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Artikel des Grundgesetzes sind in gläserne Stehlen im Regierungsviertel graviert – hier der 3. Artikel mit dem Begriff «Rasse». Die Ampel-Koalition streicht Begriff «Rasse» nicht aus Grundgesetz.

© dpa/Kay Nietfeld

„Rasse“ bleibt im Grundgesetz : Um Worte ist genug gestritten worden

Die Ampel verabschiedet sich wohl davon, den Kampf gegen Rassismus mit einer Verfassungsänderung zu begleiten. Das wäre richtig, denn nicht für jede Idee gibt es den passenden Begriff.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Die Ampelfraktionen finden ein Projekt aus ihrem Koalitionsvertrag nicht mehr so gut, es handelt sich um die Streichung des Worts „Rasse“ aus dem Grundgesetz. Dort steht es im Gleichheitsartikel drei neben weiteren Merkmalen wie etwa Geschlecht oder Religion, derentwegen niemand benachteiligt – oder bevorzugt – werden darf. Menschliche „Rassen“ gebe es keine, heißt es, schon die Verwendung des Begriffs sei geeignet, Rassismus zu verstetigen.

Einleuchtend, fanden damals viele. Vor ein paar Jahren noch hatte es manche Diskussionen um das „richtige“ Verständnis von Antirassismus gegeben. Im Zentrum standen nicht selten Begriffe. Also eignete sich die Ampel den Vorschlag an.

Warum es nun nichts wird, darüber kann man nur spekulieren. Verwiesen wird auf erinnerungspolitische Bedenken des Zentralrats der Juden. Präsident Josef Schuster fürchtet, dass ohne das Wort „Rasse“ der gegen Juden gerichtete nationalsozialistische Rassenwahn unkenntlich würde – gegen den das Grundgesetz sich hier ausdrücklich wende.

Das ist gewichtige Kritik, nur ist sie keineswegs neu. Vielleicht hat der Hamas-Terror in Israel Schusters Argument stärker hervortreten lassen oder Besorgnis ausgelöst, der Kampf gegen Antisemitismus und das – eher linke – Engagement für Antirassismus könnten gegeneinander ausgespielt werden. Vielleicht ist es aber auch der Gedanke, dass mit der Union, deren Stimmen für eine Verfassungsänderung nötig wären, derzeit wenig Miteinander möglich ist.

Sachlichkeit schlägt Empfindlichkeit. Das darf als Fortschritt gelten.

So oder so, im Verzicht läge ein Gewinn. Der mit dem Benachteiligungsverbot wegen der „Rasse“ erreichte Schutz ist hoch, der Begriffsgebrauch international. Auch der Ampel ist klar, dass „Rasse“ zudem nicht einfach gestrichen, sondern ersetzt gehört.

Was aber würde dann besser? Wenn von „rassistischer Zuschreibung“ die Rede ist, wie neuerdings in der Verfassung des Saarlands, klingt das nach Soziologenseminar und wirkt verharmlosend. Das Problem als „rassistische Gründe“ zu erfassen, unterstellt, Stichwort „Gründe“, eine Rationalität, die der Unterscheidung von Menschen nach „Rassen“ gerade nicht innewohnt. Und wenn man dann treffender von „rassistischen Motiven“ sprechen würde, kann der Eindruck entstehen, ohne Absicht gebe es keinen Rassismus – was nicht stimmt.

Wichtig scheint deshalb nicht ein sprachmoralisch korrekter Begriff, sondern die unmissverständliche Abkehr und Abwehr von rassistischem Denken – wie sie das Grundgesetz eindeutig fordert. Den besseren, richtigeren Begriff dafür gibt es nicht. Sogar Antirassismus setzt eine Vorstellung von „Rasse“ voraus; ein verfassungsrhetorisches Dilemma.

Braucht die Ampelpolitik noch weitere Komplikationen? Eher nein. Sachlichkeit schlägt Empfindlichkeit. Das darf als Fortschritt gelten.

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