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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

© Foto: Reuters/Christian Mang

Update

Steinmeiers Kiew-Absage : Warum das Risiko für die Ukraine-Reise als zu groß bewertet wird

Während der Schweizer Bundespräsident trotz der heiklen Lage in Kiew eintrifft, muss sich Frank-Walter Steinmeier Kritik anhören. Wie es zur Absage kam.

| Update:

Frank-Walter Steinmeier und die Ukraine, das ist ein schwieriges Kapitel. Erst die harsche Kritik des bisherigen Botschafters Andrij Melnyk an Steinmeiers Russlandpolitik, als dieser Kanzleramtschef und Außenminister war. Im Zusammenspiel mit der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich Deutschland mit dieser Politik auch in die fatale Gas-Abhängigkeit von Russland manövriert, weil man so glaubte, Moskau einhegen zu können. Zugleich setzte sich Steinmeier nach den Maidan-Unruhen jahrelang für eine diplomatische Lösung mit dem Minsk-Abkommen ein.

Der kurz vor Kriegsbeginn als Bundespräsident wiedergewählte Steinmeier erklärte anders als Merkel insbesondere das Festhalten an Nord Stream 2 als einen Fehler. Im April war er zu Besuch in Polen, wollte mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda in die Ukraine reisen. Doch er wurde de facto ausgeladen. Das wurde auch kritisch bewertet, zumal Deutschland sehr viel tut für die Ukraine und Steinmeier in seiner zweiten Amtszeit erkennbare Lehren aus den Fehleinschätzungen der Vergangenheit zieht.

Es folgten klärende Gespräche mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Gerade jetzt, wo Russland vor dem Winter die ukrainische Energieinfrastruktur angreift und nicht mehr im Tagestakt Spitzenpolitiker aus dem Westen am Kiewer Hauptbahnhof einrollen, wollte Steinmeier ein Zeichen der Solidarität setzen.

Und mit Selenskyj sind besondere Ideen für eine Vertiefung der ukrainisch-deutschen Partnerschaft weit über die Kriegszeit hinaus entwickelt worden, die man dabei vorstellen wollte. Zudem plant Steinmeier für den 28. Oktober in Berlin eine große Rede an die Nation, da könnte so ein Besuch die Ernsthaftigkeit seiner neuen Ostpolitik, das Zugehen auf lange ungehörte oder überhörte Partner unterstreichen und den Weg der Ukraine in die Europäische Union mit dieser Geste unterstützen.

Auch China und Indien warnen vor Eskalation in Ukraine

Doch am Dienstag häuften sich nach Tagesspiegel-Informationen die schlechten Nachrichten und Warnungen, es kam zu Krisengesprächen. Bundesnachrichtendienst, Bundeskriminalamt, Bundespolizei, Auswärtiges Amt, sie alle warnten vor der Reise, betonten, keine Verantwortung übernehmen zu können, empfahlen, nicht zu reisen.

Das reiht sich ein in deutliche Warnungen von mit Russland kooperierenden Ländern wie China und Indien, die seit Tagen ihre in der Ukraine verbliebenen Staatsbürger dringend zur Ausreise auffordern. Die von den Russen eroberte Großstadt Cherson könnte zurück an die Ukraine fallen – es ist unklar, wie der russische Präsident Wladimir Putin darauf reagieren könnte. Kiew wird inzwischen wieder täglich angegriffen.

Schweizer Bundespräsident ist in Kiew

Für Steinmeier misslich ist, dass an seinem geplanten Ankunftstag, dem Donnerstag, in Kiew der Schweizer Bundespräsident Ignazio Cassis per Zug in Kiew eintrifft, abgesichert von schwer bewaffneten Soldaten.

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Allerdings stand der deutsche Bundespräsident vor der Frage, sich einfach über die dringlichen Warnungen hinwegzusetzen, CDU-Chef Friedrich Merz war von seiner Reise Anfang Mai vom BKA auch ausdrücklich abgeraten worden, aber er reiste trotzdem und besuchte auch die schwer zerstörten Vorstädte.

Jedoch ist bei einem deutschen Bundespräsidenten die Gefährdung- und Sicherheitsstufe noch einmal ein andere, wird in Berlin betont.

Friedrich Merz war als einer der ersten deutschen Spitzenpolitiker im Mai in der Ukraine, hier vor Ruinen in Irpin bei Kiew.

© Foto: dpa/Efrem Lukatsky

CDU-Politiker spricht von „Angsthasen-Absage“

Der CDU-Politiker und Europa-Parlamentarier Daniel Caspary sagte dazu der „Bild“-Zeitung, „die Angsthasen-Absage“ der Kiew-Reise des Bundespräsidenten sei eine „internationale Vollblamage Deutschlands“. Das sei die „Vollkapitulation deutscher Außenpolitik vor Russlands Terror gegen die Ukraine“.

Andere CDU-Politiker im Bundestag äußerten dagegen durchaus Verständnis für Steinmeiers Absage aus Sicherheitsgründen. Die Reise soll aber schnellstmöglich nachgeholt werden, hieß es.

Ein neuer Ton zwischen Bellevue und Botschafter

Immerhin ein Gutes zeigte sich aber: Der Nachfolger von Andrij Melnyk als Botschafter in Berlin, Oleksii Makeiev, scheint mehr auf Kooperation statt Konfrontation zu setzen. Im Schloss Bellevue ist man voll des Lobes über ihn, auch bei der Abstimmung der schwierigen Reisefrage.

Wort- und zeitgleich teilten die Sprecherin des Bundespräsidenten und Makejew Mittwochabend nach Durchsickern der Absage bei Twitter mit: „Wir sind in engen und vertraulichen Planungen eines Besuches des Bundespräsidenten in der Ukraine, der beiden Seiten wichtig ist. Morgen sind unsere beiden Präsidenten zum Telefonieren verabredet.“

Steinmeier und Selenskyj telefonieren - und freuen sich auf Treffen in Kiew

Und das findet dann auch am Donnerstag statt. „Der Bundespräsident sicherte dem Präsidenten der Ukraine die unvermindert anhaltende Solidarität und Unterstützung Deutschlands zu“, heißt es danach aus Schloss Bellevue. Deutschland werde die Wiederherstellung von zerstörter Infrastruktur bei Strom, Heizung und Wasser unterstützen, verspricht Steinmeier demnach in dem Telefonat. Die gezielten Angriffe Russlands auf lebenswichtige Infrastrukturen seien „niederträchtig“.

Präsident Selenskyj habe sich bedankt für die deutsche Unterstützung. Und dann folgt in der telegrammartigen Erklärung des Bundespräsidialamtes der wichtigste Satz: „Beide Präsidenten freuen sich auf eine persönliche Begegnung in Kiew.“ Aber ein neues Datum wird noch nicht genannt – was auch nicht möglich ist, die Reisen werden aus Sicherheitsgründen bis zur Ankunft in Kiew in der Regel geheim gehalten.

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