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Politik: Schläge, Tritte, Elektroschocks

In Ägypten ist Folter weitverbreitet. Die Täter gehen straflos aus, die Opfer sind eingeschüchtert. Ein Video schreckt das Land auf

Das Gesicht des jungen Mannes ist schmerzverzerrt, die Augen geschlossen, der Mund weit aufgerissen. Er schreit vor Schmerzen, bittet darum, dass es aufhört. Der Mann liegt auf dem Boden, der Unterkörper ist nackt, und ihm wird ein Besenstiel in den After geschoben. Die grausame Tat erschüttert Ägypten, denn die Täter sind Offiziere der Polizeistation im Kairoer Stadtteil Bulaq al-Dakrur. Zwar ist bekannt, dass in ägyptischen Polizeirevieren und im Gefängnis gefoltert wird. Aber einen so eindeutigen Beweis gab es noch nie: Ein Polizeioffizier hat die Tat mit seinem Mobiltelefon gefilmt – und an Kollegen des Opfers, des 21-jährigen Taxifahrers Emad al-Kabir gesandt, der auf der Straße in einen harmlosen Streit mit der Polizei geraten war. Mit der Warnung, ihnen werde es genauso ergehen, wenn sie sich mit der Polizei anlegten.

Die Polizisten sollen Schmiergelder von den Taxi- und Minibusfahrern des Viertels verlangt haben, was diese ablehnten. Blogger haben den vor einem Jahr entstandenen Film jetzt ins Internet gestellt, die unabhängige Tageszeitung „Al Fagr“ hat das Opfer ausfindig und den Fall publik gemacht. Das Regime spricht wie üblich von der Tat Einzelner, die zur Rechenschaft gezogen würden. Zunächst jedoch wurde das Opfer al-Kabir letzte Woche zur drei Monaten Gefängnis verurteilt – wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“. Und die Tatsache, dass die Offiziere selbst ein Video anfertigen und zirkulieren lassen, zeugt davon, dass die Täter offensichtlich keine Strafverfolgung fürchteten. Denn die Realität in dem beliebten Reiseland am Nil sieht anders aus.

„Folter in Ägypten ist systematisch“, sagt Magda Adly, die Leiterin des Nadim-Zentrums, das Folteropfer medizinisch und juristisch betreut. „Sie ist weitverbreitet, es werden immer die gleichen Techniken benutzt und es gibt faktisch keine Strafverfolgung“, sagt die gelernte Narkoseärztin, die das Zentrum 1993 mitbegründet hat. „Zunächst gibt es im Polizeirevier die „Empfangsparty“ – so nennen dies die Polizisten selber: Schwere Schläge, Tritte, die Opfer müssen sich auf den Boden legen, und auf ihrem Rücken wird herumgetrampelt. Im nächsten Schritt werden die Menschen an ihren auf den Rücken gefesselten Händen aufgehängt. Oft werden sie an einen Deckenventilator gehängt, der dann angestellt wird, so dass sich das Opfer dreht. Oder sie werden an den Füßen aufgehängt. Elektroschocks gehören ebenso zum Repertoire.“ Regelmäßig endet dies mit dem Tod der Opfer.Bedroht davon sind einfache Kriminelle ebenso wie islamistische und linke Oppositionelle, aufmüpfige Studenten oder jeder Unschuldige, der in die Hände der Polizei gerät. So wie der 18-jährige Mahmoud Tamam, der zu Tode gefoltert wurde, nachdem er Streit mit seinem Nachbarn hatte, der das gleiche Mädchen liebte. Dieser habe seinem Verwandten im Polizeidienst gesagt, dem Nebenbuhler müsse eine Lektion erteilt werden. „Jeder Ägypter ist potenziell von Folter bedroht“, sagt Adly. Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch prangert die „routinemäßige Folterung von Festgenommenen“ an und spricht von einer „Folter-Epidemie“ in Ägypten.

Strafverfolgung der Täter ist selten. „Den Opfern wird gedroht, sie würden umgebracht oder ihre weiblichen Verwandten vergewaltigt, wenn sie den Mund aufmachen“, sagt Adly. Sie berichtet von einem Mann, der in Panik geriet, als Ärzte ihn zur Behandlung aufsuchten. Die Polizisten hatten ihm mit dem Tode gedroht, falls er sich ärztlich behandeln lasse. „Bisher hat man immer versucht, die Folter zu verheimlichen. Das Video der Folterung des Taxifahrers zeugt davon, dass eine neue Grenze überschritten ist“, sagt Adly. Auch der Mitarbeiter von Human Rights Watch in Kairo, Elijah Zarwan, sieht das Video als Beweis für die „Kultur der Straflosigkeit“. Selbst wenn die Opfer sich nicht einschüchtern lassen, kommt es selten zu einer Anklage. Das hat nach Ansicht Zarwans mehrere Gründe: Die Definition von Folter ist im Strafgesetz beschränkt auf die „körperliche Misshandlung eines Verdächtigen zur Erlangung eines Geständnisses beim Verhör“. Folter außerhalb eines Verhörs ist damit strafrechtlich nicht abgedeckt. Ein zweiter Faktor sei der Ausnahmezustand, der es erlaubt, Verdächtige auf unbestimmte Zeit festzuhalten, ohne Zugang zu Anwälten oder Ärzten. „Die Menschen verschwinden einfach aus der Welt, und dies erleichtert Folter“, sagt Zarwan. Nach Ansicht von Adly hat die Folter in den vergangenen Jahren noch zugenommen. „Der Staat reagiert mit immer härterer Hand darauf, dass ihm angesichts von zunehmender Armut und Korruption die Kontrolle zu entgleiten droht“, sagt die Menschenrechtlerin.

Zwar wurden in dem von der Öffentlichkeit verfolgten Fall des Taxifahrers Emad al-Kabir zwei Offiziere festgenommen. Gegen sie soll im März ein Verfahren eröffnet werden. „Dies ist ein erster Schritt“, meint Zarwan. Doch wenn die Regierung von Hosni Mubarak ernsthaft gegen die Folter vorgehen wolle, müsse sie die Folter-Definition im Gesetzbuch ändern und die unbegrenzte Verwahrung von Menschen ohne Anklageerhebung beenden. Stattdessen gehen die Behörden gegen jene vor, die den Missstand anprangern. Das Nadim-Zentrum für Folteropfer agiert in einer rechtlichen Grauzone. Eine Zulassung als Nichtregierungsorganisation wurde verweigert, jetzt ist es beim Gesundheitsministerium als Klinik angemeldet. Eine Hausdurchsuchung gab es schon. Elijah Zarwan von Human Rights Watch sitzt in einem fast leeren Büro ohne Schild an der Tür – die Menschenrechtsorganisation bemüht sich seit drei Jahren vergeblich um eine offizielle Zulassung in Ägypten.

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