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Jens Spahn kritisiert Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

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Exklusiv

Russisches LNG auch in Deutschland?: Opposition kritisiert Habeck für „Blindflug“

Die Bundesregierung kann keine Auskunft darüber geben, ob über die Nachbarländer russisches LNG nach Deutschland kommt. Die EU könnte damit weiter die Kriegskassen des Kreml füllen.

Es ist die politische Leistung, auf die Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vermutlich besonders stolz ist. In nur wenigen Monaten hat es Deutschland im vergangenen Jahr unter seiner Aufsicht geschafft, sich von den russischen Energielieferungen zu lösen. „Im Prinzip sind wir unabhängig vom russischen Gas“, sagte Habeck erst vor einigen Tagen wieder in Meseberg.

Tatsächlich ist aber gar nicht so klar, wie viel Gas aus Russland eigentlich noch Deutschland erreicht. Die Bundesregierung hat darüber weiter keine Kenntnis. Das geht aus der Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine parlamentarische Anfrage hervor, die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt.

Demnach weiß die Bundesregierung nicht, ob über europäische Nachbarstaaten Flüssigerdgas (LNG) nach Deutschland kam. Darüber habe man „keine Informationen“, schrieb Staatssekretär Philipp Nimmermann - der Nachfolger des entlassenen Staatssekretärs Patrick Graichen – in dem Schreiben an CDU-Politiker Jens Spahn, der gefragt hatte.

„Ob Deutschland indirekt über die Beteiligung von Zwischenhändlern und über Umwege LNG aus Russland importiert, ist somit nicht bekannt“, schrieb Nimmermann weiter. Beim Import von Rohöl und Mineralölprodukten räumte Habecks Staatssekretär minimale Importe Anfang 2023 ein. Dabei habe es sich um sogenanntes Linefill gehandelt, das vor allem noch in der Druschba-Pipeline gelagert habe.

Die Ampel ist seit einem Jahr im Blindflug und will daran offenbar auch nichts ändern. 

Jens Spahn, CDU-Fraktionsvize, fordert mehr Klarheit.

CDU-Fraktionsvize Spahn übte scharfe Kritik zu den Angaben: „Die Ampel ist seit einem Jahr im Blindflug und will daran offenbar auch nichts ändern. Dabei wäre es für unsere Energiesicherheit natürlich wichtig zu wissen, ob russisches Gas unter den LNG-Importen ist“, sagte er dem Tagesspiegel.

Tatsächlich scheint Russland seit Kriegsbeginn deutlich mehr LNG nach Europa zu verkaufen. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Global Witness ist die Menge an LNG, das von EU-Staaten importiert wird, in den ersten sieben Monaten des Jahres sogar angestiegen. Danach haben EU-Staaten von Januar bis Juli insgesamt 22 Millionen Kubikmeter LNG aus Russland eingeführt, ein Anstieg um 40 Prozent gegenüber demselben Zeitraum im Jahr 2021.

„Es ist schockierend zu sehen, dass sich viele EU-Länder von russischem Gas via Pipelines unabhängig gemacht haben, nur um es dann durch LNG per Tankschiff zu ersetzen“, zitiert die „Financial Times“ im August den Global-Witness Experten Jonathan Noronah-Gant. Vor allem Spanien und Belgien hätten ihre Importe erhöht. Aus letzterem Land importiert auch Deutschland LNG-Gas.

„Es mag sein, dass über die LNG-Terminals der Nachbarstaaten [...] russische Moleküle in dem Gas-Mix sind. Das ist weder zu kontrollieren noch auszuschließen“, räumte Habeck am Rande der Kabinettsklausur in Meseberg ein.

22.000.000
Kubikmeter LNG importierte die EU von Januar bis Ende Juli 2023.

Dass die europäischen Staaten mit den Gas-Einkäufen weiter die russische Kriegskasse füllen, ist möglich, weil es noch immer keinen EU-weiten Importstopp von russischem LNG gibt. Viele Länder, zum Beispiel Österreich, sind noch über Jahre vertraglich an russische Gas-Lieferungen gebunden.

Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums versicherte auf Tagesspiegel-Anfrage jedoch, dass an den deutschen LNG-Terminals in Brunsbüttel, Lubmin und Wilhelmshaven laut Betreiberangaben kein russisches Flüssigerdgas ins Netz einfließen würde. Eine Kontrolle durch die Bundesregierung gebe es aber nicht.

Es gebe darüber hinaus aktuell keine Bestrebung, ein LNG-Einfuhrverbot in der EU voranzutreiben, hieß es aus dem Wirtschaftsministerium. Spahn kritisiert das Vorgehen vom Hause Habeck: „Der Minister muss dringend Klarheit schaffen.“

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