ländle, im einzigen Bundesland mit einem grünen Ministerpräsidenten.

In Biberach bleibt die Bühne leer beim politischen Aschermittwoch der baden-württembergischen Grünen - wegen der gewalttätigen Proteste vor der Stadthalle.
In Biberach bleibt die Bühne leer beim politischen Aschermittwoch der baden-württembergischen Grünen - wegen der gewalttätigen Proteste vor der Stadthalle.

© dpa/Silas Stein

Mit Parteichefin Ricarda Lang, Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hatten sich prominente Parteivertreter angekündigt, doch am Ende musste Lang im Hotel bleiben, Kretschmann auf halbem Weg umdrehen und auch Özdemir schaffte es nicht einmal in die Nähe der Stadthalle.

„Wir sind mehr“

Eine halbe Stunde nach der Absage tritt Anja Reinalter auf die Bühne der fast leeren Stadthalle von Biberach und ergreift das Wort. „Wir lassen uns nicht abschrecken“, sagt die lokale Grünen-Bundestagsabgeordnete vor ein paar Dutzend Parteifreunden, die es in die Halle geschafft haben. „Die da draußen haben sich keine Freunde gemacht. Wir sind mehr“, ruft sie trotzig, die wenigen Grünen applaudieren. Es ist das einzige Mal an diesem Tag, dass in der Halle geklatscht wird.

Am Mittwochmorgen positionierten sich Hunderte Demonstranten mit Sirenen, Kuhglocken und Trillerpfeifen rund um die Halle. Darunter nicht nur aufgebrachte Landwirte, sondern offenkundig auch viele Handwerker, Spediteure und Gegner der Waffenlieferungen an die Ukraine. „Lügen-Grüne!“ ruft ein Kind, die Menschen daneben johlen.

„Dieser Protest ist unterirdisch“, sagt der Fraktionsvorsitzende der Grünen in Baden-Württemberg, Andreas Schwarz, und schüttelt den Kopf: „Das sind hier keine Bauern, das ist zum großen Teil ein AfD-naher Protest.“ Ein paar hundert Meter weiter, bei einer angemeldeten Kundgebung, stellt sich Özdemir schließlich doch noch rund 500 wütenden Bauern. „Ich habe nicht immer Recht, ich lerne gerne dazu – auch heute“, sagt er und wirbt erneut für den Tierwohlcent zur Finanzierung des Umbaus der Ställe.

 Das war eine Niederlage für die Demokratie.

Jürgen Trittin (Grüne), über die Absage der Kundgebung in Biberach infolge von Sicherheitserwägungen

Später teilt die Polizei mit, es sei „leider auch zu aggressiven Protestverhalten gekommen“. Mehrmals werden Gegenstände auf die Polizei geworfen, mehrere Beamte seien leicht verletzt worden. Die Scheibe eines Autos des Bundeskriminalamts wurde eingeschlagen. Zeitweise musste die Polizei Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzen. „Das war eine Niederlage für die Demokratie“, sagt Jürgen Trittin. Der frühere Umweltminister war ebenfalls als Redner eingeladen worden und extra von Berlin angereist. Er kritisiert die Sicherheitsvorkehrungen: „Ich glaube schon, dass sich die baden-württembergische Polizei fragen muss, ob sie in ausreichender Präsenz vor Ort war.“

Lars Klingbeil teilt gegen die Union aus

Die SPD hat derzeit wenig zum Lachen. Parteichef Lars Klingbeil bemüht sich in Vilshofen dennoch um gute Laune, attackiert freudig die Union. Verantwortungslos sei sie, Söder (CSU) und Friedrich Merz (CDU) „kennen nur sich, denen geht es nur um sich selbst“. Sie betrieben „ein verlogenes Spiel“: An einem Tag wolle die Union mit der Bundesregierung zusammen arbeiten, am anderen Tag wieder nicht. „Die wollen den Rasen kaputt treten“, sollten aufhören, „beleidigte Lebenswurst“ zu sein. Die Wirtschaftspolitik der Union sei „komplett in den 90er Jahren hängengeblieben“.

Es wird am Aschermittwoch nicht nur über Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) geredet. Die Rheinländerin ist dafür nach Bayern gereist. Ihr das größte Problem an diesem Politischen Aschermittwoch in Dingolfing? Der Tusch! „Ohne Tusch kann ich nicht“, ruft sie den Saal. Im Rheinland, muss man wissen, spielt die Band einen Tusch, wenn eine Pointe sitzt. Das ist in Bayern anders.

Strack Zimmermann sieht im Merz Hoffnungsträger seit 30 Jahren

„MASZ“, so ihr Kosename, ist die Hauptrednerin ihrer Partei an diesem Tag, eben weil sie die europäische Spitzenkandidatin ist. Und, wahrscheinlich, weil sie witzig sein kann. Bei ihr Zuhause sei das mit dem Tusch übrigens genauso: „Dann weiß mein Mann, wann er lachen soll.“ Strack-Zimmermann hüpft von einem Thema zum nächsten, sie lästert über Hubert Aiwanger, über Friedrich Merz, seit 30 Jahren sei er Hoffnungsträger, über Ursula von der Leyen und Sahra Wagenknecht.

Kann Karneval. Die FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl Marie-Agnes Strack-Zimmermann in Dingolfing.
Kann Karneval. Die FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl Marie-Agnes Strack-Zimmermann in Dingolfing.

© dpa/Uwe Lein

Doch zurück zum Tusch. Aiwanger habe mal gesagt, die FDP seien „regierende Taugenichtse“, wo sich die Frage stelle, ob er bei dem Zitat nicht in den Spiegel geschaut hätte. Strack-Zimmermann dreht sich zur Band: „Jetzt machen wir hier mal einen Tusch.“

„Die Ampel ist an allem Schuld“

Den nächsten verlangt sie bei der Ampel. Die Ampel sei schuld an allem. Am schlechten Kaffee der Ehefrau, an den Schulnoten der Kinder. „Ja. Ampel ist schuld. Tusch!“, ruft sie. Söder, der als Bismarck zum Fasching ging, hätte sich lieber als „Bismarck-Hering“ verkleiden sollen, findet Strack-Zimmermann, „richtig glitschig und nicht zu packen“.

Der Gag hätte wohl auch einen Tusch verdient, aber sie kann ihn ja nicht jede Minute verlangen. „Wie soll man seinen einzigen Kompagnon entfernen, neben dem man noch vernünftig wirkt?“, fragt sie. „Ich lasse Kubicki ja auch neben mir stehen.“ Lautes Gelächter. „Tusch!“, befiehlt Strack-Zimmermann.

Sie schließt mit Sahra Wagenknecht, deren BSW und ihrem Europa-Spitzenkandidaten Thomas Geisel, einst OB in Düsseldorf, wo Strack-Zimmermann wohnt. Geisel, der früher die Geisel der SPD gewesen sei, sei jetzt „Sahras Wagenknecht“. Ein letztes Mal verlangt sie einen Tusch. Dann ruft sie: „2024 kann nur besser werden.“ Wohl wahr. Der Saal jubelt.

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