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Markus Söder (CSU) und Hubert Aiwanger.

© dpa/Lukas Barth-Tuttas

Ein Duell zweier eigenartiger Mannsbilder: Söder oder Aiwanger – wer hat jetzt mehr zu verlieren?

Hubert Aiwanger darf im Amt bleiben. Der CSU-Chef sagt, er habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Sein Vize aber könnte ihm noch sehr gefährlich werden.

Markus Söder korrigiert seine Haltung vor dem Mikrofon-Pult nach wenigen Sekunden. Normalerweise steht der bayerische Ministerpräsident immer recht breitbeinig da, das wirkt mächtig und stark.

Am Sonntagmorgen im Foyer des Prinz-Carl-Palais, dem Amtssitz des Ministerpräsidenten, schließt der CSU-Chef die Beine, das linke leicht vor dem rechten platziert; seine Gesichtszüge bemüht entspannt, ab und an lächelt er leicht; spricht ruhig und sachlich.

Söder gibt den Staatsmann, der weise abgewogen hat, ob er Aiwanger im Amt belässt; „fair“, „angemessen“, „geordnet“, wird er sagen.

Aber die Schmutzkampagne wird uns stärken.

Hubert Aiwanger am Sonntag im Bierzelt von Keferloh.

Spannend daran ist, dass Söder hier mitten im Wahlkampf die Rolle fixiert, die er für den Rest der Wochen bis zum 8. Oktober nun wohl einnehmen wird.

Vielleicht muss. Nicht der politische Hau-Drauf, sondern der seriöse Kümmerer wird er sein wollen. Auch in den Bierzelten. Ein bisschen wird Söder sich da verbiegen müssen.

Hubert Aiwanger darf derweil Hubert Aiwanger bleiben. Und das könnte zum Problem für die CSU und Söder werden - am Wahlabend in Prozentpunkten ausgedrückt.

Es ist jetzt noch mehr auch ein Duell zweier eigenartiger Mannsbilder, die noch nie große Nachweise über ihr überbordendes Selbstbewusstsein führen mussten. Wer hat jetzt mehr zu verlieren?

Noch während Söder erklärt, warum er Hubert Aiwanger, seinen Vize und Wirtschaftsminister, trotz der antisemitischen Flugblatt-Geschichte im Amt belässt, läuft Aiwanger südöstlich von München in ein Bierzelt in Keferloh ein. Knapp tausend Leute jubeln ihm frenetisch zu.

Hubert Aiwanger (Freie Wähler) am Sonntag im Bierzelt in Keferloh.

© dpa/Frederick Mersi

Söder berichtet mit fast gütiger Stimme, dass er am Abend zuvor lange mit Aiwanger persönlich gesprochen habe, und dass dieser aufrichtig bereue; zum Beispiel wolle er mit der jüdischen Gemeinde reden, um Vertrauen zurückzugewinnen.

Aus Aiwangers Umfeld ist zwar zu hören, dass das Vieraugen-Gespräch mit Söder in einer sehr konstruktiven, privaten und für Aiwanger respektvollen Atmosphäre stattgefunden habe.

Doch im Bierzelt kein Wort von Demut, keine weitere Entschuldigung. Er sagt: „Man wollte den Aiwanger ertränken… Aber die Schmutzkampagne wird uns stärken. Wir haben ein reines Gewissen. Wir handeln nach der Maxime: tue recht und scheue niemanden.“ Donnernder Applaus.

Aiwanger stiehlt Söder die Bierzelt-Hoheit

Um zu verstehen, wie traumatisch die Freien Wähler für die CSU sind, muss man zurückblicken auf die Landtagswahl 2008. Ein Jahr zuvor war Günther Beckstein Edmund Stoiber ins Amt des Ministerpräsidenten gefolgt.

Dann ziehen Aiwangers FW mit mehr als zehn Prozent in den Landtag ein, die CSU erzielt mit 43,4 Prozent das damals schlechteste Wahlergebnis seit 1954 und verliert erstmals die absolute Mehrheit. Die Alleinherrschaft ist gebrochen, Horst Seehofer koaliert als Ministerpräsident mit der FDP.

Versteht Aiwanger die Bayern plötzlich besser?

Heute sagt ein ehemals hoher CSU-Funktionär: „Die Freien Wähler waren der Sargnagel für die absolute Mehrheit der CSU. Das wird dauerhaft so bleiben.“ Und Aiwanger, seit 2018 mit den FW Koalitionspartner, werde nach wie vor von der CSU unterschätzt.

