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Sergej Schoigu, Verteidigungsminister von Russland.

© dpa/Russian Defense Ministry Press Service

„Schmutzige Bombe“: Wie der Kreml mit der Angst des Westens spielt

Russlands Verteidigungsminister Schoigu äußert die Befürchtung, die Ukraine bereite eine Provokation mit nuklearem Material vor. Westliche Politiker bezichtigen ihn der Lüge.

Wenn es um die Rechtfertigung des Krieges gegen die Ukraine geht, war die russische Führung um historische Vergleiche noch nie verlegen. Mochten sie auch noch so absurd sein. Parlamentspräsident Wjatscheslaw Wolodin fügte am Montag einen weiteren hinzu. „Die Methoden des nuklearen Terrors ändern sich nicht: Wie sie unter Osama bin Laden waren, so sind sie unter Selenskyj geblieben“, schrieb er auf seinem Telegram-Kanal.

Wolodin verband den bizarren Vergleich, bin Laden gleich Selenskyj, mit einer Botschaft an Washington und einer indirekten Drohung an Kiew. Die USA hätten vor zwei Jahrzehnten die Information verbreitet, schrieb der Duma-Präsident, die Terroristen hätten Zugang zu radioaktivem Material erlangt und planten den Bau einer „schmutzigen Bombe“. Die Gefahr eines Terroraktes mit einer solchen Waffe habe „faktisch bis 2011 bestanden, bis bin Laden vernichtet war“.

Unausgesprochen blieb der schon wiederholt ausgesprochene Vorwurf, es würde mit zweierlei Maß gemessen: Was Washington mit bin Laden möglich war, müsse Russland jetzt mit der Ukraine erlaubt sein - die Vernichtung des Gegners.

Die Strahlenverseuchung wirkt lange Zeit

Vorausgegangen waren am Sonntag Telefongespräche des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu mit seinen Kollegen in Frankreich, der Türkei, Großbritannien und den USA. Die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria Novosti hatte die Anrufe am Morgen mit einer Mitteilung vorbereitet.

Darin hieß es unter Berufung auf ominöse „vertrauenswürdige Quellen“, Kiew bereite eine Provokation vor: den Einsatz einer sogenannten „schmutzigen Bombe“. Deren Einsatz solle dann Russland in die Schuhe geschoben werden. Der Einsatz dieser Massenvernichtungswaffe, so die Agentur weiter, solle den Kreml in den Augen seiner bisherigen Unterstützer diskreditieren.

„Schmutige Bomben“ lassen sich im Gegensatz zu Atombomben relativ leicht herstellen. Gebraucht wird lediglich radioaktives Material, wie etwa verbrauchter Brennstoff aus AKWs. Es wird mit einem konventionellen Sprengsatz kombiniert, um das strahlende Material auf eine möglichst große Fläche zu verteilen. Die Strahlung wirkt unmittelbar auf die Bevölkerung, Flächen, auf die eine solche Bombe fällt, bleiben über viele Jahrzehnte verseucht.

Der Vorwurf Moskaus, von der Ukraine gehe eine nukleare Bedrohung aus, ist keineswegs neu. Bereits wenige Tage nach dem russischen Überfall auf das Nachbarland hatten kremlnahe russische Medien verbreitet, die Ukraine sei „nur Monate“ vom Bau einer Atombombe entfernt. Einen Monat später verbreitete dann auch das Moskauer Verteidigungsministerium, Kiew bereite den Einsatz chemischer, biologischer und nuklearer Massenvernichtungswaffen vor.

Auf die Unterstellungen aus Moskau reagierten die Außenministerien der USA, Großbritanniens und Frankreichs noch am Sonntagabend mit einem selten genutzten Mittel: einer gemeinsamen Erklärung. Darin bezichtigten sie Verteidigungsminister Schoigu ungewöhnlich direkt der „offensichtlichen Lüge“. Russland versuche, einen Vorwand für eine weitere Eskalation des Krieges gegen das Nachbarland zu schaffen.

Der ukrainische Präsidentenberater Mykhailo Podoljak erklärte, „es gibt keine schmutzige Bombe, es gibt nur schmutzige Versuche, einen offensichtlichen russischen Völkermord mit neuen Fake news zu rechtfertigen“.

Bleibt die Frage, warum sich Schoigu gerade jetzt persönlich in die russische Desinformationskampagne einschaltet? Die US-Denkfabrik Institute for the Study of War geht davon aus, der Vorstoß des Verteidigungsministers solle jene Kräfte im Westen weiter verunsichern und mobilisieren, die auf rasche Verhandlungen mit Moskau um jeden Preis drängen.

Doch Schoigu brauchte auch dringend ein Signal nach innen. Immer deutlicher wird die Kritik sogenannter Militärblogger, dass er den Krieg in der Ukraine falsch oder sogar gar nicht führe. Einige Abgeordnete wollen ihn sogar in die Duma vorladen, damit er sich der Kritik stelle. Wenigstens hat er sich jetzt wieder einmal zu Wort gemeldet.

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