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Bundespolizisten kontrollieren auf dem Bahnhof.

© Sebastian Gabsch / Potsdamer Neueste Nachrichten

Polizei prüft Beschwerden weiter selbst : Tut die Ampel-Koalition genug gegen Racial Profiling?

Die Ampel wollte unabhängige Möglichkeiten schaffen, gegen Kontrollen vorzugehen, die rassistisch sein könnten. Jetzt verteidigt sie das Vorgehen der Bundespolizei.

Racial Profiling ist grundgesetzwidrig, weil es gegen den Grundsatz der Gleichheit verstößt - dennoch geht die Bundesregierung bisher nicht dagegen vor.

In einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag verteidigt die Ampelkoalition sogar die Kontrollen nach Paragraph 22 Absatz 1a des Bundespolizeigesetzes (BPol). Dabei handelt es sich nicht nur um eine rein polizeiliche Praxis, am äußeren Erscheinungsbild, etwa Haut-, Haarfarbe, Gesichtsschnitt, anzusetzen, um Menschen zu kontrollieren oder gegen sie zu ermitteln.

Vor allem diese Bestimmung kritisiert seit Jahren sowohl die UN als auch die EU-Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), weil sie sie als Einladung zu Rassismus betrachten. Der Paragraf erlaubt der Bundespolizei, Personen zu kontrollieren, von denen sie „auf Grund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilicher Erfahrung“ annimmt, dass sie unerlaubt eingereist sind.

Diese Kontrollen erfolgten nicht, wie in der Kleinen Anfrage behauptet, „anlasslos“, sondern jeweils „lageabhängig“, schreibt das Haus von Ministerin Nancy Faeser (SPD).

Genau dies ist allerdings der zentrale Punkt der Kritik: Dass nicht das konkrete Verhalten einer Person Anlass gibt, sie zu kontrollieren, sondern eine nicht näher bestimmte Einschätzung der „Lage“ und die ebenso unbestimmte „grenzpolizeiliche Erfahrung“ der Beamt:innen. Dies trifft dann oft Angehörige von sichtbaren Minderheiten, deren Dokumente geprüft und deren Gepäck untersucht wird.

Vor aller Augen als kriminell gebrandmarkt

Die Klagen vor allem schwarzer Deutscher dagegen hatten in den letzten Jahren Erfolg. Sie sahen sich durch diese Kontrollen öffentlich und vor den Augen vieler Mitreisender auf Bahnhöfen und in Zügen als kriminell beziehungsweise illegale Einwanderer stigmatisiert.

Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte fordert, die Vorschrift zu streichen, weil sie so dehnbar und unbestimmt sei, dass sie in der Praxis wie eine Aufforderung zur Diskriminierung funktioniere.

Das Gewaltmonopol des Staates ist nur wegen der Bindung an Grund- und Menschenrechte legitim.

Deutsches Institut für Menschenrechte

Die Polizei sei „die wichtigste Institution für das – menschenrechtlich gebotene – Gewaltmonopol des Staates“, schrieb das Institut 2020. Dieses Gewaltmonopol sei aber „nur wegen der Bindung an Grund- und Menschenrechte legitim“.

Ampel will Polizeibeauftragten

In ihrem Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP versprochen, eine Anlaufstelle zu schaffen, die zumindest nachträglich solche Kontrollen unabhängig überprüfen könne. „Wir führen eine unabhängige Polizeibeauftragte bzw. einen unabhängigen Polizeibeauftragten für die Polizeien des Bundes als Anlaufstelle beim Deutschen Bundestag mit Akteneinsichts- und Zutrittsrechten ein“, heißt es darin.

Auch davon ist in der aktuellen Antwort der Bundesregierung keine Rede. Sie verweist weiter darauf, dass die Bundespolizei – nur um sie kann es gehen, weil Polizeien im übrigen Ländersache sind – Beschwerden gegen ihr Verhalten intern prüfe: „Sofern keine eigene unmittelbare Zuständigkeit besteht, bearbeitet das Bundespolizeipräsidium Beschwerdesachverhalte, denen eine grundsätzliche, herausragende politische oder bundesweite Bedeutung beigemessen wird.“

Keine Beschwerde galt als begründet

Andernfalls werden die an das Bundespolizeipräsidium gerichteten Beschwerdevorgänge an die im Einzelfall zuständige Bundespolizeidirektion beziehungsweise die Bundespolizeiakademie abgegeben und dort endbearbeitet.

Die Bilanz der Bearbeitung laut Antwort auf die Kleine Anfrage: Von den 34 Beschwerden, die zwischen Januar und Oktober 2022 bei ihr eingingen, wurden 30 als „unbegründet“ eingestuft, eine galt als nicht aufklärbar, über drei ist noch nicht entschieden. Keine einzige Beschwerde erkannten die Stellen der Bundespolizei als begründet an. In aktuell drei Fällen laufen nach Auskunft der Bundesregierung Klagen Betroffener vor Gerichten.

Höchststand im Jahr 2021

Das Innenministerium erklärt in seiner Antwort auf die Kleine Anfrage allerdings auch, dass es die Empfehlung des ECRI an die deutsche Adresse „sehr ernst“ nehme. „Vor dem Hintergrund dieser Empfehlung sowie auf Grund der besonderen Bedeutung dieses Themas wird die Bundesregierung prüfen, ob (…) weitere Maßahmen angezeigt sind“, schreibt das Ministerium.

Wie aus der Antwort weiter hervorgeht, ist die Zahl der Kontrollen, die international wie auch zunehmend von deutschen Gerichten als problematisch angesehen werden, im ersten Jahr der Ampelregierung gesunken. Die nach Paragraf 22 Abs. 1a BPolG etwa reduzierten sich von 512.417 im ganzen Jahr 2021 auf 344.201 (laufendes Jahr bis Oktober). Im letzten Jahr der Regierung Merkel waren sie dagegen im Vergleich zum Vorjahr 2020 fast aufs Doppelte nach oben geschnellt.

Es ist enttäuschend, dass sich unter Ministerin Faeser nichts geändert hat.

Clara Bünger, Die Linke

Die Linke spricht dennoch von einem Armutszeugnis. Clara Bünger, ihre Sprecherin für Flüchtlings- und Rechtspolitik im Bundestag, sagte dem Tagesspiegel, es sei „enttäuschend, dass sich in Bezug auf Racial Profiling im Bundesinnenministerium unter Leitung von Nancy Faeser nicht das Geringste geändert hat“.

Nach wie vor weigere sich das Ministerium, die Realität rassistischer Kontrollen anzuerkennen und Maßnahmen dagegen auf den Weg zu bringen. Für Millionen Menschen in Deutschland, sei es Alltagserfahrung, ohne sachlichen Grund von der Polizei kontrolliert zu werden, oft nur wegen ihrer Hautfarbe oder eines religiösen Symbols wegen.

Das „effektivste Mittel“, Polizeikontrollen zu beenden, die gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 3 des Grundgesetzes verstoßen, sagt Clara Bünger, wäre es, „die Befugnis zu verdachtsunabhängigen Kontrollen ersatzlos zu streichen“ – womöglich im Zuge der sowieso anstehenden Reform des Bundespolizeigesetzes.

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