zum Hauptinhalt
Das Gebäude des Bundesverfassungsgerichts.

© dpa/Uli Deck

Verfassungsgericht stellt umstrittene Praxis ein: Medienclub bekommt Karlsruher Urteile nicht mehr vorab

Jahrzehntelang machte das Verfassungsgericht einem ausgesuchten Kreis von Journalisten Urteile schon vor der Verkündung zugänglich. Damit ist jetzt Schluss. Die lange geheime Tradition hat sich überlebt.

Das Bundesverfassungsgericht stellt seine umstrittene Praxis der Vorabinformation für ausgewählte Journalisten endgültig ein. Das teilte das Gericht am Donnerstag mit. Wie es hieß, wolle das Gericht „anstelle“ dieser Praxis „die Veröffentlichung ausgewählter Entscheidungen künftig in einem auf der Website des Bundesverfassungsgerichts abrufbaren Wochenausblick ankündigen“.

Das Gericht hatte seine Praxis bereits Ende März vorläufig gestoppt und angekündigt, seine „Kommunikationsstrukturen“ überprüfen zu wollen. Zu diesen Strukturen gehörte jahrzehntelang, den Mitgliedern der „Justizpresskonferenz“ (JPK), einer privaten Journalistenvereinigung in Karlsruhe, am Abend vor Urteilsverkündungen Zugang zu den Pressemitteilungen über Urteile zu ermöglichen – noch bevor Prozessbeteiligte davon Kenntnis erhalten.

Von den Beteiligten war die Praxis konsequent geheim gehalten worden. Die JPK-Mitglieder, darunter viele Vertreter öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten sowie von Nachrichtenagenturen, konnten damit schneller fundiert berichten als andere Medien.

Mitunter waren die Folgen aber kurios: So konnten die Korrespondenten von ARD und ZDF noch vor ihren Sendeanstalten von einem neuen Urteil zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk erfahren, das dessen Finanzierung reguliert.

Der Tagesspiegel machte die Praxis vor drei Jahren öffentlich

Als der Tagesspiegel – der kein JPK-Mitglied stellt – das in Europa einzigartige Vorgehen des Bundesverfassungsgerichts vor drei Jahren öffentlich machte, verteidigten Gericht und JPK die Praxis noch als sinnvoll. In der JPK seien besonders kenntnisreiche und zuverlässige Korrespondenten versammelt, die Verschwiegenheit bewahren könnten, erklärte das Gericht. 

Die AfD klagte gegen die Praxis, weil sie sich von den – vorab informierten – Journalisten der Sender bei ihren Auftritten in Karlsruhe vorgeführt fühlte, verlor aber ihren Prozess. Die Partei als solche werde nicht in ihren Rechten verletzt, entschied der Baden-Württemberger Verwaltungsgerichtshof.

Kritik an der Bevorzugung kam von Journalistenorganisationen und dem Presserat. Auch ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste äußerte Zweifel, ob die Praxis rechtlich haltbar sein kann.

Ein Grund für die vorläufige Aussetzung im Frühjahr – und das jetzt erfolgte endgültige Aus – könnten auch Unterlassungsforderungen des Tagesspiegels sowie der „Bild“-Zeitung gewesen sein. Beide Zeitungen hatten das Gericht aufgefordert, die Praxis einzustellen. Sie sei rechtswidrig und stelle einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in das Recht auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb dar.

Die Ursprünge der Praxis liegen Jahrzehnte zurück. Zuvor war es immer mal wieder vorgekommen, dass Urteilsinhalte an Journalisten durchsickern konnten und öffentlich wurden. Offenbar wollte man dem mit einer einheitlichen Praxis und Schweigepflichten ein Ende setzen.

Der Vorteil für das Gericht war, dass es seine Urteile unmittelbar nach Verkündung besonders effektiv in die Öffentlichkeit bringen konnte. Den eingeweihten Journalisten wiederum wurde mit der Arbeitserleichterung das Gefühl zuteil, zu einem erlauchten Kreis zu gehören.

Nach außen entstand indes der Eindruck, Gericht und Medien – insbesondere die öffentlich-rechtlichen Sender – seien eng, wenn nicht zu eng miteinander verbunden. Womöglich hat dies den Ausschlag dafür gegeben, den gemeinsamen Umgang in dieser Weise zu beenden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false