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Am Sonntag wurde ein neues Parlament gewählt, im Herbst stehen die Präsidentschaftswahlen an.

© Aziz Taher/Reuters

Nach Parlamentswahl im Libanon: „Reformer müssen Allianzen schmieden“

Die Libanesen haben ein neues Parlament gewählt, ob sich etwas ändert, ist aber fraglich. Im Interview analysiert ein Libanon-Experte die Ergebnisse.

Michael Bauer ist seit August 2021 Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) im Libanon. Zuvor arbeitete er als KAS-Länderreferent für den Nahen Osten und Nordafrika und war für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die Bertelsmann Stiftung und weitere Auftraggeber in der MENA-Region tätig.

Herr Bauer, am Sonntag wählte der Libanon ein neues Parlament. Entsprach die Wahl demokratischen Standards?
Es gab durchaus Zwischenfälle, bei denen Verstöße gegen Wahlgrundsätze dokumentiert wurden. Dazu gehört, dass Stimmen gekauft, Wahlzettel ausgetauscht oder Menschen mancherorts vor den Wahllokalen eingeschüchtert und in einigen Fällen sogar angegriffen wurden. Die EU-Wahlbeobachtermission, die vor Ort dabei war, wird dies sicher auch in ihrem Bericht thematisieren. Demokratischen Standards hat die Wahl damit nur bedingt entsprochen, es ist aber trotzdem richtig und wichtig gewesen, dass sie durchgeführt wurde.

Die Wahlbeteiligung war mit 41 Prozent die niedrigste in der Geschichte des Landes. Haben die Libanesen ihren Glauben in die Demokratie verloren?
Wenn man nur die Zahlen sieht, könnte man das tatsächlich denken. Jedoch ist derzeit noch unklar, ob auf den Wahllisten bereits verstorbene und ausgewanderte Menschen registriert waren. Dies würde sich in einem so kleinen Land wie dem Libanon natürlich bemerkbar machen.

Lag es nur daran?
Nein, vielen Menschen war es auch schlichtweg nicht möglich, ins Wahllokal zu gehen. Denn im Libanon stiegen die Benzinpreise dramatisch an und öffentliche Verkehrsmittel gibt es fast keine. Manche sparten sich daher wohl lieber die Benzinkosten, da sie dachten, mit ihrer Stimme ohnehin nicht allzu viel verändern zu können. Hinzu kam eine politische Demobilisierung, die in der sunnitischen Bevölkerung besonders stark war.

Die Unterstützer Hariris stellten Schwimmbecken auf, anstatt zur Wahl zu gehen.

© Marwan Naamani/dpa

Der ehemalige sunnitische Ministerpräsident Saad Hariri rief zum Boykott der Wahl auf.
Hariri sagte, er sehe keine Chance auf eine positive Veränderung im Land und machte dafür vor allem den Einfluss des Iran und der Hisbollah - aber auch andere Vertreter der alten Eliten und Machtstrukturen - verantwortlich. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Hariri selbst zu diesen Strukturen gehört und überdies ein recht glückloser Ministerpräsident war, der oft in der Kritik stand. Wegen fehlender Erfolgsaussichten zog er sich Anfang dieses Jahres daher aus dem Rennen zurück und rief zum Boykott der Wahl auf. Der sunnitischen Bevölkerung fehlte somit eine wichtige Bezugsperson mitsamt ihrer Partei. Dadurch entstand ein Vakuum, das sonst niemand füllen konnte.

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Die radikalislamische Hisbollah verlor mit ihren Verbündeten zwar die Parlamentsmehrheit, zählt aber weiterhin zu den stärksten Kräften. Wieso genießt sie einen so großen Rückhalt?
Die Hisbollah ist – wie auch die Amal-Bewegung - politisch, sozial und gesellschaftlich sehr präsent in den schiitischen Gemeinden und schreckt auch nicht davor zurück, mit Gewalt gegen kritische Stimmen vorzugehen. Sie profitiert davon, dass der Staat es nicht schafft, seinen Aufgaben nachzukommen. Die Hisbollah hat quasi-staatliche Strukturen aufgebaut, um beispielsweise Hilfsbedürftige zu unterstützen. Die Partei hat außerdem durch den Iran mehr Geld als all ihre Konkurrenten und ist die stärkste militärische Kraft im Land. Sie kann sich Gefolgschaft erkaufen und erzwingen.

Die Libanesischen Kräfte (FL), eine rechte christliche Partei, gehören zu den Wahlsiegern und sehen sich als Gegenpol zur Hisbollah.
Ja, die FL haben sich sehr scharf gegen die Hisbollah positioniert und dafür Unterstützung vieler Libanesen bekommen. Denn viele Christen – aber auch Drusen und Sunniten – fürchten die Hisbollah, weil sie das Land kontrollieren und die Identität des Libanons verändern möchte. Dies konnten die Libanesischen Kräfte nutzen, wodurch sie zur stärksten christlichen Partei aufstiegen.

Michael Bauer ist Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Beirut.

© Privat

Manche kritisieren, die Libanesischen Kräfte seien von Saudi-Arabien ähnlich abhängig wie die Hisbollah vom Iran. Wie stehen Sie dazu?
Dies wird immer wieder als Vorwurf in den Diskurs eingebracht, wobei ich diesen Vergleich für falsch erachte. Es stimmt, dass Saudi-Arabien die Hisbollah – als Söldnertruppe des Iran - als riesiges Problem sieht und sie in der gesamten Region schwächen möchte. Diese Forderung teilen die Libanesischen Kräfte – wie aber auch viele unabhängige Oppositionskandidaten.

Der Libanon ist gespalten in ein Pro-Hisbollah- und ein Anti-Hisbollah-Lager. Könnte dies in Gewalt umschlagen?
Um die vielen Probleme des Landes zu bewältigen, bräuchte der Libanon eine pragmatische und inhaltsgetriebene Politik. Ich fürchte aber, dass es im Parlament eine Polarisierung geben wird, die auch zu Konflikten führen kann. Dennoch gehe ich nicht davon aus, dass es zu einer Art Bürgerkrieg kommt. So hart es klingt, aber hierfür sind die Machtverhältnisse zu ungleich: Wer sollte die Hisbollah militärisch ansatzweise herausfordern?

Ein Hoffnungsschimmer ist, dass 13 der 128 Parlamentssitze an unabhängige Kandidaten gingen. Können die neuen Abgeordneten etwas verändern?
Dass es so viele unabhängige Kandidaten ins Parlament schafften und sie Alteingesessenen mancherorts sogar die Mandate abnahmen, ist eine positive Entwicklung. Nun aber müssen sich die Reformer im Parlament organisieren und Allianzen schmieden, um tatsächlichen politischen Einfluss ausüben zu können. Ob das sie das schaffen, ist schwer zu sagen. Im Wahlkampf ist es den neuen Kräften nur bedingt gelungen, sich zusammenzutun. Es ist zu hoffen, dass sich das nun ändert.

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