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In knapp zwei Wochen wird ein Großteil des US-Kongresses neu gewählt.

© Foto: AFP/SAUL LOEB

Update

Scherbenhaufen bei den Demokraten: Ein Brief an den US-Präsidenten sorgt für Verwirrung

In einem Brief an Präsident Biden fordern demokratische Abgeordnete mehr diplomatische Anstrengungen für ein Ende des Ukraine-Konflikts. Dann wird das Schreiben zurückgezogen.

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Am Dienstagmittag war der Scherbenhaufen perfekt: Der am Vortag veröffentlichte Brief einer Gruppe von demokratischen Kongressabgeordneten, die US-Präsident Joe Biden darin zu Verhandlungen mit Kremlchef Wladimir Putin auffordern, wurde zurückgezogen. Die offizielle Begründung: Das Schreiben sei schon vor Monaten verfasst und unterzeichnet worden und nun aus Versehen veröffentlicht worden.

Zwei Wochen vor den wichtigen Kongress-Wahlen hatte der Brief Zweifel an der Geschlossenheit der Partei in der Ukraine-Frage geweckt. Als besonders unglücklich empfanden Kritiker die Tatsache, dass er ausgerechnet nach umstrittenen Äußerungen des republikanischen Minderheitsführers im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, publik geworden war. Der hatte in der vergangenen Woche eine Fortsetzung der Ukraine-Hilfen infrage gestellt, sollte seine Partei am 8. November die Mehrheit erringen.

Die Gruppe von 30 demokratischen Abgeordneten hatte Biden in dem Brief aufgefordert, seine Ukraine-Strategie zu überdenken und in direkte Verhandlungen mit Russland über ein Ende des Konflikts einzutreten. In dem auf Montag datierten Brief loben die dem linken Parteiflügel angehörenden Abgeordneten einerseits Bidens bisherige Bemühungen, die Ukraine zu unterstützen und gleichzeitig zu verhindern, dass die USA zur Kriegspartei werden. Andererseits fordern sie einen ernsthaften Versuch, den Konflikt mit diplomatischen Mitteln zu beenden.

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„Angesichts der Zerstörung, die dieser Krieg für die Ukraine und die Welt bedeutet, und des Risikos einer katastrophalen Eskalation, glauben wir, dass es im Interesse der Ukraine, der Vereinigten Staaten und der Welt liegt, einen langwierigen Konflikt zu vermeiden”, schreiben die Abgeordneten um die Vorsitzende des linken Fraktionsflügels, Pramila Jayapal. „Darum fordern wir Sie auf, die amerikanische Militär- und Wirtschaftshilfe für die Ukraine durch eine proaktive diplomatische Anstrengung zu ergänzen” und damit realistische Voraussetzungen für einen Waffenstillstand zu schaffen.

Kritik am Zeitpunkt des Briefes

Eine etwaige Verhandlungslösung müsse, so betonen die Abgeordneten ausdrücklich, „für das ukrainische Volk akzeptabel“ sein. Sie schlagen beispielsweise „Anreize zur Beendigung von Kampfhandlungen“ vor wie die Lockerung von Sanktionen. Außerdem sollte die internationale Gemeinschaft Sicherheitsgarantien für eine „freie und unabhängige Ukraine“ abgeben. Zu den Unterzeichnern des Briefes gehören Alexandria Ocasio-Cortez, Ilhan Omar und Jamie Raskin.

Der Brief wurde aber offenbar bereits Ende Juni erstellt und unterzeichnet und am Montag in einer aktualisierter Form versendet. „Aus Versehen“ und von einem Mitarbeiter, wie Pramila Jayapal am Dienstagmittag mitteilte. Sie übernahm die Verantwortung für den Fauxpas und erklärte, der Brief werde zurückgerufen. Sie versicherte, der linke Flügel der Partei stehe weiterhin hinter Bidens Ukraine-Politik. Zuvor hatten mehrere Unterzeichner erklärt, dass sie nicht mehr hinter dem Brief stünden, denn die Lage habe sich sehr verändert.

Zu groß war die Sorge, dass man in einen Topf mit dem isolationistischen Teil der Republikanischen Partei geworfen werde. Der Republikaner McCarthy, der nach einem Wahlsieg die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses ablösen will, hatte der Online-Tageszeitung „Punchbowl News” gesagt, er bezweifle, dass man Kiew angesichts einer drohenden Rezession und der Krise an der Grenze zu Mexiko einen „Blankoscheck” ausstellen werde.

Der Schaden durch den Brief war aber angerichtet. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, hatte noch am Montag bestätigt, dass das Weiße Haus den Brief der demokratischen Abgeordneten erhalten habe. Man begrüße die Anregungen und werde auch weiterhin eng mit dem Kongress zusammenarbeiten. Gleichzeitig betonte er, die USA würden keine direkten Verhandlungen mit Russland ohne Beteiligung Kiews führen. Das habe man von Anfang an gesagt, „und das bleibt der Ansatz“.

Kirby betonte, dass nur die Ukrainer über Verhandlungen zu entscheiden hätten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sei nicht der Ansicht, dass die Zeit reif sei, eine Vereinbarung mit Kremlchef Wladimir Putin auszuhandeln. „Wir respektieren seine Meinung dazu“, sagte Kirby. „Wir werden uns darauf konzentrieren, dass er und seine Truppen auf dem Schlachtfeld erfolgreich sind.“ Dann könne Selenskyj auch bei eventuellen Verhandlungen erfolgreich sein.

Putin dagegen könne den Krieg jederzeit beenden, indem er seine Truppen abziehe. Angesichts seiner Rhetorik, der Kriegsverbrechen und den Luftangriffen auf zivile Infrastruktur spreche derzeit aber nichts dafür, dass der russische Präsident offen für Verhandlungen sei, sagte Kirby.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs Ende Februar haben die USA der Ukraine bereits 17,6 Milliarden Dollar (knapp 18 Milliarden Euro) an Militärhilfe bereitgestellt. Weitere Hilfen könnten schon bald folgen und werden auch von einem Großteil der amerikanischen Bevölkerung Umfragen zufolge unterstützt.

Würden sich allerdings die Mehrheitsverhältnisse im Kongress nach den Wahlen am 8. November zu Ungunsten von Bidens Demokraten ändern, wird die Regierung es deutlich schwerer haben, zusätzliche Hilfspakete schnell auf den Weg zu bringen. Aber auch die eigene Partei könnte dem Präsidenten das Regieren künftig deutlich schwerer machen. Der Brief ist dafür ein erstes Warnsignal – auch wenn er nach Angaben seiner Unterzeichner gar nicht mehr hätte veröffentlicht werden sollen.

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