zum Hauptinhalt
Am Mittwoch begann ein spektakulärer Spionageprozess vor dem Berliner Kammergericht.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Prozess gegen BND-Mann wegen Landesverrats: Geheime Akten und geschmuggelte Kassiber

Es ist ein spektakulärer Spionagefall: Ein BND-Mitarbeiter, der Staatsgeheimnisse an Russland verraten haben soll, steht jetzt in Berlin vor Gericht.

Der Saal im Berliner Kammergericht gilt als abhörsicher. Die Prozessakten sind zum Teil als geheim eingestuft. Weil sie nicht elektronisch verschickt werden dürfen, stehen im Gerichtssaal für die Verteidigung weiße Aktenschränke bereit.

Unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen hat am Mittwoch vor dem Staatsschutzsenat des Kammergerichts ein Prozess in einem spektakulären Spionagefall begonnen. Ein leitender Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) und ein in Russland geborener mutmaßlicher Mittäter sollen Staatsgeheimnisse an Russland verraten haben, und zwar während des Ukraine-Krieges.

Mit unbewegtem Gesicht sitzt der 53-jährige BND-Mann Carsten L. auf der Anklagebank, die sich in einem Glaskasten befindet. Wie er dort in seinen Akten blättert, in hellblauem Hemd und blauem Anzug, könnte er heute noch in einem Büro des deutschen Auslandsnachrichtendienstes in Pullach oder Berlin sitzen.

Bis zum Herbst vergangenen Jahres scheint er ein ganz normales Leben geführt zu haben. Der ehemalige Soldat lebte mit seiner Familie in einer bayerischen Kleinstadt und trainierte die Jugend im Fußballverein.

Der Mitangeklagte Arthur E. hingegen ist eine schillernde Figur. Als Beruf gibt er auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Detlev Schmidt an, er sei selbstständiger Kaufmann. Der 32-Jährige handelt mit Edelmetallen und Diamanten, in Afrika und in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Reisen nach Moskau fielen da kaum auf.

In diesem Verfahren geht es nicht allein um die beiden Männer auf der Anklagebank. Der Fall wirft auch ein Schlaglicht darauf, wie russische Geheimdienste heute in Deutschland spionieren und wie anfällig selbst der BND offenbar dafür ist.

Die Bundesanwaltschaft wirft den beiden Männern besonders schweren Landesverrat vor. Im Fall einer Verurteilung drohen ihnen mindestens fünf Jahre Haft. Ein besonders schwerer Fall von Landessverrat ist laut Strafgesetzbuch dann gegeben, wenn jemand „eine verantwortliche Stellung missbraucht, die ihn zur Wahrung von Staatsgeheimnissen besonders verpflichtet“.

Referatsleiter in der „Technischen Aufklärung“

Carsten L. war beim deutschen Auslandsnachrichtendienst kein einfacher Beamter, sondern Referatsleiter, und das auch noch in einer für ausländische Geheimdienste besonders interessanten Abteilung, der „Technischen Aufklärung“. Wer hier in leitender Funktion arbeitet, weiß nicht nur, in welchen Staaten der BND heimlich mithört. Über die Tische dieser Abteilung gehen auch sensible Informationen von Nachrichtendiensten aus Partnerländern.

Neben den beiden Angeklagten spielt in diesem Fall auch ein russischer Unternehmer eine Rolle, den Arthur E. kannte, und der über Kontakte zu Russlands Inlandsgeheimdienst FSB verfügen soll. Dieser wollte eine unbefristete Niederlassungserlaubnis in Deutschland beantragen und hoffte dabei auf Unterstützung.

Doch schnell soll es um mehr gegangen sein, um geheime Dokumente. Dem BND-Mann Carsten L. sei, so die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage, als Gegenleistung eine Beteiligung an einem Erzabbauprojekt in Afrika in Aussicht gestellt worden.

Im September 2022 sollen sich Carsten L., Arthur E. und der russische Unternehmer in einem Restaurant in Starnberg getroffen haben. Zu diesem Zeitpunkt habe Carsten L. bereits auf erste Dokumente des BND zugegriffen, so die Bundesanwaltschaft.

