zum Hauptinhalt
Marco Buschmann (FDP), Bundesjustizminister.

© dpa/Jörg Carstensen

Reform von Straf- und Familienrecht: Die Vernunft in der Ampel

Justizminister Buschmann möchte die Mindeststrafe bei Kinderpornografie absenken. Das zeigt, dass die Ampel zu vernünftigen, aber unpopulären Entscheidungen fähig ist.

Ein Kommentar von Charlotte Greipl

Es gibt derzeit viele Gründe, die Ampel zu kritisieren: Die Regierung präsentiert unausgegorene Vorschläge, streitet öffentlich, vertagt Entscheidungen.

Da übersieht man leicht, dass diese Bundesregierung sehr wohl zu vernünftigen Entscheidungen in der Lage ist. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) etwa setzte sich vorige Woche nach jahrelangem Kampf durch und lässt Homöopathie von der Liste der von den Krankenkassen übernommenen Leistungen streichen.

Justizminister Marco Buschmann (FDP) präsentierte jüngst einen Gesetzentwurf, mit dem er aneckt. Unter seiner Vorgängerin Christine Lambrecht (SPD) waren 2021 die Straftaten in Bezug auf Kinderpornografie erheblich verschärft worden. Lambrecht reagierte damit auf schockierende Missbrauchsfälle, etwa in Münster und Bergisch Gladbach.

Wie so oft war die Strafverschärfung kein Ausdruck politischer Weitsicht, sondern ein öffentlichkeitswirksames Signal dafür, ein Thema anzupacken − ohne aber bereit zu sein, stärker in Prävention und Aufklärung zu investieren. Längst aber ist wissenschaftlich erwiesen, dass nicht eine hohe Strafandrohung abschreckend wirkt, sondern allein die Angst davor, gefasst und bestraft zu werden.

Strafnorm erfasst viele Fälle

Besitz, Erwerb und Verbreitung von Kinderpornografie stehen seitdem unter Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren. Die Tat wurde vom bloßen „Vergehen“ zum „Verbrechen“ hochgestuft. Klingt sinnvoll, geschah allerdings zu einem hohen Preis, denn unter die Strafnormen fallen viele nicht strafwürdige Fälle.

Nur ein Beispiel: Wenn Eltern inkriminiertes Material auf dem Handy ihres Kindes entdecken, es an andere Eltern oder Lehrer weiterleiten, um diese zu warnen, erfüllen sie sogleich den Straftatbestand der Verbreitung kinderpornografischen Materials.

Über solches Verhalten kann man die Stirn runzeln. Ob es aber automatisch ein Fall für die Gerichte sein soll, ist doch sehr fraglich. Das Strafrecht nämlich ist das „schärfste Schwert“ des Staates.

Kollateralschäden durch Straferhöhung

Da es sich aber bei einer solchen Tat um ein Verbrechen handelt, können Staatsanwaltschaften heute die Verfahren nicht mehr gegen Geldauflage einstellen und damit die Verfolgung all solcher Fälle beenden, die offensichtlich nicht erfasst sein sollten. Für die Gerichte ist aufgrund der hohen Mindeststrafe eine abgestufte Bestrafung faktisch unmöglich.

Zwar können die Gerichte die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aussetzen, aber das Stigma der Verurteilung bleibt. Für Beamte sind die Konsequenzen besonders gravierend: Bei einer Verurteilung zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder mehr verlieren sie automatisch ihren Beamtenstatus.

Meistens landen Jugendliche auf der Anklagebank, die sich etwa aus Spaß Nacktbilder per WhatsApp zuschicken. Werden sie verurteilt, erhalten sie einen Eintrag ins Erziehungsregister. Das verbaut leicht Chancen auf Job oder Ausbildungsstelle.

Im damaligen Gesetzgebungsverfahren hatten Experten, Strafverteidiger und Richterschaft vor genau diesen Folgen gewarnt.. Buschmann wird demnächst seinen Gesetzesentwurf ins Kabinett einbringen, mit dem die Mindeststrafe wieder auf drei Monate abgesenkt, die angehobene Höchststrafe von zehn Jahren aber beibehalten werden soll. Dass der Justizminister den Fehler seiner Vorgängerin revidiert, zeigt die Lernfähigkeit von Regierung und Parlament.

Reformen im Familien- und Strafrecht

Das Vorhaben reiht sich ein in eine Reihe von Maßnahmen, mit denen die Regierung pragmatisch längst überfällige Reformen vorantreiben will. Jüngst legte das Justizministerium Vorschläge für eine Modernisierung des Abstammungs- und Adoptionsrechts vor, passt damit das Familienrecht der gelebten Realität von Regenbogen- und Patchworkfamilien an.

Die Koalition möchte darüber hinaus das gesamte Strafrecht modernisieren und historisch überholte Straftatbestände aussortieren. Der im Koalitionsvertrag angekündigte Bürokratieabbau möge auch bald kommen.

Dieser Modernisierungskurs schmeckt − natürlich − nicht jedem. Im Bereich Kinderpornografie ist die Absenkung der Mindeststrafe zudem nicht leicht zu erklären. „Ampel senkt Kinderporno-Strafen“ titelte die „Bild“, in sozialen Netzwerken tobt die Wut. Dass Buschmann sich von alldem nicht beirren lässt, ist richtig. Der viele Streit prägt die Wahrnehmung der Regierung. Diese Reformen lassen hoffen, dass sich die Ampel künftig häufiger von Vernunft und Rationalität leiten lässt. Dass sie Fehler korrigiert, sofern es sachlich geboten, ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Das sollte die Ampel öfter wagen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false