Markus Söder, so sagen politische Beobachter, sei schon vor der Flugblatt-Affäre „ernsthaft irritiert“ darüber gewesen, dass Aiwanger ihm die Hoheit im Bierzelt stehle.

Aiwanger ist oft schlauer im Gespür für richtige Themen und Worte.

Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing.

Auch das gehört zur DNA der CSU, dass man die Honoratioren wie die kleinen Leute gleichermaßen bespielen kann, also Establishment und „Leberkäs-Etage“ zugleich. Wie sagte einst Edmund Stoiber: „Weil wir als CSU den Anspruch verkörpern, Bayern zu verstehen.“

Das genau ist es. Versteht Aiwanger die Bayern plötzlich besser? Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing, sagt: „Aiwanger ist oft schlauer im Gespür für richtige Themen und Worte.“

Aiwangers Bauernschläue

Was Söder womöglich auch unterschätzt hat, ist Aiwangers Beharrlichkeit in der Flugblatt-Affäre. Und seine Bauernschläue, daraus auch noch einen Wahlkampfschlager zu machen.

Aus der Bundespartei der FW ist zu hören, dass Aiwanger jede juristische wie kommunikative Unterstützung abgelehnt habe. „Er wollte das allein durchziehen“, sagt einer, der ihm Hilfe angeboten hat. Aiwangers Argument: Er sei doch unschuldig.

Langjährige Weggefährten wundert diese Einstellung nicht. „Er bleibt immer bei seinem Standpunkt“, sagt einer aus der Fraktion. Aiwanger selbst hat mal erzählt, wie wichtig ihm das eigene, vertraute Umfeld sei.

Den Stolz des Vaters konnte Söder nie erkämpfen

Familie, Jagdverein, Dorfgemeinschaft, katholische Jugend – egal, welcher Gruppe er sich zugehörig fühlt, „innerhalb dieser Gruppe ist er solidarisch und hilfsbereit“, sagt einer, der ihn gut kennt. „Denn er braucht die Harmonie der Gruppe.“ Er lebe davon, sie stärke ihn.

Innerhalb der Gruppe ist er „ein guter Kamerad“, aber wehe, jemand von außen stelle das Weltbild Aiwangers oder dessen Kompetenz oder Glaubwürdigkeit infrage.

Auch Markus Söder kann sehr hartleibig sein. Und nachtragend. Roman Deininger und Uwe Ritzer, zwei Journalisten der „Süddeutschen Zeitung“, haben in ihrer Söder-Biografie von 2018 diesen Charakter detailliert recherchiert.

Söder wurde vom Vater hart angefasst

Sie schreiben: „Grenzenloses Selbstbewusstsein mischt sich mit einer alarmierenden Rücksichtslosigkeit.“ Der Vater, Maurermeister, habe den Sohn „streng angefasst“. Markus Söder ist handwerklich nämlich völlig unbegabt.

Bis heute erzählt er bei Wahlkampfauftritten merkwürdigerweise selbst von dieser Beziehung. „Bub, du hast zwei linke Hände, werde lieber Pfarrer oder Politiker.“ Was bei Söder als heitere Anekdote rüberkommen soll, hat einen ernsten Kern: Fehlende Anerkennung, Demütigung. Der Vater, schreiben die Biografen, soll den Sohn für ein „Weichei“ gehalten haben.

Den Stolz des Vaters konnte er sich offenbar nie erkämpfen. Er starb ein Jahr bevor Söder 1994 in den Landtag einzog.

Nicht-Entlassung bringt weniger Risiko

Ablehnung kann stark machen. Auch das eint Aiwanger und Söder. Innerlich muss es in Söder kochen, nach dem Motto: Was erlaubt dieser Emporkömmling sich... Trotzdem hat Söders innerer Staatsmann gegenüber dem politischen Raufbold gewonnen.

Er hat sich besprochen, etwa mit Ilse Aigner, Landtagspräsidentin, mit dem Fraktionschef Thomas Kreutzer und seinem Chef der Staatskanzlei. Ruhe bewahren, Krise ausschalten, selbst wieder in die Aktion kommen. Es war eine sachliche, nüchterne und kühle Abwägung, die Söder zu seinem Entschluss brachte: Nicht-Entlassung birgt weniger Risiko.

Und nun steht Söder also da, Gestik und Mimik ganz der Landesvater, der es sich zwar „schwer gemacht“ und „abgewogen“ habe, der aber nun auch so großzügig und gnädig ist, um die politische Karriere Aiwangers nicht zu zerstören.

In Aiwangers Umfeld haben sie die Nachricht des Tages mit sehr großer Erleichterung aufgenommen. Einer sagt: „Es gab ja überhaupt keinen Plan B.“

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