Konspiratives Treffen an einem Sportplatz

Wenig später habe er Arthur E. angerufen und ihm gesagt, er habe etwas für den russischen Unternehmer. Die beiden Männer, die nun auf der Anklagebank sitzen, trafen sich laut Anklageschrift an einem Sportplatz in Pullach, unweit der BND-Zentrale. Carsten L. habe Dokumente mitgebracht, die er im Büro ausgedruckt hatte. Arthur E. habe diese mit dem Handy abfotografiert.

Arthur E. flog dann offenbar über Istanbul nach Moskau, wo er sich mit zwei FSB-Mitarbeitern getroffen haben will, die sich „Pawel“ und „Gasson“ genannt hätten. Sie nahmen die Unterlagen entgegen und machten ihrem Gesprächspartner deutlich, er solle mehr beschaffen.

Die Bundesanwaltschaft wirft Carsten L. vor, eine Mitarbeiterin des BND mit der Suche nach Dokumenten beauftragt zu haben, die für den FSB interessant sein könnten. Er soll mehrfach auf solche Unterlagen zugegriffen haben, einige druckte er aus, andere fotografierte er mit Arthur E.s Smartphone vom Bildschirm ab.

In Moskau erhielt Arthur E. Umschläge voller Geld

Wieder soll Arthur E. nach Moskau geflogen sein, um dort dem FSB die Dokumente zu übergeben. Außerdem seien ihm später von dem FSB-Mitarbeiter „Pawel“ vier große Umschläge voller Geld übergeben worden sein, die mit Tesafilm verschlossen waren. Carsten L. soll nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft mindestens 450.000 Euro und Arthur E. mindestens 400.000 Euro erhalten haben.

Arthur E. hat erst in den USA, wohin er zwischenzeitlich gereist war, und später auch in Deutschland umfassend zu den Vorwürfen ausgesagt. Beide Angeklagten befinden sich seit etwa einem Jahr in der JVA Moabit in Untersuchungshaft. Dort soll Carsten L. über Mitgefangene einen Kassiber mit Hinweisen zum Aussageverhalten vor Gericht an Arthur E. geschickt haben.

„Es gibt außer deinen Aussagen nur Hinweise“

„Es gibt außer deinen Aussagen nur Hinweise“, heißt es in dem Schreiben, aus dem im Prozess zitiert wurde. „Du warst nie beim FSB und hast nie Geld erhalten.“ Arthur E. solle sagen, dass ihm CIA und FBI die Aussagen in den Mund gelegt hätten. „Jede Story ist eine zu viel“, soll der BND-Mann geschrieben haben. Wenn Arthur E. das nicht mache – wenn er also bei den Aussagen bleibt –, dann drohten ihm „acht Jahre plus“.

Die Bundesanwaltschaft verlas am Mittwoch vor Gericht nur einen Teil der Anklage. Die folgenden drei Seiten seien als geheim eingestuft. Lars Malskies, Oberstaatsanwalt beim BGH, beantragte deshalb den Ausschluss der Öffentlichkeit. Carsten L.s Verteidiger Johannes Eisenberg trat dem Antrag entgegen. Der Inhalt dessen, was verraten worden sein solle, werde vor der Öffentlichkeit verschwiegen, kritisierte er. Durch die Geheimhaltung der Unterlagen werde die Verteidigung von Beginn an „entrechtet und gedemütigt“.

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelte das Gericht erst einmal darüber, ob die Öffentlichkeit die geheimen Passagen aus der Anklage hören darf oder nicht. Eine Entscheidung soll an diesem Donnerstag verkündet werden.

Der Imageschaden für den BND ist schon jetzt groß. Aus den Dokumenten, die Carsten L. und Arthur E. an Russland weitergegeben haben sollen, ging einem „Spiegel“-Bericht zufolge offenbar hervor, dass der BND heimlich die Chat-Nachrichten der russischen Söldnergruppe Wagner mitlesen konnte. Nachdem Russland davon erfahren hatte, sollen die Wagner-Kommandeure ihre heikle Kommunikation auf einen anderen Kanal verlagert haben.

In dem Prozess sind bisher 50 weitere Verhandlungstage angesetzt, ein Urteil wird frühestens für Mitte Juli erwartet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false